Behinderung der Verteidigung durch Kompetenzwirrwarr und Personalmangel – Dann suche ich die Akte eben selbst



Veröffentlicht am 2. Juli 2013 von

AktenpaketeSeit satten 5 1/2 Wochen habe ich in einer Strafvollstreckungssache vergeblich auf die Akte gewartet, jetzt bin ich zur Selbsthilfe geschritten. Der Mandant ist schon vor Jahren zu einer – inzwischen längst rechtskräftigen – nicht bewährungsfähigen Strafe verurteilt worden. Der seinerzeitige auf Fluchtgefahr gestützte Haftbefehl war gegen Zahlung einer höheren Kaution ausgesetzt und dem Mandanten gestattet worden, bis zur Rechtskraft der Entscheidung und einer Ladung zum Strafantritt – falls es soweit kommen sollte – an seinen Wohnsitz in Spanien zurückzukehren. In Spanien war er dann wegen einer anderen Sache durch die dortige Justiz in Untersuchungshaft genommen worden. Später wurde er von der Haft verschont, hatte allerdings die Auflage, Spanien nicht zu verlassen. Erst im vergangenen Jahr ist die Auflage entfallen, nachdem er rechtskräftig freigesprochen worden war.  All dies war der hiesigen Staatsanwaltschaft nach Angaben meines Mandanten bekannt. Insbesondere war sie auch immer über den Aufenthalt des Mannes unterrichtet.

Ohne dass er je eine Ladung zum Strafantritt wegen der in Deutschland zu verbüßenden Freiheitsstrafe erhalten hätte, hat die hiesige Staatsanwaltschaft schon vor geraumer Zeit einen Europäischen Haftbefehl gegen den Mann erwirkt, der jetzt durch die spanischen Behörden vollstreckt werden soll. Mein Mandant hat hiervon, bevor er mich mandatiert hat, erfahren und der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, er wolle sich der Vollstreckung stellen und habe sich dem Verfahren auch nie entzogen. Man solle ihm doch eine ordnungsgemäße Ladung zum Strafantritt zukommen lassen und das Auslieferungsersuchen stoppen. Das wurde abgelehnt. Ich habe die betreffenden Anträge wiederholt und um Akteneinsicht gebeten, um die Anträge ergänzend begründen zu können. Seitdem zieht sich die Sache wie Kaugummi. Immerhin hatte ich Einsicht in das Vollstreckungsheft, aber daraus ergibt sich nicht,  auf welcher Grundlage der aktuelle Haftbefehl  erlassen wurde und wer das veranlasst hat. Oder ob zum Beispiel zuvor Kontakt mit der spanischen Justiz aufgenommen wurde, um abzuklären, ob der Mann nicht vielleicht doch zum Zwecke der hiesigen Vollstreckung ausreisen könne.

Also habe ich telefoniert. Die zuständige Staatsanwältin meinte, ich solle mich an die Rechtspflegerin wenden. Wer das ist, könne sie nicht sagen, es geben einen hohen Krankenstand und ständig wechselnde Vertretungsregelungen. Da solle ich bei der Geschäftsstelle nachfragen. Die Geschäftsstelle war nicht besetzt. Jedenfalls hob niemand ab. Nicht an jenem Tag, nicht am nächsten, nicht am übernächsten. Irgendwann hatte meine Sekretärin dann aber doch jemanden an der Strippe. Die Rechtspflegerin X ist zuständig, aber die ist gerade in Urlaub. Sie wird vertreten durch Frau Y, aber die kennt die Sache bestimmt nicht. Ich habe nach etlichen vergeblichen Anläufen mit Frau Y gesprochen. Die war sehr verständnisvoll und versprach, sich zu kümmern. Ich solle morgen noch einmal anrufen. Am nächsten Tag war sie nicht zu erreichen, aber am übernächsten dann doch.  Die Hauptakte befinde sich derzeit bei einem auswärtigen Gericht, wurde ich beschieden. Dann sollte sie von dort eilig angefordert werden, habe ich geantwortet, damit ich auf zureichender Tatsachengrundlage agieren kann. Das müsse ich mit der Staatsanwältin klären, lautete die Antwort. Die Staatsanwältin hat mir versprochen, sie würde das Erforderliche in die Wege leiten. Allerdings wisse sie auch nicht, welche Rechtspflegerin derzeit zuständig sei. Das wechsele ja ständig. Nach zwei Wochen hatte ich trotz Erinnerung immer noch keine Akte. Dafür lag mir ein Bescheid der Rechtspflegerin X vor, dass meine Anträge abgelehnt seien. Ich habe dort angerufen und gefragt, auf welcher Grundlage sie entschieden habe. Ob ihr inzwischen die Hauptakte vorgelegen habe? Nein, das sei nicht der Fall, aber sie gehe davon aus, dass der Haftbefehl rechtens sei, immerhin habe ja ein zweiter Staatsanwalt – ein Abteilungsleiter – das Rechtshilfegesuch an die spanischen Behörden unterschrieben und dann sicher alles ordentlich geprüft.

Die Staatsanwältin hat mir noch einmal versichert, dass sie die Akten von dem auswärtigen Gericht zurückgefordert habe. Sie werde jetzt noch einmal nachhaken. Mehr könne sie nicht tun.

Am vergangenen Freitag habe ich die Rechtspflegerin Y telefonisch erreicht. Ja, die Akte sei da, die müsse irgendwo in der Behörde herumschwirren. Sie werde sich kümmern und mich möglichst noch am selben Tag zurückrufen. Bis heute morgen kam kein Rückruf. Also habe ich wieder dort angerufen und genervt. Nein, heute sei sie nicht mehr zuständig für die Akte, das sei jetzt wieder Frau X. Frau X habe ich – welch Wunder – gleich darauf an den Hörer bekommen. Ja, sie hätte die Akte heute morgen noch gehabt und zunächst einmal an die Dezernentin, also die Staatsanwältin, abverfügt. Sie könne mir die Akte ja schließlich nicht zukommen lassen, bevor die Staatsanwältin sie gesehen habe. Die Staatsanwältin hatte die Akte noch nicht. Aber, so meinte sie zu mir, es sei ja schön zu wissen, dass sie mittlerweile im Hause angekommen sei. Sobald sie die Akte auf dem Tisch habe, werde sie verfügen, dass diese an mich weitergeleitet wird. Vielleicht sei das ja schon morgen.

Ich habe gefragt, ob ich die Akte nicht selbst auf der Geschäftsstelle abholen könne, falls sie noch dort sei. Nein, dagegen habe sie nichts, meinte die Staatsanwältin. Also bin ich rüber zur Geschäftsstelle getapert und habe mich nach der Akte erkundigt. „Die liegt dem Staatsanwalt vor“, sagte mir die Geschäftstellendame. „Dem Staatsanwalt?“, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nicht der Staatsanwältin?“ “ Nein, ich glaube, dafür ist Staatsanwalt Z zuständig.“

Wir sind rübergegangen zum Zimmer von Staatsanwalt Z. Die Frau von der Geschäftstelle verschwand nach kurzem Anklopfen in dessen Zimmer und schlug mir die Tür vor der Nase zu. Durch die Tür hörte ich, wie sie mit dem Staatsanwalt Zuständigkeitsfragen erörterte. Ich entschloss mich, kurz anzuklopfen und ohne weiteres Warten das Zimmer zu betreten. Staatsanwalt Z. nickte mir freundlich zu. Er hatte gerade durch einen Blick in den Computer festgestellt, dass er nicht zuständig ist.  So etwas befreit vielleicht.

Wir haben noch kurz den Personalnotstand in der Justiz erörtert. Die Arbeit häufe sich, es fehlten Mitarbeiter an allen Ecken und Enden, „glauben Sie mir, dass macht keinen Spaß!“, meinte der Staatsanwalt. (Jawohl, ich glaube!) Bergeweise Arbeitsrückstände beklagte der Mann und räsonierte, ob die Politik das vielleicht mit Absicht mache.

Ich bin rüber zur Geschäftsstelle, wo die betreffende Dame sich gerade telefonisch bei der Staatsanwältin vergewissert hatte, dass sie mir die Akte wirklich mitgeben dürfe. „Aber nur bis morgen!“, bekam ich noch mit auf den Weg. „Das versteht sich von selbst, die Sache eilt ja!“, dachte ich auf dem Rückweg in die Kanzlei.

Jetzt bin ich gespannt, was in der Akte drin steht….


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