„Schreibt nicht so viel!“ – Rechtsschutzverkürzung durch Verknappung der Urteilsgründe?



Veröffentlicht am 30. Juni 2013 von

„Die Not beim BGH muss groß sein“, schreibt der frühere Vorsitzende Richter am OLG Hamm und engagierte Blogger Detlef Burhoff im Jurion Strafrecht Blog und bezieht sich dabei auf zwei neuere BGH-Beschlüsse des 3. Strafsenats, in denen erneut an die Tatgerichte appelliert wird, sich beim Abfassen der schriftlichen Urteilsgründe knapp zu halten. Mag man die Erwägungen zur oft ausufernden Darstellung von Vorstrafen noch akzeptieren können, so geben die Ausführungen zur Beweiswürdigung doch allerlei Anlass zur Sorge:

Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Es ist regelmäßig untunlich, die Zeugenaussagen aus dem Ermittlungsverfahren und aus der Hauptverhandlung der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen und den Inhalt der überwachten Telekommunikation wörtlich oder auch nur in einer ausführlichen Inhaltsangabe wiederzugeben (hier UA S. 8 bis 26). Dies gilt gleichermaßen, wenn diese Dokumentation in den tatsächlichen Feststellungen oder – gleichsam als Anhang dazu – der eigentlichen Beweiswürdigung vorangestellt wird. Ein solches Vorgehen kann die Besorgnis begründen, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen und unter – hier wegen der weiteren Ausführungen UA S. 29 bis 44 allerdings nicht gegebenen – Umständen den Bestand des Urteils gefährden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1998 – 4 StR 106/98, NStZ-RR 1998, 277 mwN).”,

heißt es in dem von Burhoff zitierten Beschluss vom 28.5.2013.

Als Verteidiger sind wir ohnehin immer wieder entsetzt über die tatrichterliche Beweiswürdigung, wenn wir die schriftlichen Urteilsgründe lesen. Da wird über erhebliche Widersprüche in der Beweisaufnahme einfach hinweggebügelt, nicht zum Wunschergebnis passende Zeugenaussagen oder Einlassungsteile werden weggelassen oder manchmal sogar inhaltlich ins Gegenteil der tatsächlichen Bekundungen verkehrt. Die Aktenwidrigkeit von Urteilsfeststellungen lässt sich nur selten in Revisionserfolge ummünzen  und insgesamt ist die Revision, wie jeder Strafverteidiger weiß, oft genug ein stumpfes Schwert. Das wird nicht gerade schärfer, wenn sich die Gerichte bei der Beweiswürdigung noch kürzer halten (müssen oder dürfen). Immerhin sind Beweiswürdigungsfehler bei den statistisch eher selten erfolgreichen Sachrügen durchaus brauchbare Ansatzpunkte für die Revision. Je weniger die Beweisaufnahme im Urteil dokumentiert wird, umso mehr sinken auch die Chancen, hieraus Widersprüche in der Beweiswürdigung abzuleiten. Anders ausgedrückt: Wer viel schreibt, macht auch eher Fehler als derjenige, der sich auf das Minimum beschränkt. Fragt sich, wie das Revisionsgericht die Verhandlung noch nachvollziehen will, wenn einerseits im landgerichtlichen Verfahren keine Inhalte der Beweisaufnahme, sondern nur die Formalien protokolliert werden und andererseits im schriftlichen Urteil die Beweisaufnahme nur in den groben Grundzügen dargestellt werden muss und soll. Das lässt dem Tatgericht fast jeden Spielraum, sein Urteil durch Verknappung revisionssicher zu begründen.

Für den Angeklagten wird die Luft in der Revision folglich immer dünner. Die Verteidigung muss sich deshalb noch mehr als ohnehin schon darauf kaprizieren, durch Beweis- und andere Anträge  Grundlagen für etwaige Verfahrensrügen zu schaffen. Denn darauf zu setzen, dass die Tatrichter auf der Grundlage ihrer Tatsachenfeststellungen bei der konkreten Rechtsanwendung Subsumtionsfehler machen, die den Weg zu einer erfolgreichen Sachrüge eröffnen, ist ein ziemlich dünnes Eis.


Kategorie: Strafblog
Permalink: „Schreibt nicht so viel!“ – Rechtsschutzverkürzung durch Verknappung der Urteilsgründe?
Schlagworte: