Zum Gegenstand der Anklage und zum Beginn des Mordversuchs – Manchmal reicht schon das Klingeln an der Haustür



Veröffentlicht am 11. März 2012 von

Eingang zum Bundesgerichtshof, Foto: wikimedia commons

Ein ganz realer Krimi war das, was sich im Frühjahr 2010 im Zuständigkeitsbereich des Stuttgarter Landgerichts abgespielt und den 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu einem nicht nur für Strafjuristen interessanten Urteil veranlasst hat.

Die Angeklagte war aus hier nicht näher zu erörternden (und mir auch nicht bekannten) Gründen zu der Überzeugung gelangt, ihre ehemalige Freundin und Arbeitskollegin R. versuche, durch „legale Machenschaften“ ihr Leben zu zerstören. Deshalb beschloss die Angeklagte, sich an R. zu rächen und diese gegebenenfalls zu töten. Sie rief am 15.3.2010 bei R. an und teilte ihr ohne Namensnennung mit: „Du bist tot.“ Nachdem sie sich vergeblich um den Erwerb einer Schusswaffe bemüht hatte, packte sie am 13. Mai 2010 – es war Christi Himmelfahrt – mehrere Messer und einen Teleskopschlagstock in ihre Tasche  und fuhr zu R., um diese mit einem Messer anzugreifen und „unter Umständen lebensgefährlich zu verletzen“. Sie gelangte in das Wohnhaus, in dem R. wohnte, und klingelte an deren Wohnungstür. Dabei hatte sie ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von ca. 13 cm in der Hand. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte sie R. unmittelbar nach dem Öffnen der Tür angreifen. Allerdings wurde die Tür dann entgegen ihren Erwartungen nicht von R., sondern von deren Lebensgefährten H. geöffnet. Die Angeklagte machte eine Stichbewegung gegen dessen Oberkörper.  Als sie versuchte, sich an ihm vorbei in die Wohnung zu drängen, gelang es H.,  die Angeklagte zu umklammern und festzuhalten. Um sich zu befreien, schnitt diese ihm mit dem Messer in den Unterarm. Als H. sie immer noch nicht losließ, biss sie in seinen Arm.  Dem bedauernswerten H. gelang es, sie in den Hausflur zu schieben und die Tür hinter ihr zu verschließen.

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des H. zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Einen Tötungsvorsatz bezüglich H. habe sie nicht gehabt. Ihr eigentliches Angriffsziel sei nicht H., sondern die R. gewesen. An H. habe sie sich nur vorbeidrängen wollen und ihm schließlich mit geringer Kraft in den Arm geschnitten und gebissen, um sich zu befreien.

Das Verhalten gegenüber R. hat das Landgericht Stuttgart nicht abgeurteilt, weil dieses nach seiner Auffassung nicht angeklagt gewesen sei. Ein versuchter Mord sei nach der so auch eröffneten Anklageschrift nur in Bezug auf H. angeklagt worden.

Der 1. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 9.8.2011 – 1 StR 194/11 -, abgedruckt in NStZ 2012, 85, klargestellt, dass das Tatgericht nach § 264 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstelle, unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aburteilen müsse. Es sei verpflichtet, den Unrechtsgehalt der „Tat“ voll auszuschöpfen, sofern keine rechtlichen Hindernisse im Wege stünden. Gegebenenfalls müssten rechtliche Hinweise nach § 265 Abs. 1 StPO erfolgen. Vorliegend habe nicht nur der Angriff auf H., sondern das gesamte strafrechtlich relevante Verhalten der Angeklagten am Tattag, das auch die geplante Tötung der R. umfasste, zur Tat gehört. Es handele sich aufgrund des engen zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhangs um einen einheitlichen Lebensvorgang, und zwar unabhängig davon, ob sachlich-rechtlich eine oder mehrere Taten vorgelegen hätten. Insoweit hätte das Landgericht auch den Vorwurf des versuchten Mordes zum Nachteil der R. prüfen müssen.

Zur Sache hat der 1. Strafsenat weiter ausgeführt, es liege nahe, dass sich die Angeklagte wegen eines versuchten Mordes zum Nachteil der R. strafbar gemacht habe. Die Vorgeschichte und Tatmotivation deuteten auf einen entsprechenden Vorsatz hin. Die Angeklagte dürfte auch unmittelbar zur Tat angesetzt haben, als sie an der Wohnungstür klingelte. Nach  den Feststellungen des Landgerichts habe sie das Überraschungsmoment für den geplanten Messereinsatz ausnutzen wollen, da sie davon ausging, R. und nicht ihr Lebensgefährte würde die Tür öffnen.

Jetzt muss die Sache erneut vor einer anderen Kammer des Landgerichts Stuttgart verhandelt und entschieden werden. Nach der Vorgabe des BGH sieht es wohl nicht besonders gut aus  für die Angeklagte …


Kategorie: Strafblog
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