Zur Wirksamkeit der Bevollmächtigung des Strafverteidigers durch einen Jugendlichen, gegen den die Eltern Strafanzeige erstattet haben



Veröffentlicht am 14. November 2012 von

 

Da stand vor einigen Tagen ein 16-jähriger Gymnasiast vor mir, der ohne Voranmeldung in der Kanzlei erschienen war und nach einem Anwalt gefragt hatte. Seit Jahren werde er von seinen Eltern misshandelt, schilderte er mir, und seit etwa einem Jahr wehre er sich und schlage auch schon mal zurück. Er sei jetzt stark genug, es mit seinem Vater aufzunehmen, obwohl der deutlich größer sei als er und ca. 100 Kilo wiege. Seine jüngeren Geschwister würden von den Eltern auch misshandelt, das Jugendamt wisse Bescheid, unternehme aber nichts Nennenswertes. Dort habe man ihm dringend davon abgeraten, gegen die Eltern Strafanzeige zu erstatten, dadurch würden die Familienbande irreparabel zerstört. Am Tag zuvor sei es erneut zu einer Auseinandersetzung mit den Eltern gekommen, Nachbarn hätten die Polizei gerufen und seine Eltern hätten vermutlich Strafanzeige gegen ihn erstattet. Er wolle jetzt einen Anwalt mit seiner Verteidigung beauftragen und wohl auch Strafanzeige gegen die Eltern erstatten. Seit gestern halte er sich bei einem Freund auf, nachhause wolle er auf keinen Fall mehr.

Da stellen sich (neben der Tragik des Falles und der Frage, ob die Sachverhaltsdarstellung denn  zutreffend ist) gleich eine Reihe von rechtlichen Fragen. Kann ein 16-Jähriger ohne Zustimmung seiner Eltern überhaupt wirksam einen Verteidiger bevollmächtigen? Falls ja, kann er auch wirksam eine Honorarvereinbarung abschließen? Müssen gegebenenfalls die Eltern für die Anwaltskosten aufkommen? Kann der Anwalt von dem Jugendlichen wirksam beauftragt werden, gegen die Eltern Strafanzeige zu erstatten?

Hier ein paar Anmerkungen zur Rechtslage:

Nach allgemeiner Auffassung kann ein Jugendlicher selbst einen Verteidiger wählen, wenn gegen ihn ein Verfahren eingeleitet wird. Hierfür ist keine Geschäftsfähigkeit, sondern nur natürliche Beurteilungsfähigkeit erforderlich. Der Jugendliche hat insoweit im Verfahren dieselbe Rechtsstellung wie ein Volljähriger (vgl. BGH MDR 81,72; Eisenberg, JGG, § 67 Rdnr.3, § 68 Rdnr. 18).

Eine Befugnis zum Abschluss einer Honorarvereinbarung hat der Jugendliche hingegen nicht (OLG Schleswig, NJW 1981, 1681; AK-Stern, § 137 StPO Rdnr. 37). Allerdings kann der Jugendliche einen unterhaltsrechtlichen Anspruch gegen seine Eltern auf Übernahme der Verteidigerkosten haben (Fragt sich nur, ob er den wirksam an den Verteidiger abtreten kann). Hierüber nachher mit den Eltern zu streiten, ist allerdings aus Verteidigersicht nicht gerade attraktiv. Da empfiehlt es sich eher, bei Vorliegen der Voraussetzungen die Beiordnung zu beantragen.

Die Bevollmächtigung eines Anwalts zur Erstattung einer Strafanzeige gegen die Eltern dürfte allerdings rechtlich unzulässig sein. Natürlich kann der Jugendliche selbst Strafanzeige erstatten oder den Anwalt bitten, das im Falle eines Offizialdelikts für ihn zu tun. Ein vertragliches Rechtsverhältnis wird hierdurch allerdings nach meiner Auffassung nicht begründet.

Im konkreten Fall ist es jedenfalls so, dass der Jugendliche Hilfe braucht. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm diese grundsätzlich über meine Kanzlei gewähren will. Jetzt muss erst einmal geklärt werden, ob die Eltern tatsächlich Strafanzeige erstattet bzw. Strafantrag gestellt haben oder ob von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Die weiteren Fragen einschließlich der Erstattung einer Strafanzeige gegen die Eltern bedürfen – ggfs. auch nach Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt – sorgfältiger Erörterung. Ich habe den jungen Mann erst einmal zu einer befreundeten familienrechtlich ausgerichteten Kanzlei geschickt, um über diese ggfs. einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt oder auf einen Pfleger zu stellen.

 

 


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