Dann übernimmt halt der Journalist die Aufgaben der Polizei – Tataufklärung nach 16 Jahren



Veröffentlicht am 19. April 2012 von

Es ist eine erstaunliche Geschichte, die bei spiegel-online über die Aufklärung eines 16 Jahre zurückliegenden Tötungsdelikts nachzulesen ist. Eine damals 41 Jahre alte bodenständige Ehefrau aus Rheinbach verschwindet im März 1996 nach 20-jähriger Ehe von Jetzt auf Gleich ins Nirgendwo. Der Ehemann informiert die die Familie, dass seine Frau, die kurz zuvor ein Fehlgeburt erlitten hatte, mit einem portugiesischen Geschäftsmann durchgebrannt sei. Die Frau hätte ihn angerufen, sich bei ihm für die guten Ehejahre bedankt und für die Sorgen, die sie ihm in den letzten Tagen bereitet habe, entschuldigt. Sie gehe mit ihrem Geliebten ins Ausland, hätte sie noch gesagt. Niemand wusste etwas von dem Geliebten oder hatte irgendwelche Anhaltspunkte, dass die Frau in ihrer Ehe unglücklich war. Die Geschwister der Frau wundern sich, dass diese ihre Mutter und ihren schwerkranken Vater einfach zurücklässt und wortlos verschwindet, das passt gar nicht zu ihr. Aber mit der Zeit verschwinden die Zweifel, Gerüchte sagen, die Frau sei in Australien, niemand geht der Sache so richtig nach. Der Mann lässt sich in Abwesenheit der Frau scheiden, heiratet später noch zweimal, setzt Kinder in die Welt.

Bei der Polizei war die Frau damals als vermisst gemeldet worden, 4 Tage lang wurde der Vermisstenfall bearbeitet, dann wurde die Akte weggehängt und nach 5 Jahren vernichtet. Im Februar 2012 liest ein Journalist des Bonner General-Anzeigers, Wolfgang Kaes, eine amtliche Bekanntmachung des Amtsgerichts Rheinbach, die versehentlich auf seinem Schreibtisch gelandet ist.

In der Bekanntmachung heißt es: „Gertrud Gabriele Ulmen, seit März 1996 vermisst gemeldet, soll sich bis zum 28. Februar 2012 im 1. Stock, Zimmer 207, einfinden. Wahlweise auch Personen, die über Ulmens Aufenthaltsort Auskunft geben können. Erscheint niemand, werde Gertrud Gabriele Ulmen für tot erklärt.“

Zwei Geschwister der Frau hatten beantragt, diese amtlich für tot erklären zu lassen. In einem solchen Fall  muss laut Verschollenheitsgesetz ein Aufgebot in einer Tageszeitung veröffentlicht werden. Und wie der Zufall das will, landet die Bekanntmachung eben auf dem Schreibtisch von Kaes, und der stammt wie die Frau aus dem 18.000-Einwohner-Städtchen Mayen. Das macht ihn neugierig und er recherchiert, weil er bislang nichts von dem Vermisstenfall gehört hat. Im Archiv der Zeitung findet er nichts dazu und auch die Polizei weiß nichts von dem Vorgang. Der Journalist spürt instinktiv, dass da vielleicht etwas nicht stimmt. Er nimmt Kontakt zu den Geschwistern und später auch zum Ex-Ehemann  der Verschollenen auf, befragt frühere Freunde und Bekannte der Verschollenen und auch die zweite Ehefrau des Ex-Mannes. Ihm fallen Widersprüche auf und er stößt auf einen nicht aufgeklärten Leichenfund im Juli 1996 in der Nähe von Bad Honnef. Damals hatte die Polizei im Rahmen der Ermittlungen auch überprüft, ob es sich bei der Leiche um die verschwunde Frau Ulmen handeln könne, aber nachdem der hierzu befragte Ehemann angeben hatte, seine Frau hätte eine andere Konfektionsgröße als die Leiche und auch der Zahnstatus stimme nicht mit deren Zähnen überein, wurde nicht mehr in diese Richtung ermittelt.

Erst nachdem Kaes ausführlich über den Vermisstenfall Ulmen berichtet hat, sieht sich die Polizei neuen Ermittlungen veranlasst.  Ein DNA-Abgleich mit allen 194 unbekannten Toten in Deutschland ergibt vor wenigen Tagen, dass es sich bei der Toten, die man in dem Waldstück in Bad Honnef fand, um Gertrud Ulmen handelt. Die Polizei vernimmt den heute 57-jährigen Ex-Ehemann, der sich in Widersprüche verwickelt. Schließlich gesteht er, seine Frau damals bei einem Streit mit einem Kissen erstickt und die Leiche entsorgt zu haben.

Es lohnt, den Spiegel-Beitrag über polizeiliches Versagen und journalistische Spätaufklärung im Original zu lesen.


Kategorie: Strafblog
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