Es gibt Mandanten, die haben so ihre Besonderheiten, mit denen man umgehen können muss. Einer von diesen ist Herbert M. (der heißt in Wirklichkeit natürlich anders), der seit Jahren an einer bipolaren Störung leidet und ganz gerne damit kokettiert. Der Mann hat ein unglaubliches Redebedürfnis, wenn er vorbeikommt oder anruft, es ist schwer, bei ihm zu Wort zu kommen. Zumeist beantwortet er die Fragen, die er stellt, sofort selbst und kommentiert dann auch gleich seine Antworten, und ansonsten schimpft er auf alle Richter, Gutachter und Anwälte, mit denen er bislang zu tun hatte. Auf mich schimpft er auch gerne, ich kenne die Akte nicht so auswendig wie er, ich muss doch eine Möglichkeit finden, den opulenten Tatvorwurf von vornherein wegzukriegen (immerhin ist er nicht in Haft), ich soll meine Mitarbeiter dazu anhalten, höflicher mit ihm umzugehen (er ist bisweilen ziemlich unflätig zu meinen Mädels, das liegt wohl an seiner bipolaren Störung), undsoweiterundsofort. „Jetzt habe ich 98 Prozent unserer Zeit geredet“, meinte er bei unserem letzten Telefonat irgendwann in unverhoffter Einsicht, „das werde ich irgendwie wiedergutmachen, Sie bekommen ein Geschenk von mir, irgendwas von Marilyn Monroe oder so.“
Um dann mit der Frage anzuschließen, ob wir nicht unsere Pressemappe vermissen, die im Wartezimmer ausgelegen hat. Die würden wir doch bestimmt schon seit geraumer Zeit suchen, könne er sich vorstellen (womit der Mann Recht hat). Er blättere gerade darin, sei ja ganz schön interessant zu lesen, womit wir uns so beschäftigen. Ich unterdrücke die leichte Empörung, die in mir aufsteigt, der Mann ist ja nun mal ziemlich gestört, und irgendwie passt das zu ihm. „Bringen Sie die Pressemappe vorbei, sonst kann ich Sie nicht weiter vertreten“, sage ich halbwegs gnädig und frage mich, warum ich mir solche Mandate überhaupt antue. Aber gerade solche Menschen brauchen ja Hilfe, die leben in einer sehr eigenen Welt und können vielleicht nicht anders. Ich überlege mir, ob ich den Diebstahl der Pressemappe nicht als Verteidigungsargument benutzen kann, um nachzuweisen, dass der Mann wirklich an einer manifesten Störung leidet, die seine strafrechtliche Verantwortlichkeit generell in Zweifel stellt. Andererseits, man muss vorsichtig sein, damit es nicht zu einer erneuten Unterbringung nach § 63 StGB kommt, so was gab schon einmal bei dem Mann, und eine Wiederholung scheut er wie der Teufel das Weihwasser.
Mal sehen, wann er die Pressemappe vorbeibringt, ich bin da ganz zuversichtlich ….
Kategorie: Strafblog
Permalink: Ach, übrigens, ich habe Ihre Pressemappe geklaut…
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