„Meiner Meinung nach ist Sexualität, ähnlich wie der Euro oder das Fernsehen, mit gewissen Einschränkungen politisch zu befürworten. Ich bin eher ein Anhänger der Sexualität. Der durch Sexualität verursachte Schaden (Überbevölkerung, Krankheiten, Verbrechen) wird durch den Nutzen mehr als aufgewogen. So sehe ich das im Grundsatz…“, schreibt Harald Martenstein in einem bedeutsamen Essay in der ZEIT, das ich Ihnen, liebe strafblog-Leser, unbedingt zur Lektüre empfehlen möchte. „Ich bin, im weitesten Sinne, ein Anhänger der Sexualität“, betitelt Martenstein seinen Beitrag, und das hat mich doch sehr zum Nachdenken über dieses Thema angeregt.
Für mich als Strafverteidiger hat die Sexualität – neben weniger berufsspezifischen Erwägungen – immerhin auch eine nicht hinwegzudiskutierende wirtschaftliche Bedeutung. Das gilt nicht nur für meine diversen Tätigkeiten in Sexualstrafverfahren oder etwa bei Tötungen oder anderen Gewalttaten zum Nachteil des Intimpartners. Nein, selbst Mandate, die auf den ersten Blick überhaupt nichts mit dem Thema zu tun zu haben scheinen, beruhen mittelbar oft auf Sexualität. Nehmen wir zum Beispiel Steuerstrafverfahren. Ein großer Teil davon ist auf Denunziationen durch ehemalige Sexualpartner zurückzuführen, gehörnte oder verlassene Ehefrauen und Geliebte zum Beispiel, die dem früheren Bettgefährten einfach nicht verzeihen können, dass er sich in sehr sexueller Weise einer anderen zugewendet hat. Und die vormalige sexuelle Vertrautheit mit ihren Folgeerscheinungen hatte dazu geführt, alle Vorsicht außer Acht zu lassen und der Ex Dinge anzuvertrauen, die diese jetzt zu triumphaler Rache nutzen kann.
Es gibt auch Menschen, die aus sexuellen Motiven heraus Vermögensdelikte begehen, weil sie sich die finanzielle Großzügigkeit, welche das Objekt ihrer Begierde von ihnen erwartet, mit ihrem normalen Einkommen einfach nicht leisten können. Auch insoweit kann ich auf Martenstein zurückkommen, der sich seinerseits auf den französichen Romancier Michel Houellebecq beruft: „Manche Leute haben viel Sex, vor allem gut aussehende, charmante oder reiche Menschen. Andere haben gar keinen. Faktoren wie Hässlichkeit, Armut, Dummheit oder ein abstoßender Charakter scheinen sich auf dem sexuellen Markt extrem ungünstig auszuwirken.“ Recht hat der Mann, denke ich. Vielleicht ist es ja tatsächlich einer Überlegung wert, wie der Sozialstaat veranlasst werden kann, neben anderen „Essentials“ wie Wohnung, Essen, Bekleidung etc. auch das Grundrecht auf die „wichtige und stark nachgefragte“ Sexualität durch entsprechende staatliche Leistungen abzusichern. Martenstein denkt da schon an die Gründung einer neuen Partei, die dieses Thema in den Fordergrund ihrer politischen Programmatik stellen könnte.
Andererseits … es muss auch Raum für Privatinitiative bleiben, der Staat kann ja nicht für Alles herhalten müssen. Und außerdem darf man die sozialen Grundlagen der Tätigkeit von Polizei, Justiz und Rechtsanwälten nicht einfach zerstören, die Arbeitslosenquote ist auch so schon zu hoch …
Heute ist der 11.11. und ich merke, es ist ein kompliziertes Themenfeld …
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