Das „Bauchgefühl“ des Kripobeamten als Gegenargument zum Vortrag der Verteidigung



Veröffentlicht am 13. November 2012 von

Bauchgefühl

Das war schon reichlich merkwürdig, was ein Aachener Kripobeamter als Zeuge in einem Verfahren wegen 14 Raubüberfällen gestern vor dem Landgericht von sich gab. In einem reinen Indizienprozess hatte die Staatsanwaltschaft argumentiert, nur die beiden Angeklagten könnten die Täter gewesen sein, weil es weder vor noch nach ihrer Festnahme vergleichbare Taten in Deutschland mit anderer personeller Beteiligung gegeben habe. Abgesehen davon, dass diese Argumentation reichlich zirkelschlüssig ist, weil sie ja voraussetzt, dass die beiden aus dem Kosovo stammenden Männer alle angeklagten Taten begangen haben, hatte die Verteidigung etliche – zum Teil ergoogelte – Fälle präsentiert, bei denen die Vorgehensweise sehr ähnlich war und die ersichtlich nicht von den Angeklagten gemeinsam begangen worden sein können. Einer dieser Fälle war aktenkundig und polizeilich sehr umfassend dokumentiert. Die Ermittlungskommission hatte nämlich den Mitangeklagten meines Mandanten überwacht und festgestellt, dass dieser einen Tag vor der Festnahme der Beiden mit einem anderen Mittäter – einem seiner Brüder – eine völlig vergleichbare Tat in Olpe  geplant und mit deren Ausführung begonnen hatte, als sie von einem Zeugen gestört wurden und die Tat abbrechen mussten. Ich hatte mich gewundert, dass der Staatsanwalt diese Tat im Rahmen seines Plädoyers ausgeblendet hatte. Deshalb hatte ich danach beantragt, den polizeilichen Ermittlungsführer als Zeuge zu hören.

Der schilderte dann auch den ermittelten Tathergang und bestätigte, dass mein Mandant nicht an der Ausführung beteiligt war, weil er sich zur Tatzeit nachweislich in Belgien aufhielt und auch bei den abgehörten Telefonaten keine Rolle spielte. Auch in diesem Fall hatten zwei maskierte und behandschuhte dunkel gekleidete Männer – der eine klein und korpulent, der andere groß und dünn –  bei angebrochener Dunkelheit und nach Ladenschluss das Personal eines Supermarktes beim Verlassen des Geschäftes abpassen und dann offensichtlich den Safe plündern wollen. Wie in den angeklagten Fällen führten sie Pistolen mit sich und eine dunkle Sporttasche, in der sich vermutlich ein Vorschlaghammer befunden haben dürfte, der zum Öffnen des Innensafes bestimmt war.

Ob die Tat denn mit den angeklagten Taten vergleichbar gewesen sei, fragte der Staatsanwalt. Der Kripobeamte nahm die Vorlage auf und verneinte die Frage. Warum nicht, wollte ich wissen. Weil die Tat weniger professionell durchgeführt worden sei, meinte der Zeuge. Wie er darauf komme, fragte ich. Das sage ihm sein Bauchgefühl, erwiderte der Zeuge. So ein Bauchgefühl sei als Argument ein wenig dünn, hielt ich ihm entgegen. Ob er denn auch Fakten nennen könne, die gerichtsverwertbar seien? Ja, in den anderen Fällen hätten die Täter das Fluchtfahrzeug anders als im vorliegenden Fall etwas abseits des Tatortes abgestellt gehabt. Außerdem seien sie in den anderen Fällen nicht gleichzeitig, sondern mit einigem zeitlichem Abstand am Tatort erschienen. Ob das Alles sei, was die Tat von den anderen unterscheide? Im Wesentlichen ja, meinte der Zeuge. Nun sei aber doch der Mitangeklagte nach den polizeilichen Ermittlungen mit dabei gewesen, hielt ich dem Zeugen vor, und der soll bei allen angeklagten Taten der Wortführer und dominante Täter gewesen sein. Warum soll der denn ausgerechnet bei dieser Tat weniger professionell und dilettantischer als bei allen anderen Taten vorgegangen sein? Vielleicht, weil sein Mittäter weniger Erfahrung gehabt habe, meinte der Kripobeamte. Was das mit dem Standort des abgeparkten Fluchtfahrzeuges zu tun hat, erschließt sich mir nicht.

Wir werden jetzt nachweisen, dass der Standort des Fluchtfahrzeuges in den meisten angeklagten Fällen überhaupt nicht bekannt geworden ist. Außerdem gibt es ein Video von einer Tat, auf dem zu sehen ist, wie die beiden Täter gemeinsam und nicht in zeitlichem Abstand den Supermarkt betreten. Das werde ich in Form eines Beweisantrages auf Inaugenscheinnahme präsentieren, um das Bauchgefühl der Kripo zu widerlegen.

Ich habe den Staatsanwalt gefragt, warum er diese Tat im Rahmen seines Plädoyers einfach ausgeblendet  und behauptet habe, es gebe nach seinen Erkenntnissen keine vergleichbare Tat mit anderen Beteiligten. Weil die Tat eben nicht vergleichbar sei, antwortete der Staatsanwalt, und damit schließt sich der Kreis. Ich hatte vorher keine Möglichkeit gehabt, auf diese Tat hinzuweisen, weil ich erst am 23. Verhandlungstag nach erstmaligem Abschluss der Beweisaufnahme in das Verfahren eingestiegen war.

Am nächsten Verhandlungstag kommt ein Polizeizeuge aus Bayern. Der wird sich auf einen von mir gestellten Beweisantrag hin zu einem Fall äußern, der sich nach der Inhaftierung meines Mandanten im Bereich Bad Tölz abgespielt hat, und zwar auf sehr identische Art und Weise. Bei einem Täter soll es sich nachweislich um einen Bruder des Mitangeklagten handeln, bei dem anderen möglicherweise auch. Mal sehen, ob da auch ein Bauchgefühl herhalten muss, um die fehlende Vergleichbarkeit des Tatablaufs zu dokumentieren.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass da jemand aufgrund einer dünnen Indizienkette verurteilt werden soll, ohne das ein sicherer Tatnachweis zu führen ist. Bei einigen Taten spricht ziemlich viel dagegen, dass er dabei gewesen ist, bei den anderen gibt es jedenfalls keine überzeugenden Beweise. Ich habe da noch einige Argumente und auch Anträge im Köcher.

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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