Zum dritten Mal war ich heute in einer Berufungsstrafsache den weiten Weg nach Augsburg angetreten, um meiner Mandantin zu einem Freispruch zu verhelfen. Erstinstanzlich war sie – damals noch anderweitig verteidigt – zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Sowohl meine Mandantin als auch die Staatsanwaltschaft hatten Berufung eingelegt, letztere mit dem Ziel einer Verschärfung des Strafmaßes. Ein Freispruch hatte sich schon am ersten Verhandlungstag angedeutet, aber weil nicht alle Zeugen erschienen waren, wurde zweimal vertagt. Meine Mandantin war nach dem ersten Verhandlungstag überraschend in anderer Sache in Untersuchungshaft genommen worden. Die Fluchtgefahr wurde unter anderem damit begründet, dass neben der ohnehin erheblichen Straferwartung in der dortigen Sache auch eine gesamtstrafenfähige erstinstanzliche Verurteilung in der heutigen Sache vorliege.
Nachdem heute morgen noch einige Zeugen gehört worden waren, meinte die Vorsitzende zum Staatsanwalt gerichtet, dass es jedenfalls im subjektiven Bereich zu einer Verurteilung nicht reiche. Diese Auffassung hatte ich schon am ersten Verhandlungstag vertreten. Der Staatsanwalt nickte und meinte, das sehe er ebenso. Dann stellte er den Antrag, das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf das neuere Verfahren, in dem der Haftbefehl erlassen worden war, einzustellen. Ich habe widersprochen und gemeint, bei einer von allen Seiten so beurteilten Freispruchlage solle auch ein Freispruch erfolgen. Das sei dann eine saubere Entscheidung. Die Vorsitzende entgegnete, dass ja bislang der Ehemann der Angeklagten, der über seine Anwältin mitgeteilt hatte, dass er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO Gebrauch machen werde, nicht persönlich hierzu angehört worden sei. Insoweit sei die Beweisaufnahme ja noch nicht abgeschlossen, so dass ein Freispruch ohne einen weiteren Termin nicht möglich sei. Ich habe mein Erstaunen zurückgehalten und darauf hingewiesen, dass der Ehemann im Saale anwesend sei und sogleich persönlich angehört werden könne. Die jetzt ihrerseits erstaunte Vorsitzende rief den Ehemann in den Zeugenstand, woraufhin dieser persönlich seine Aussageverweigerung bekundete. Ob jetzt Freispruch erfolgen könne, fragte ich. Nein, da fehle ja noch ein Auslandszeuge, der trotz mehrfacher Ladung bislang nicht erschienen sei und von dem eigentlich auch nicht zu erwarten sei, dass er bei nochmaliger Ladung erscheinen werde. Warum dann kein Freispruch bei klarer Freispruchlage? Weil dann jedenfalls noch ein weiterer Verhandlungstag erforderlich sei. Aber in Anbetracht der prozessualen Lage sei die Kammer bereit, neben den Verfahrenskosten auch die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen. Das sei bereits vorberaten worden.
Nach Rücksprache mit der Mandantin und mit leichter innerer Empörung habe ich schließlich die Zustimmung zu der Verfahrenseinstellung erklärt. Eine nochmalige kostenträchtige Anreise nach Augsburg und ein nochmaliger Gefangentransport waren der Mandantin einfach nicht zumutbar. Und im Haftbeschwerdeverfahren werde ich darlegen können, dass die Verfahrenseinstellung in der anderen Sache aus einer Freispruchlage resultierte. Trotzdem bleibt ein ziemlich schaler Beigeschmack.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Das alte Lied: Verfahrenseinstellung zur Vermeidung eines Freispruchs
Schlagworte:
vor: Selten genug: Prügelnder Polizeichef unter Anklage
zurück: Es wulfft in Deutschland – Korruption kostet jährlich 250 Milliarden...