Vergewaltigung in der Ehe ist in Deutschland seit 1997 strafbar und wird mit Freiheitsstrafe zwischen 2 Jahren und 15 Jahren bestraft. Seit den ersten politischen Initiativen hierzu hatte es rund 25 Jahre gedauert, bis das Tatbestandmerkmal „außerehelich“ aus den einschlägigen Paragrafen 177 – 179 StGB gestrichen wurde. Insbesondere CDU und CSU hatten hiergegen lange Widerstand geleistet.
Grundsätzlich war die Erweiterung der Strafbarkeit zu begrüßen. Sexuelle Übergriffe mit Gewalt oder anderen Nötigungmitteln sind nicht nur außerhalb der Ehe, sondern im Umgang unter Menschen grundsätzlich inakzeptabel, das bedarf heutzutage wohl keiner weiteren Diskussion mehr. Als problematisch erweist sich aber immer wieder die sachliche Aufklärung von Geschehnissen, die in der Regel hinter verschlossenen Türen stattfinden und für die es so gut wie nie Augenzeugen gibt. Dann steht zumeist Aussage gegen Aussage, bisweilen kommen Zeugen vom Hörensagen hinzu oder es gibt ärztlich oder fotografisch dokumentierte Verletzungsfolgen, die auf ein gewaltsames Geschehen hindeuten können. Dass auch dies nicht immer zu einem klaren Bild führt und Beweismanipulationen zulässt, hat nicht erst der Fall des Wettermoderators Jörg Kachelmann bewiesen. Jeder Strafverteidiger, der in diesem Deliktsbereich verteidigt hat, weiß ein Lied davon zu singen.
Am vergangenen Freitag habe ich vor dem Landgericht Aachen in einem Vergewaltigungsverfahren verteidigt. Es war der zweite Verhandlungstag, und spannend blieb es bis zum Schluss. Nachdem sie sich nach mehr als 25-jähriger Ehe von ihrem Mann getrennt und schließlich einem neuen Partner zugewandt hatte, war von der Ehefrau Strafanzeige gegen den Ex erstattet worden. Dieser habe sie 9 Jahre zuvor zweimal vergewaltigt, hatte die Frau behauptet, und gleich auch mehrere Zeugen präsentiert, denen gegenüber der Beschuldigte die Taten eingeräumt hätte. Letzteres ist sicher eher eine Seltenheit, ich komme noch darauf zurück.
Tatsache ist, dass zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung Streit zwischen den getrennt lebenden Eheleuten wegen Unterhalt und wegen der Auseinandersetzung um eine gemeinsame Immobilie bestand, was immerhin ein Motiv für eine Falschbeschuldigung darstellen könnte.
Eine Tochter des vormaligen Paares, eine Schwester und eine Freundin der Frau hatten in ihren polizeilichen Vernehmungen bekundet, der beschuldigte Ehemann habe ihnen gegenüber einen Übergriff eingeräumt. Er habe von einer „Dummheit“ gesprochen, ansonsten sei er in seinen Schilderungen eher nebulös geblieben. Man habe seine Angaben aber als Eingeständnis eines gewaltsamen Übergriffs angesehen.
Der Ehemann wiederum hatte angegeben, es habe niemals irgendeine Art von Gewaltanwendung gegen die Ehefrau gegeben. Es sei einmal zu einer Situation gekommen, in welcher die Frau in einer für ihn abstoßenden Weise Sexualität angeboten hätte und er – wenn auch nur ganz kurz – anders als sonst darauf eingegangen sei. Das habe er immer als Fehler angesehen und sich selbst nicht verzeihen können. Nachdem die Frau ihm nach der Trennung konkret per SMS mit einer Strafanzeige gedroht hatte, habe er es für sinnvoll gehalten, mit den Zeuginnen darüber zu sprechen, um einer falschen Beschuldigung zuvorzukommen. Allerdings habe er keine Details nennen wollen, wodurch seine Äußerungen wohl missverstanden worden seien.
Zwei Zeuginnen haben im Prozess berichtet, seinerzeit zeitnah von der Ehefrau über das Gewaltgeschehen unterrichtet worden zu sein. Eine der Zeuginnen verlegte das Ganze allerdings auf ein paar Jahre später, wobei sie sich anhand von Randgeschehnissen genau zu erinnern meinte. Sie behauptete auch, dass sie mit der Ehefrau jedesmal wieder über die Vergewaltigungen gesprochen hätte, wenn diese mal wieder von dem Ehemann geschlagen worden war. Letzteres hatte allerdings auch die Ehefrau nicht berichtet. Im Gegenteil, sie hatte eindeutig bekundet, dass es nach den angeblichen Vorfällen zu keinerlei Gewalthandlungen mehr gekommen sei. Die andere Zeugin wusste nichts Näheres zu berichten, lediglich, dass irgendwann vor Jahren mal irgendetwas Schlimmes passiert sein sollte.
Die Ehefrau hatte im Prozess sinngemäß bekundet, nach den Jahre zurückliegenden sexuellen Übergriffen sei für sie die Ehe zerstört gewesen. Nur der Kinder wegen sei sie noch mit ihrem Mann zusammengeblieben. Das Sexualleben sei nur noch eine eher seltene Pflichtübung gewesen. Dem standen allerdings geradezu enthusiastische Liebesbriefe entgegen, welche die Frau ihrem Mann drei Jahre nach dem behaupteten Tatgeschehen in die Kur geschickt hatte. Da war von seiner Herzenswärme, seiner liebevollen Geduld und auch von Sehnsucht nach körperlicher Nähe die Rede. Alles Dinge, die nur wenig zu den Bekundungen der Frau passten.
Das Gericht hat bis zuletzt nicht erkennen lassen, in welche Richtung es tendiert. Der Vorsitzende hat viele kluge und aus meiner Sicht auch notwendige Fragen gestellt, die in die richtige Richtung gingen. Andererseits hat er auf manche meiner Fragen und Einwürfe, die zumindest auch das Ziel hatten, herauszufinden, wie das Gericht die Sache denn beurteilt, recht ambivalent reagiert.
Als Verteidiger überlegt man in solchen Situationen, wie man sich prozessual verhalten soll. Für den Fall eines negativen Urteils gilt es, Revisionsgründe zu sammeln, was in der Regel nur durch eine – gegebenenfalls exzessive – Ausübung des Antragsrechts möglich ist. Andererseits kann dies zu einer Klimaverhärtung führen und damit die Erfolgsaussichten in der Tatsacheninstanz schmälern. Richter sind – wer wüsste das nicht – halt auch nur Menschen und unterliegen selbstredend psychologischen Einflüssen, die ihnen nicht einmal immer bewusst sein müssen.
Das Vermaledeite in solchen Situationen ist, dass man erst im Nachhinein weiß, ob man den richtigen Weg beschritten hat. Der Historiker ist bekanntlich klüger als der Zeitgenosse. Hast du keine Anträge gestellt und der Prozess geht in der Instanz schlecht aus, dann musst du dir vorwerfen lassen, keine Revisionsgründe gesammelt zu haben. Stellst du entsprechende Anträge und verlierst trotzdem, mag es sein, dass der Vorwurf kommt, das Verfahren unnötig verhärtet zu haben. Ein schwieriger Spagat.
Die noch recht junge Staatsanwältin hat die Tatvorwürfe in ihrem Plädoyer als nachgewiesen angesehen. Dabei hat sie alle Parameter, die in solchen Verfahren zu beachten sind, abgearbeitet und detailliert dargelegt, warum der Tatnachweis geführt sei. Aus Verteidigersicht hat sie allerdings einige wesentliche Aspekte und Widersprüche unerwähnt gelassen, die in eine andere Richtung deuteten. Trotzdem war es kein Hardliner-Plädoyer. Sie hat neben der lange zurückliegenden Tatzeit noch ein paar Aspekte aufgezählt, die es ermöglichen würden, vom Regelstrafrahmen nach unten hin abzuweichen und noch zu einer Bewährungsstrafe zu kommen. Die Nebenklage hat sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft angeschlossen und „mindestens 2 Jahre“ Freiheitsstrafe gefordert.
Ich habe ausführlich plädiert und versucht, die Widersprüche in den Zeugenaussagen herauszuarbeiten. Ich habe darauf hingewiesen, dass in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen die vom Bundesgerichtshof entwickelte Null-Hypothesen-Theorie zu beachten sei, wonach zunächst einmal davon auszugehen ist, dass die belastende Aussage unwahr ist. Nur wenn sich diese Annahme anhand diverser im Einzelnen dargelegter Kriterien als unhaltbar erweise, könne von der Validität der Beschuldigungen ausgegangen werden. Ich habe nachdrücklich erläutert, dass mein Mandant mitnichten gegenüber Zeugen eine Gewalttat eingeräumt hat. Hier lägen psychologisch nachvollziehbare Fehlinterpretationen vor. Es würde zu weit führen, dies hier alles darzulegen.
Die Strafkammer hat meinen Mandanten schließlich freigesprochen. Es sei nicht leicht gewesen, zu einer Entscheidung zu kommen, hat der Vorsitzende ausgeführt. Die Anzeigeerstatterin habe auf die Kammer keinen schlechten Eindruck gemacht. Man könne nicht sagen, dass sie gelogen habe. Sie habe jedenfalls kontinuierlich dasselbe gesagt und ein in sich schlüssiges Geschehen geschildert. Gleiches gelte allerdings auch für den Angeklagten. „Wer sind wir denn, dass wir uns anmaßen könnten zu entscheiden, wer die Wahrheit sagt?“, hat der Vorsitzende gesagt und dann doch auf einige Ungereimtheiten in der Aussage der Hauptbelastungszeugin, darunter die oben erwähnten Liebesbriefe, hingewiesen. Ein Freispruch „in dubio pro reo“ sei das, nicht mehr aber eben auch nicht weniger. Wenn das Gericht an die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten gelange, dann sei der Freispruch zwangsläufig.
Ich selbst habe die Beweislage etwas eindeutiger zu Gunsten meines Mandanten gewertet, aber das mag meinem Verteidigerdenken geschuldet sein. Ich habe aufgeatmet, als ich den Urteilstenor hörte. Es hat sich als richtig herausgestellt, nicht das ganze Arsenal des (Beweis-)Antragsrechts ausgepackt zu haben. Manchmal entscheidet man das instinktiv und verlässt sich da auf sein auf jahrzehntelanger Erfahrung beruhendes Gefühl. Und hofft, dass es nicht trügt…
Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben bis zum Freitag dieser Woche die Möglichkeit, Revision gegen das freisprechende Urteil einzulegen.
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