Mein Kollege Gerd Meister liegt mit seinem Bandscheibenvorfall darnieder, also bin ich heute in einer Jugendstrafsache als Verteidiger für ihn eingesprungen. Drei Angeklagte, allesamt Heranwachsende, saßen da vor dem Jugendrichter. Der Vorwurf lautete auf gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung im Rahmen einer größeren Schlägerei beim Tanz in den Mai. Nicht gerade eine Seltenheit, solche Verfahren, und im Hinblick auf den Verfahrensausgang fast immer schwer prognostizierbar, weil ja niemand weiß, welchen Eindruck die Zeugen bei Gericht hinterlassen werden und ob und gegebenenfalls in welche Widersprüche sie sich verwickeln werden. Für meinen Mandanten sah die Aktenlage gar nicht schlecht aus. Ein Zeuge hatte zwar ausgesagt, er habe gesehen, dass auch er das angebliche Tatopfer geschlagen habe. Er „glaube“, dass er auch getreten habe. Die Frage, warum er seinem Freund nicht geholfen habe, hatte der Zeuge damit beantwortet, er sei vom „Vorglühen“ betrunken gewesen. Nur, damit kein Missverständnis entsteht: „Vorglühen“ heißt die Kneipe in Korschenbroich, vor der die Auseinandersetzung stattgefunden hat. Da fragt sich der erfahrene Verteidiger, was denn von einer Zeugenaussage zu halten ist, wenn der Zeuge betrunken war und wenn er bezüglich einzelner Tatbeiträge von „glauben“ spricht.
Einer der Mitangeklagten hatte bei der Polizei ausgesagt, mein Mandant hätte versucht, den Geschädigten von Angriffen gegen eine andere Person abzuhalten. Da seien dann auch Fäuste geflogen. Aber nur, weil der andere halt der Aggressor war. Der Geschädigte selbst hatte den Sachverhalt natürlich ganz anders geschildert. Er hätte den Eintritt zu der Maiveranstaltung bezahlt und dafür ein „Bändchen“ quasi als Eintrittskarte erhalten. Ein anderer junger Mann sei gekommen und hätte ihm das Bändchen aus der Hand gerissen und in seine Tasche gesteckt. Als er das Bändchen wiederholt herausverlangte, sei er von mehreren Personen zu Boden geschlagen und getreten worden. Er selbst hätte gar nichts gemacht. Tatsache ist, dass der Geschädigte auf den in der Akte befindlichen Lichtbildern ziemlich übel zugerichtet aussieht. Im ärztlichen Attest werden diverse Hämatome und Schürfungen im Gesichtsbereich, eine offene Wunde unterhalb der linken Augenbraue, eine Wunde oberhalb der linken Lippe, Hämatome im Bereich des behaarten Kopfes und am Hals sowie Druckschmerz im Bereich der linken Niere und der Bauchmuskulatur bescheinigt. Außerdem wurden einige Haarbüschel ausgerissen.
Ich habe meinem Mandanten gesagt, dass die Chancen für einen Freispruch nach Aktenlage nicht schlecht stünden.
Gleich zu Beginn der Verhandlung schlug einer der beiden Mitverteidiger dem Gericht dann ein Rechtsgespräch vor. Er habe schon mit dem Nebenklagevertreter gesprochen. Man könne sich eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes vorstellen. Natürlich sei die Beweislage unklar und man könne ja nicht sagen, wie eine Beweisaufnahme verlaufen würde. Aber sein Mandant wäre jedenfalls zu einer solchen Lösung bereit. Mit dem Gericht wurden die Voreintragungen im Strafregister erörtert. Alle Angeklagten waren vorbelastet, nur einer davon allerdings einschlägig. Der Richter teilte mit, er könne sich eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung eines Schmerzensgeldes von jeweils 600 Euro, zahlbar in 6 Monatsraten, vorstellen. Mein Mandant, mit dem ich die Frage vor dem Sitzungssaal erörtert habe, war wenig begeistert. Wenn doch ein Freispruch möglich sei …
Nun heißt „möglich“ ja nicht, dass so ein Freispruch sicher ist. Vor Gericht und auf hoher See …. wir kennen das ja. Und weil mein Mandant zur Tatzeit schon 20 Jahre alt war, kam auch die Anwendung von Erwachsenenrecht in Betracht. Da wird eine gefährliche Körperverletzung mit einer Mindeststrafe von 6 Monaten geahndet. Und im Falle einer Verurteilung könnten höhere zivilrechtliche Forderungen auf ihn zukommen. Hier hatte der Nebenklagevertreter angeboten, für den Fall der Zahlung von 600 Euro eine Verzichtserklärung bezüglich weiterer Ansprüche abzugeben. Die beiden anderen Angeklagten wollten der Verfahrenseinstellung zustimmen. Hätte mein Mandant sich widersetzt, wäre womöglich auch für sie kein Deal zustande gekommen.
Die Notwendigkeit einer Entscheidung, ob man der Verfahrenseinstellung zustimmt, wäre entfallen, wenn die für die Staatsanwaltschaft auftretende Referendarin von ihrer Ausbilderin keine Zustimmung erhalten hätte. Aber die war auch einverstanden. Jetzt hatten wir in gewisser Weise den schwarzen Entscheidungspeter. Kampf um den Freispruch oder Zustimmung zur Einstellung? Mein Mandant hat sich – durch mich beraten – für die sichere Einstellung entschieden. Danach schien er irgendwie erleichtert, obwohl 600 Euro nicht wenig Geld für einen Azubi ist.
Der Richter wies noch darauf hin, dass es sinnvoll sei, sich aus Schlägereien herauszuhalten. Und dass das Einprügeln und Eintreten auf Menschen, die am Boden liegen, zu sehr viel weitreichenderen Verletzungen und auch zu Verfahren vor höheren Gerichten führen könne. So wie im Fall der Berliner U-Bahn-Schläger oder im Münchener Verfahren um den Tod von Dominik Brunner. Womit er nicht sagen wolle, dass tatsächlich von den Angeklagten geschlagen und getreten worden sei. Schließlich habe es ja keine Beweisaufnahme gegeben. Und falls Alkohol eine Rolle gespielt haben sollte, könne man ja auch insoweit mal über die Konsumgewohnheiten nachdenken.
Obwohl es ja „nur“ ein Einzelrichterverfahren war, denke ich jetzt noch darüber nach, ob eine streitige Hauptverhandlung nicht doch zum Freispruch geführt hätte. Aber das weiß man halt nicht …
Es bleibt bei der alten Erkenntis: Wenn du´s wirklich wissen willst, musst du ins Risiko gehen. Aber das ist nur dann gut, wenn du auch gewinnst. Und das weißt du im Vorhinein nicht. Merke: Der Historiker ist (fast) immer klüger als der Zeitgenosse! Oder du lässt die Frage offen und lässt dich auf einen Kompromiss ein. Das mag manchmal feige oder inkonsequent aussehen, kann aber weise sein ….
Kategorie: Strafblog
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