„Big Brother is watching you“ – Ein Dauerbrenner: Überlastete Justiz



Veröffentlicht am 6. Januar 2015 von

rp_SAM_0307-300x200.jpgNotstand in der Justiz: Generalstaatsanwälte beklagen Überlastung überschreibt spiegel-online einen Beitrag vom gestrigen Tage und reiht sich damit  in eine Fülle von Pressebeiträgen zum selben Thema ein, mit denen wir Leser seit Jahren in schöner Regelmäßigkeit überzogen werden.

Wer bei Google das Stichwort „Überlastete Justiz“ in die Suchmaske eingibt, wird in beängstigendem Maße fündig: „Überlastete Beamte vor Aktenbergen“ hieß es bereits am 07.08.2003 im KÖLNER STADTANZEIGER. „Überlastete Justiz gefährdet die Sicherheit“ meinte die WELT am 12.05.2007. „Staatsanwaltschaft meldet `Land unter`“ war am 27.02.2008  im LawBlog zu lesen. Im Zweifel für den Aktenberg – Gerichte sind überlastet“,  sorgte sich die WAZ am 12.12.2011, und legte ein knappes Jahr später mit dem Titel „Richterbund warnt vor „zu vielen“ Frauen in der Justiz“ nach. Die hohe Frauenquote in nordrhein-westfälischen Gerichten und Staatsanwaltschaften gefährde die Funktionsfähigkeit der Justiz, sorgte sich damals Reiner Lindemann, der Vorsitzende des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW. Nicht etwa wegen fehlender Qualifikation der Juristinnen, aber wegen der in Anspruch genommenen Familienzeiten sei die Anzahl der Frauen ein Problem geworden.

Die Zitate sind nur beispielhaft wiedergegeben, es ist natürlich viel mehr zu dem Thema geschrieben worden. Das klingt so, als sei richtig Panik angesagt. Um so beruhigender ist es festzustellen, dass sich die Erde dennoch weiter dreht, Deutschland noch nicht zur freien Spielwiese für das organisierte und unorganisierte Verbrechen geworden ist und die meisten von uns sich im öffentlichen Straßenraum und Zuhause noch einigermaßen sicher fühlen können.

Die Ermittlungsbehörden scheiterten immer öfter daran, sichergestelltes Beweismaterial rechtzeitig auszuwerten, hätten die Generalstaatsanwälte bei einem internen Treffen beklagt, berichtet spiegel-online in dem eingangs erwähnten Beitrag. Insbesondere habe der Umfang von bei Durchsuchungen sichergestellten Daten auf Computer-Festplatten, USB-Sticks und Handys vehement zugenommen. Wenn die Daten nicht innerhalb von 9 Monaten ausgewertet werden könnten, müssten die Datenträger unausgelesen zurückgegeben werden. Um das zu verhindern, so die Strafverfolger, würden inzwischen nicht mehr alle vorliegenden Beweise ausgewertet, sondern nur noch diejenigen, die den eigentlichen Verdacht stützen und dazu beitragen, den Prozess zügig abzuschließen. Es bestehe die Gefahr, dass weitere oder schwerere Straftaten übersehen würden.

Das klingt schrecklich, oder?  Ich wiederhole: „Nur noch die Beweise werden ausgewertet, die den eigentlichen Verdacht stützen.“ Wo kommen wir denn da hin? Also kein total gläserner Verdächtiger! Dabei könnte man bei intensivem Nachgraben doch vielleicht noch Dinge herausfinden, von denen bislang noch keinerlei Rede ist. Und beim Nachbarn des Verdächtigen vielleicht auch! Und bei dessen Kindern! Daten sind eigentlich grundsätzlich verdächtig, das wissen wir von der NSA! Und der Fall Edathy hat das auch bestätigt! Da bräuchte man viel mehr Personal, um das Alles auszuwerten.

Als Verteidiger wundere ich mich häufig darüber, wie lange manche Ermittlungsverfahren dauern, das stimmt. Vielleicht wäre das ja anders, wenn sich die Strafverfolger wirklich auf die Erhebung der verdachtsspezifischen Beweise beschränken würden.  Ich wundere mich  oft darüber, wie echte Bagatellstraftaten mit großer Akribie und ungewöhnlichem Aufwand und Verfolgungseifer bis ins Detail ermittelt werden, während sehr viel gewichtigere Sachen oft monatelang und noch länger unbearbeitet bleiben. Da könnte man unter sachgerechter Anwendung des strafprozessualen Opportunitätsprinzips viel Arbeitskraft freischaufeln. Die komplizierten Regelungen zur Verständigung im Strafverfahren mit umfangreichen Dokumentationspflichten über jedes verfahrensrelevante Gespräch tragen auch nicht gerade zur Verfahrensbeschleunigung bei. Vielleicht müsste da man da manches Regelungsstrauchwerk wieder beseitigen.

Ich denke, dass viel Überlastungsgeschrei hausgemacht ist. In einer freiheitlichen Gesellschaft muss auch nicht Alles bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet werden, sonst bleibt die Freiheit irgendwann auf der Strecke. Ich will kein „Big Brother is watching you!“


Kategorie: Strafblog
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