Ausbootung eines aufmüpfigen Pflichtverteidigers



Veröffentlicht am 9. April 2013 von

 

Reichlich sonderbar hört sich an, was mir ein Kollege über den Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens berichtet hat, in dem ich jetzt mit ihm gemeinsam das Berufungsverfahren durchführen werde.

Es geht unter anderem um Stalking und sexuelle Nötigung. Dem Mandanten war neben seinem früheren Wahlverteidiger, der später ebenfalls beigeordnet wurde, der Kollege  als Sicherungsverteidiger bestellt worden. Der hat das Wort „Verteidigung“ ernst genommen und für seinen bestreitenden Mandanten bei komplexer Beweislage zahlreiche Beweisanträge und auch ein paar Befangenheitsanträge gestellt. Damit hat er sich den Unmut der jungen   Schöffengerichtsvorsitzenden zugezogen. Um die 20 Verhandlungstage hatte das Verfahren schon gedauert, drei weitere Tage waren noch  vorgesehen. Am eigentlich drittletzten Tag war der unbequeme Pflichtverteidiger verhindert.  Hierin sah die Richterin wohl ihre Chance, den aufmüpfigen Juristen loszuwerden. Sie verhandelte nämlich bis in den späten Nachmittag und schloss dann gegen 17 Uhr die Beweisaufnahme und forderte die Staatsanwaltschaft und den verbliebenen Verteidiger auf, die Schlussvorträge zu halten, was diese auch taten. Der anwesende Verteidiger sah anscheinend keine Veranlassung, das ziemlich schändliche Treiben zu unterbinden. Bis nach 19 Uhr dauerten die Plädoyers.

Und – so darf man mutmaßen – damit der abwesende Kollege am nächsten Verhandlungstag keinen Antrag auf Wiedereintritt in die Beweisaufnahme stellen konnte, wurde  die Urteilsverkündung auf 20 oder sogar 21 Uhr anberaumt. Da wurden dann mehr als drei Jahre Freiheitsstrafe verkündet, ohne vernünftigen Zweifel natürlich, wie sich das gehört.

Mal sehen, was sich im Berufungsverfahren verändern lässt. Ohne den anderen Kollegen, der das Alles widerstandslos geschehen ließ. Den will der Mandant nämlich nicht mehr.

 


Kategorie: Strafblog
Permalink: Ausbootung eines aufmüpfigen Pflichtverteidigers
Schlagworte: