Da hat der Mann aber Glück: Zur Relativität staatsanwaltlicher und richterlicher Entscheidungen



Veröffentlicht am 16. Juni 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Nicht erst seit der Causa Hoeneß oder der Causa Wulff, nein, auch aus anderen, weniger spektakulären Verfahren wissen wir, dass staatsanwaltliche und richterliche Entscheidungen von vielen oft nur schwer nachvollziehbaren Faktoren abhängig sind und dass es vergleichende Gerechtigkeit ohnehin nicht gibt. Unsere Mandaten führen uns das mit vielen Beispielen immer wieder vor Augen, insbesondere dann, wenn sie inhaftiert sind. Jeder kennt da den Kindermörder aus der Zelle von nebenan, der gestern aus der Haft entlassen wurde oder eine laue Bewährungsstrafe kassiert hat, während man selbst – welche eine Ungerechtigkeit – immer noch in Untersuchungshaft sitzt. „Da muss man doch was dran machen können, Herr Anwalt, ich denke, sie sind so erfahren und erfolgreich!“, wird uns dann gerne vorgehalten, während wir versuchen, den frustrierten Kerl wieder in ein realistisches Fahrwasser zu manövrieren. „Sie sind ja nicht der Herr Hoeneß und wir leben auch nicht in Bayern“, antworte ich dann beispielsweise, und weise darauf hin, dass jeder Fall anders ist und dass es ja nicht ganz zu Unrecht heißt, dass wir vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand sind. Will meinen:  Manchmal ist es losgelöst von jeder anwaltlichen Tüchtigkeit auch ein wenig schicksalhaft, wie sich die Dinge entwickeln.

Übrigens, die Mandanten kennen immer nur Fälle, in denen es den anderen besser gegangen ist als ihnen selbst. Dass uns gesagt wird, ein Mithäftling hätte für eine vergleichbare Tat eine viel härtere Sanktion erfahren, kommt nicht vor. Wahrnehmung ist halt relativ.

Ein befreundeter Mandant ist vor einiger Zeit von seinem Buchhalter ziemlich ausgenommen worden und ich habe mich dazu breitschlagen lassen, seine Interessen zu vertreten, obwohl ich doch eigentlich Strafverteidiger bin und die Fronten nur ungerne wechsele. Aber es gibt halt Ausnahmesituationen, und in diesem Fall wollte ich ihm helfen. Der Buchhalter war wegen einiger Unregelmäßigkeiten entlassen worden, und bei der Aufarbeitung seiner Fehler war ziemlich schnell aufgefallen, dass der Mann in seiner knapp eineinhalbjährigen Tätigkeit im Unternehmen meines Freundes runde 750.000 Euro veruntreut und auf sein Privatkonto abgezweigt hatte. Das muss man auch erst mal schaffen, ohne dass es auffällt, habe ich mir gedacht, hat denn da niemand kontrolliert, was der Mann so macht?

Wie dem auch sei, ich habe für den Mandaten eine Strafanzeige bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft erstattet und die einzelnen sehr eindeutigen Überweisungsvorgänge aufgelistet und durch Vorlage der Konten nachgewiesen. Außerdem haben wir gegen den Mann, der sich damals mit seiner Familie – wohl vom Geld meines Mandanten – im Urlaub befand, beim zuständigen Arbeitsgericht einen Vermögensarrest erwirkt und seine Konten beschlagnahmen lassen. Das hat dann immerhin dazu geführt, dass noch ca. 580.000 Euro von dem veruntreuten Geld gerettet und an den Mandanten zurückgeführt werden konnten. Den Rest, immerhin schlappe 170.000 Euro, habe er für private Zwecke ausgegeben, hat der Mann über seine Anwältin mitgeteilt. Irgendwelche Zahlungen darauf hat er bisher nicht geleistet, aber immerhin angeboten, den Betrag zinsfrei in monatlichen Raten von 500 Euro zurückzuzahlen. In knappen 30 Jahren wäre die Schuld dann getilgt, mein Mandant hat leicht indigniert abgelehnt.

Ich hatte bei der Staatsanwaltschaft angeregt, bei der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) sämtliche Konten des Täters nebst Frau und Kinder zu ermitteln, zumal sich aus vorgelegten emails ergebe, dass im Tatzeitraum nicht ganz unbeträchtliche Gelder auf Konten der Kinder eingezahlt worden sein dürften. Nachdem ich von der Staatsanwaltschaft lange nichts gehört hatte, habe ich vor zwei Wochen die Akten angefordert, welche mir jetzt vom Düsseldorfer Amtsgericht übersandt wurden.

Was ich da gelesen habe, verwundert mich, ganz gelinde gesagt.

Die Staatsanwaltschaft hat nämlich  eigentlich überhaupt keine eigene Ermittlungstätigkeit entfaltet. Die Akte besteht im wesentlichen aus der von mir gefertigten Strafanzeige nebst Anlagen und einigen Ergänzungen sowie aus einer – geständigen – Einlassung des inzwischen angeklagten Täters. Immerhin hatte die Staatsanwaltschaft ursprünglich ein Auskunftsersuchen an die Bafin gestellt. Die hatte nach einiger Zeit geantwortet, dass die Abrufung des Namens des Beschuldigten zahlreiche Kontoinformationen ergeben hätte. Diese beträfen jedoch verschiedene Personen gleichen Namens mit unterschiedlichen Geburtsdaten. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könnten daher derzeit keine Daten übermittelt werden. Hierzu sei die Mitteilung des Geburtsdatums erforderlich.

Das war wohl zu viel für die Staatsanwaltschaft. Die hat davon abgesehen, das Geburtsdatum mitzuteilen, und hat alle weiteren Ermittlungen de facto eingestellt.  Sie hat sich mit dem zufrieden gegeben, was sie hatte, nämlich die Strafanzeige und die Einlassung, und hat ohne großes Federlesen Anklage erhoben. Gewerbsmäßige Untreue in 52 Fällen, einmal davon mit einem Vermögensverlust großen Ausmaßes, Schaden insgesamt etwas mehr als 750.000 Euro. Ich kenne Staatsanwälte, die würden so etwas bei der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht anklagen, zumal der Mann wegen Untreue in 11 Fällen vor knapp 2 Jahren vorbestraft worden ist. Damals hatte es allerdings – warum auch immer – nur eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen gegeben.

Anders der Düsseldorfer Staatsanwalt. „Ist doch nicht so schlimm“, scheint der sich gedacht zu haben und hat Anklage zur Einzelrichterin am Amtsgericht erhoben. Da werden bekanntlich die Bagatelldelikte verhandelt. Die Strafgewalt des Amtsrichters endet bei 2 Jahren. Vielleicht war bei der Entscheidung des Staatsanwalts ja irgendwie der Fall Hoeneß maßgebend. Wenn es für 28,5 Millionen dreieinhalb Jahre gibt, ergeben sich bei proportionaler Betrachtung für eine dreiviertel Million  praeter propter 1,1 Monate  Freiheitsstrafe oder 33 Tagessätze Geldstrafe. Was soll man damit beim Schöffengericht oder gar beim Landgericht? Ich hoffe jetzt, dass bei den Mandanten, die ich in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen verteidige,  zukünftig ebenso großzügig gerechnet wird. Sonst erzählen die mir demnächst noch von dem untreuen Buchhalter, der für eine viel schlimmere Tat als die ihre eine viel niedrigere Strafe bekommen hat. Das muss dann ja am Verteidiger liegen.

Die Einzelrichterin hätte das Verfahren ans Schöffengericht abgeben können. Hat sie aber nicht. Sie hat das Verfahren vielmehr  vor sich selbst als Spruchkörper eröffnet. Also scheint ja alles in Ordnung zu sein. Ich werde mich für den Rest meines Berufslebens daran orientieren können.

Mein Mandant findet das Alles irgendwie gar nicht gut. Der ist der Meinung, der Buchhalter hätte sich reichlich skrupellos verhalten und bislang keinerlei ernsthaftes Bemühen an den Tag gelegt, über die durch Arrest sichergestellten Beträge hinaus weitere Schadenswiedergutmachung zu betreiben. Sowas ist doch keine Bagatelle und gehört nicht vor den Einzelrichter, meint er.  „Da musst du was gegen unternehmen“, hat er zu mir gesagt.

Ich stecke jetzt in der Klemme, weil …. als Verteidiger ….. ach Manno!

 

 


Kategorie: Strafblog
Permalink: Da hat der Mann aber Glück: Zur Relativität staatsanwaltlicher und richterlicher Entscheidungen
Schlagworte: