Die Vorsitzende der 11. Strafkammer des Kölner Landgerichts, Sabine Kretzschmar, ist eine immer gut vorbereitete und in der Verhandlungsführung besonnene Richterin, die auch dann, wenn es mal zu kleineren Scharmützeln zwischen den Verfahrensbeteiligten kommt, ruhig und ausgleichend agiert und das Geschehen fest in der Hand hält. Wenn sie es für sachdienlich hält, lässt sie Zwischenfragen zu, und auch ansonsten ist sie darum bemüht, eine konstruktive Verhandlungsatmosphäre zu gewährleisten.
Außerdem hat die Frau Stehvermögen. Damit meine ich, dass sie ganz konsequent versucht, ihr Tagesprogramm durchzuziehen, auch wenn dabei der normale Dienstschluss der Justizbediensteten überzogen wird. Wenn ich es richtig erinnere, haben wir bislang in dem seit zwei Wochen anhängigen Schwurgerichtsverfahren, über das ich schon mehrfach im strafblog berichtet habe, nur an einem Verhandlungstag vor 16 Uhr Schluss gemacht, ansonsten zog sich das Programm jedes Mal noch einige Zeit darüber hinaus in die Länge.
Vorgestern war wieder so ein Tag. Am späten Vormittag standen noch ein Zeuge und eine Zeugin auf dem Programm, beides Polizeibeamte, deren Vernehmung einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Die Verteidigung hatte schon angekündigt, dass insbesondere an den männlichen Zeugen etliche Fragen gestellt werden sollten. Ob es realistisch sei, wenn sie die hochschwangere Polizeibeamtin für 15:30 Uhr einbestelle, wurden wir vor der Mittagspause gefragt. Das sei schwer zu sagen, haben wir geantwortet, aber wir hätten keine inflationär lange Frageliste für den männlichen Zeugen.
So weit, so gut. Was wir allerdings nicht absehen konnten war, dass das Gericht selbst eine derartige Vielzahl von Fragen und Vorhalten an den Zeugen richtete, dass damit die Zeit bis 15.30 Uhr vollständig ausgeschöpft wurde. Es war dann schon nach 16:30 Uhr, als seine Befragung insgesamt abgeschlossen war. Dann wurde die in der Tat deutlich sichtbar schwangere Polizistin in den Zeugenstand gerufen. Deren Befragung durch das Gericht gestaltete sich ebenfalls langwierig. Die Luft im Saal war stickig, die Außentemperaturen waren im Laufe des Tages angestiegen und die Klimaanlage funktionierte nicht. Ein klammer Schweiß lag auf unserer Haut und die Konzentration ließ langsam nach.
Mein Mandant fragte mich mehrfach, wie lange es denn noch dauern werde. Ein anderer Angeklagter, der aufgrund eines Unfallereignisses körperlich beeinträchtigt ist und häufiger über Rückenschmerzen klagt, saß ziemlich verspannt in seinem Stuhl. Die Dolmetscherin, die zwischen zwei Angeklagten saß, begann leise zu schnaufen und ein kurzer Austausch von Blicken mit den anderen Verteidigern bestätigte mir, dass die Grenze der Zumutbarkeit so ziemlich erreicht war. Also habe ich mich erdreistet, die Vorsitzende in ihren Fragen zu unterbrechen und vorsichtig darauf hinzuweisen, dass es an der Zeit sei, Schluss zu machen.
Die Vorsitzende äußerte, verbindlich, wie sie ist, Verständnis. Sie wolle aber der Zeugin nicht zumuten, noch einmal kommen zu müssen. Dies auch im Hinblick auf ihren Zustand. Wir könnten ja eine Pause machen und dann schauen, wie weit wir kommen.
Ich habe ebenfalls Verständnis bekundet, aber darauf hingewiesen, dass es einfach gewisse Grenzen gebe. Seit 5 Uhr morgens sei ich auf den Beinen, die Rückfahrt nach Mönchengladbach werde ja nach Verkehrslage auch noch eine knappe Stunde dauern können. Außerdem hätten die anderen Verfahrensbeteiligten sicher noch Fragen an die Zeugin, und es wäre nicht sachdienlich, wenn diese wegen der eingetretenen Ermattung nicht konzentriert gestellt werden könnten. Ich habe auf die schlechte Luft im Saal und die gestiegenen Temperaturen hingewiesen, und darauf, dass ja nicht abzusehen sei, dass die Befragung der Zeugin durch das Gericht in Kürze beendet sein würde.
Während die Vorsitzende noch abwog, was zu tun sei, sprang mir unerwartet der Staatsanwalt bei. Er schließe sich meiner Auffassung ausdrücklich an, meinte der Mann, auch für ihn sei die Grenze der Konzentrationsfähigkeit erreicht.
„Wenn das so ist, dann lässt sich wohl nichts machen“, meinte die Vorsitzende mit einem Blick, der Bedauern bekundete, und dann wurde die Verhandlung tatsächlich nach Klärung einiger technischer Fragen beendet. Die Zeugin wurde für heute zur Fortsetzung ihrer Vernehmung geladen. „Wenn mein Zustand das zulässt“, meinte sie im Hinblick auf die bevorstehende Geburt.
Nach der Sitzung haben sich beide im Verfahren anwesende Dolmetscher, ein paar Wachtmeister, mein Mandant und auch die Kollegen bei mir bedankt. Die Dolmetscherin meinte, sie sei wirklich richtig erschöpft gewesen und an ihre Grenzen gestoßen. Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes traf ich noch auf den psychiatrischen Sachverständigen, der ebenfalls dankbar meinte, es sei wirklich an der Zeit gewesen, für heute Schluss zu machen. Auch aus dem recht zahlreichen Publikum, überwiegend handelt es sich um Angehörige der Angeklagten, wurde mir Dank bekundet.
Nur selten habe ich für eine Aktion im Gericht so viel Beifall erhalten. Muss eine großartige Leistung gewesen sein….
Kategorie: Strafblog
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