Anwälte sollen rechtlich bedenkliche und überzogene Maßnahmen von Richtern einfach akzeptieren



Veröffentlicht am 2. Juli 2012 von

Das tut schon weh, was das Bundesverfassungsgericht in seiner viel diskutierten jüngsten „Krawatten-Entscheidung“  zum Grundrechtsschutz und zum anwaltlichen Standesrecht von sich gegeben hat. Mir zieht das fast das Zahnfleisch von den Zähnen, wenn ich darüber rede. Die Kollegen Dr. Damm & Partner haben die Entscheidung dankenswerter Weise in ihrem Blog im Wortlaut veröffentlicht.

Mit seinem Urteil vom 13.3.2012 hat das höchste deutsche Gericht die Verfassungsbeschwerde eines Kollegen, der von einem bayerischen Gericht wegen seiner Weigerung, eine weiße Krawatte anzulegen, von der Sitzung ausgeschlossen war, nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Sache keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung beikomme. Die entscheidenden Rechtsfragen seien längst geklärt und es sei nicht ersichtlich, dass der vorliegende Fall weitere Klärung erfordere, zumal aufgrund der Regelung in § 20 BORA regelmäßig Einvernehmen über die „Berufstracht” eines Rechtsanwalts hergestellt und im Übrigen ein Auftreten in unangemessener Kleidung durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen verhindert werden könne.

Diese Argumentation entbehrt nicht einer gewissen Ironie, belegt der entschiedene Fall doch gerade, dass zwischen Gericht und Verteidigung kein Einvernehmen darüber hergestellt werden konnte, was zur Berufstracht eines Rechtsanwalts gehört. Als bundesweit tätiger Verteidiger weiß ich nur allzu gut, dass das Tragen des auch „weißer Langbinder“ genannten Stücks Tuch um den Hals schon seit  Jahrzehnten immer wieder zu Kontroversen geführt hat und dass inzwischen zahlreiche Kollegen mit farbigen Krawatten oder auch ohne Krawatte zur Verhandlung erscheinen. Von den allermeisten Gerichten wird dies inzwischen beanstandungslos hingenommen, so dass ich nicht nachvollziehen kann, welches Gewohnheitsrecht denn da gemeint ist. Das gilt auch für mich selbst, der ich schon bei meiner Vereidigung im Jahr 1985 darüber einen unerfreulichen Disput mit dem Landgerichtspräsidenten geführt habe und Anfang der 90er Jahre mal in der „Rheinischen Post“ unter der Überschrift „Keine Krawatte, kein Prozeß“ für eine Schlagzeile gesorgt habe.

Ich erinnere mich noch heute, ohne dass ich das nachlesen muss, an eine Entscheidung des OLG Zweibrücken aus dem Jahr 1987, die in der NStZ 88, 144 veröffentlich worden ist. „Von der beanstandenden Kleidung des Verteidigers ging eine ernsthafte Gefahr für den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens … nicht aus“, meinte das OLG damals. Später hat der Bundesgerichtshof einen Befangenheitsantrag, den der Angeklagte gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Frankenthal gestellt hatte, im Revisionsverfahren als begründet angesehen und das Urteil deshalb aufgehoben (BGH, Beschluß vom 09.08.1988 – 4 StR 222/88). In der Entscheidung heißt es:

„Die StrK hat den Ablehnungsantrag zu Unrecht verworfen. Der Senat hat die im Ablehnungsantrag enthaltene Begründung nach Beschwerdegrundsätzen zu würdigen (BGHSt 23, BGHST Jahr 23 Seite 265 ff.). Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, daß der Angekl. Anlaß hatte, an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu zweifeln. Dabei konnte der Grund hierfür nicht – wie die StrK angenommen hat – in dem Hinweis des Vorsitzenden auf die Amtstracht der Rechtsanwälte liegen. Vielmehr leitete sich diese Besorgnis daraus her, daß der Vorsitzende – worauf die StrK in ihrem Beschluß nicht eingeht – die seiner Ansicht nach unvorschriftsmäßige Kleidung des Verteidigers zum Anlaß genommen hatte, den Verteidiger von der Verteidigung zu entbinden. Eine unvorschriftsmäßige Kleidung des Verteidigers (vgl. aber Nr. 2.1 S. 3 der Verwaltungsvorschrift über die Amtstracht bei den Gerichten des Ministeriums der Justiz v. 3. 9. 1981, JblRhPf 1981, 221, wonach Rechtsanwälte “entsprechende Kleidungsstücke in unauffälliger Farbe tragen” können) hätte jedoch höchstens Veranlassung zu einer Mitteilung des Vorsitzenden an die Rechtsanwaltskammer geben können; ein Grund für eine Zurücknahme der Verteidigerbestellung konnte darin nicht gefunden werden, weil der ordnungsgemäße Verfahrensablauf hierdurch nicht gefährdet war (vgl. Kleinknecht/Meyer, 38. Aufl., § 143 Rn 3 ff. mwN; und den in dieser Sache ergangenen Beschl. des OLG Zweibrücken, NStZ 1988, NSTZ Jahr 1988 Seite 144).

Durch dieses Verhalten des Vorsitzenden wurde dem unter einem schweren Vorwurf stehenden, seit mehreren Monaten in U-Haft befindlichen Angekl. wegen (möglicher) Nichteinhaltung der Kleiderordnung eines Rechtsanwalts der Verteidiger seines Vertrauens entzogen. Das konnte in dem Angekl., für den in diesem Verfahren viel auf dem Spiel stand, die Befürchtung aufkommen lassen, der Vorsitzende werde die Interessen des Angekl. auch sonst nicht ausreichend berücksichtigen.“

Dem gegenüber ist die jetzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein echter Rückschritt. Und einzelne Argumentationsstränge verursachen Schmerzen. So heißt es dort tatsächlich:

„Die vom Oberlandesgericht bestätigte Zurückweisung als Verteidiger stellte das im Hinblick auf das Gewicht des Eingriffs am wenigsten schwerwiegende Mittel dar (vgl. BVerfG 28, 21, 35). Der Beschwerdeführer kann ähnliche Maßnahmen künftig abwenden, indem er eine Krawatte anlegt. Dies stellt für ihn – auch mit Blick auf die Interessen seines Mandanten an einem zügigen Prozessverlauf – keine unzumutbare Belastung dar (vgl. BVerfGE 34, 138, 139). Die angegriffene sitzungspolizeiliche Maßnahme mag im Hinblick auf die möglicherweise erschöpfende Regelung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Beschwerdeführers überzogen erscheinen, betrifft ihn aber weder nach ihrem Gegenstand noch wegen der aus ihr folgenden Belastung in existentieller Weise. Die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers wurde außerhalb des Hauptverhandlungstermins, in dem die Zurückweisung erfolgte, nicht beschränkt. Ausweislich des der Verfassungsbeschwerde beigefügten Sitzungsprotokolls ist seine Ladung zu einem neuen Hauptverhandlungstermin angeordnet worden. Ein über das Erscheinen zu dem neu anberaumten Termin hinausgehender Nachteil ist nicht ersichtlich.“

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die angegriffene sitzungspolizeiliche Maßnahme mag im Hinblick auf die möglicherweise erschöpfende Regelung des § 59b Abs. 2 Nr. 6 BRAO „rechtlich bedenklich und als Reaktion auf das Verhalten des Beschwerdeführers überzogen“ erscheinen, aber das ist noch lange keine Grund, darin eine verfassungsrechtlich relevante Verletzung von Freiheitsrechten zu sehen. Mit anderen Worten: Der Verteidiger muss rechtlich bedenkliche und überzogene Reaktionen des Gerichts hinnehmen, wenn er weiter verteidigen will. Er muss sich halt fügen und soll mal ja nicht mit der Verfassung kommen. Vielleicht ist die ja nur für andere gemacht?

Für mich ist das Nichttragen einer Krawatte seit mehr als einem Vierteljahrhundert zu einer Art Markenzeichen geworden. Jeder Richter, der mich etwas länger kennt, würde vermutlich einen bösartigen Schachzug oder eine perfide neue Verteidigungsstrategie vermuten, wenn ich plötzlich mit einem weißen Langbinder vor Gericht erscheinen würde. Ich habe übrigens auch in Bayern noch nie eine Krawatte vor Gericht getragen. Und auch beim Bundesgerichtshof war das nie ein Problem.


Kategorie: Strafblog
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