Zwecklügen des Bundeskriminalamtes als Stimmungsmache im Piratenverfahren?



Veröffentlicht am 24. Mai 2012 von

Ich weiß nicht genau, ob es gestern der 90. Verhandlungstag im Hamburger Piratenverfahren war, aber so um den Dreh ist das schon richtig. Und es war durchaus interessant, was wir dort zu hören bekamen. Auf dem Programm stand die Vernehmung eines auch schon einmal mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Journalisten, der seit 40 Jahren aus Krisengebieten berichtet. Der Mann war mit dem deutsch-amerikanischen Journalisten Michael Scott Moore in Somalia gewesen, kurz bevor dieser dort von Geiselnehmern gekidnapped wurde. Und er war auch in Indien gewesen und hatte dort Gelegenheit gehabt, mit zwei von der Verteidigung eines Angeklagten benannten Zeugen zu sprechen, die Besatzungsmitglieder der Dhau Hud Hud gewesen waren, die als „Mutterschiff“ bei der Kaperung des deutschen Frachters MS Taipan eingesetzt worden war. Über dieses Gespräch mit den beiden indischen Zeugen war der Journalist von drei Beamten des Bundeskriminalamtes vernommen worden, und die hatten darüber einen Vermerk gefertigt, der dem Gericht zugeleitet und von diesem zur Akte genommen wurde. Unter anderem heißt es in diesem Vermerk, die Besatzung der Hud Hud sei von den Piraten „dauerhaft gequält worden“, und zwar auch von dem in Deutschland als Jugendlicher angesehenen Piraten, also von meinem Mandanten.

In der gestrigen Hauptverhandlung hörte sich das dann doch ziemlich anders an. Der Journalist erklärte, nachdem er über seine Wahrheitspflichten belehrt worden war, dass er den Begriff des „Quälens“ nicht gebraucht hätte. Dies sei ihm von den Indern auch nicht berichtet worden. Diese hätten ihm gegenüber angegeben, nicht geschlagen oder misshandelt worden zu sein. Wohl seien sie schon mal bedroht worden, auch mal mit Waffen. Von dem Jugendlichen hätten die Inder nicht speziell berichtet, sie hätten da überhaupt nicht zwischen den Piraten differenziert. Er selbst habe das auch nicht dem BKA berichtet. Das Interview mit den beiden Indern habe er mit der Kamera aufgenommen, das könne man sich anschauen. Soweit es in früheren Polizeiberichten heiße, die beiden Inder sprächen nur die Heimatsprache ihrer Provinz, aber nicht die indische Hauptsprache Urdu, treffe auch das nicht zu. Er hätte mit beiden Urdu gesprochen. Auch das könne man auf dem Video sehen bzw. hören.

Merkwürdig ist das schon, finde ich. Es erstaunt, dass die sicher erfahrenen Polizeibeamten in ihrem Vermerk den Begriff des „Quälens“ verwenden, aber nicht darlegen, was damit überhaupt inhaltlich gemeint ist. Da würde man sich doch etwas mehr Präzision wünschen, weil unter diesem Begriff vieles verstanden werden kann. Nachfragen können da durchaus weiterhelfen. Es sei denn, es geht um bloße Stimmungsmache. Aber laut der Aussage des Journalisten will er diesen Begriff ja gar nicht verwendet haben. Und ich hatte durchaus den Eindruck, dass der Mann wusste, was er sagt. Und es macht auch wenig Sinn, dass die Inder gesagt haben sollen, sie seien auch von dem in Deutschland als Jugendlichen angesehenen Piraten gequält worden. Woher sollen sie überhaupt wissen, wer von den insgesamt 15 auf der Dhau anwesenden Somalier von einem deutschen Gericht nach Einholung von Alterbestimmungsgutachten als Jugendlicher angesehen wird? Der Journalist hat mit ihnen jedenfalls nicht darüber geredet, sagt er. Das Thema „Jugendlicher“ oder „Heranwachsender“ sei gar nicht angesprochen worden. Wir werden die Aufnahmen von der Befragung der Inder wohl zu sehen bekommen. Dann wissen wir konkret, was sie gesagt haben. Aber ich frage mich jetzt schon, warum die BKA-Beamten solche Vermerke schreiben.

Weiter hat der Journalist bekundet, dass die Kaperung der MS Taipan nach seinen Recherchen von dem Bruder eines der Angeklagten finanziert worden sei. Dabei soll es sich um den Angeklagten Khalief D. handeln, der zuletzt durch umfassende Aussagen gegen die Mitangeklagten von sich reden machte und der angegeben hat, er selbst habe nur eine untergeordnete Rolle als Dolmetscher gespielt. Daraufhin war er von 2 Mitangeklagten als einer der Drahtzieher der Aktion bezeichnet worden. Wenn das mal kein Eigentor wird …

Der Angeklagte, der die Vernehmung der beiden Inder mit der Behauptung beantragt hatte, diese könnten bekunden, dass er mit Waffengewalt an Bord der Dhau gebracht und zur Teilnahme an der kaperung der MS Taipan gezwungen wurde, kann aus der Vernehmung des Journalisten bislang nur wenig Honig saugen. Solche Beobachtungen seien ihm nicht mitgeteilt worden, meinte der Mann.

Der heutige Verhandlungstag ist vom Gericht aufgehoben worden. Am 4.6. soll es weitergehen. Es bleibt spannend.


Kategorie: Strafblog
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