Zombie-Referendare



Veröffentlicht am 2. Juli 2012 von

Vor ein paar Jahren war ich in einer Betrugssache beim Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer.

Mein Mandant hatte auf mein Anraten hin im Vorfeld der Hauptverhandlung durch mich ein Geständnis abgelegt und auf Zeugen verzichtet. Er räumte ein, dem Mittäter bei einem Betrug zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit geholfen zu haben. Dies habe er aus reiner Freundschaft getan. Keinesfalls habe er sich mit dem” Mittäter” die Betrugssumme geteilt. Das Gegenteil konnte ihm nicht bewiesen werden, und darauf kommt es bei der Verteidigung an.

Der Mittäter war zuvor – obwohl nicht vorbestraft – von einem anderen Strafrichter des AG Gelsenkirchen-Buer zu einer Bewährungsstrafe von 8 Monaten verurteilt worden, die Messlatte für unseren Fall lag also hoch.

In meinem „opening-statement“ kritisierte ich diese Messlatte, verwies auf den Gesamtschaden von gerade mal 2.000 € und fragte, was für eine Strafe das Amtsgericht denn im Falle eines Zumwinkel oder Schneider für angemessen halte. Die Todesstrafe sei schließlich abgeschafft. Es gebe zwar keine Strafensymmetrie, wohl aber die Notwendigkeit, die Kirche im Dorf zu lassen. Begleitet vom anbiedernden Nicken des staatsanwaltlichen Musterknaben-Referendars äußerte der durchaus sympathische Amtsrichter sinngemäß: “Ich weiß, dass es bei euch im Rheinland anders zugeht. Bei Schädigung der öffentlichen Hand – und überhaupt – verstehen wir hier keinen Spaß. Sie sollten mal sehen, wie sich die Gladbacher Fußball-Rowdys über unsere Urteile wundern, wenn die hier auf Schalke randalieren.”

Noch während ich über die besondere Schutzwürdigkeit der öffentlichen Hand und die Schlüssigkeit der Aussage nachdachte, nahm ich wieder dieses dämliche Kopfnicken des Referendar-Staatsanwalts wahr und fragte mich, wo diese Typen plötzlich herrekrutiert werden. Irgendwo muss es ein Nest dafür geben oder werden die von Staats wegen irgendwo gezüchtet? Überall tauchen sie plötzlich auf, sehen irgendwie alle gleich aus und sind sooooo staatstragend. Ein Erfolg der Bildungsreform kann das nicht sein, oder doch? Ach, stimmt, wir hatten ja noch keine Bildungsreform, die den Namen verdiente.

Ich griff das Fußballthema auf und erfuhr, dass der Amtsrichter eine Dauer-Jahres-Karte für Schalke hat. Dass ich Fußball nicht leiden kann, verschwieg ich geflissentlich. Schließlich einigten wir uns – wegen des Geständnisses und als Fußballkumpels – auf eine bescheidene Geldstrafe. Am Schluss meines Plädoyers sagte ich: “Nach der Verhandlung sag ich Ihnen mal meine Meinung zu Ihren Strafvorstellungen im Übrigen!” Gesagt, getan. Und da hörte ich, wie die Amtsrichter in Gelsenkirchen-Buer beim Kaffee über Zumwinkel und vergleichbare Fälle reden und erinnerte mich an meinen schon etwas älteren Artikel „Eine Staatsanwältin wird gemobbt„. Die Meinung der Amtsrichter aus Gelsenkirchen-Buer war mir bis dahin noch gar nicht in den Sinn gekommen, und sie lautete so: Die den Fall Zumwinkel seinerzeit bearbeitende Staatsanwältin Lichtinghagen wurde nicht aus Neid aus der Staatsanwaltschaft Bochum gemobbt, sondern auf Anweisung der Landesregierung, die sich für Zumwinkel in dem Strafverfahren stark gemacht hatte und die widerborstige Staatsanwältin, die sich einer Bewährungsstrafe widersetzt hatte, ausschalten wollte. Überhaupt sei es die Politik und die öffentliche Meinung, die immer stärkeren Druck auf die Justiz ausübe und so auch Einfluss auf die Rechtsprechung nehme.

Mmmh, könnte da was dran sein? Vielleicht. Auf der anderen Seite dachte ich bisher, dass die Urteile von den Richtern gesprochen werden und nicht von Regierungen oder Staatsanwaltschaften. Aber vielleicht ist das verstärkte Auftauchen der nickenden Bildungszombies ein Indiz für einen Richtungswandel unserer Rechts-”Kultur”. Zurück, zurück, in die glorreichen Jahre des Deutschen Reichs oder der nostalgischen DDR, wo Autorität noch zählte und man mit Kopfnicken und gehorsamem Nachplappern noch juristische Karriere machen konnte.

Aus diesen mutlosen Referendar-Typen könnten unsere künftigen Richter werden?!  Da lob ich mir doch unsere Verfassung und die richterliche Unabhängigkeit – sofern es sie tatsächlich je gab. Sie zu erhalten, bedürfte es allerdings mehr Kopfschüttelns. Irgendwie scheint das aus der Mode gekommen zu sein. Und da wäre noch die Frage, wer den jungen Juristen den notwendigen Mut vorleben könnte.

P.S. Ehe ich jetzt von den Referendaren verdroschen werde, folgende Anmerkung: Der Artikel ist pointiert. Die heutigen Referendare sind nicht schlimmer oder besser als zu meiner Zeit, und bestimmt meine ich nicht Sie, der Sie das hier gerade gelesen haben. Aber wenn Sie sich in Ihrer AG mal nach rechts und links umschauen – liege ich mit meiner Meinung ganz falsch? Und klar, ich weiß, dass Referendare oft nicht so können wie sie wollen. Aber ihre – auch mal abweichende – Meinung könnten sie doch schon kundtun?!

 


Kategorie: Strafblog
Permalink: Zombie-Referendare
Schlagworte: