Es ist ein Erfahrungssatz, den leidgeprüfte Verteidiger, Staatsanwälte und Haftrichter bestätigen können: Verhaftungen finden meistens Freitags nach Dienstschluss statt und bescheren den Beteiligten Arbeit am Samstag, wenn die Vorführung beim Haftrichter ansteht. Und so erhielt ich Freitagabend gegen 19 h den Notruf eines Herrn xy, der mir aufgeregt und in offensichtlicher Panik von seiner Verhaftung berichtete, um dann übergangslos in einem einzigen Wortschwall seine Lebens- und Ehegeschichte zu erzählen. Ich ließ ihn ein paar Minuten seinen Druck von der Seele reden und unterbrach ihn dann – vielleicht etwas zu barsch: “Ich versteh kein Wort. Geben Sie mir mal den zuständigen Polizeibeamten an den Apparat!” Im Hintergrund hörte ich weiteres Stimmengewirr bis sich schließlich ein freundlicher Kripobeamte meldete und mir in knappen Sätzen den juristischen Sachverhalt erläuterte.
Herr xy solle am morgigen Samstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Seine Exfrau habe ihn heute angezeigt, da er sie am Mittwochmorgen vergewaltigt habe. Gegen 11 Uhr habe es an ihrer Wohnungstüre geklingelt. Sie habe arglos die Türe geöffnet und ein maskierte Mann sei hereingestürmt, habe sie zu Boden geworfen und versucht ihr eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen. Sie habe sich in Todesangst gewehrt und dem Mann die Maske vom Kopf gerissen. Zum Vorschein sei das Gesicht ihres Exmannes gekommen, der sie mit wahnsinnigen und hasserfüllten Augen angeschaut habe. Vor lauter Angst habe sie dann eine halbstündige, mehrfache und äußerst brutale Vergewaltigung u.a. mit einem Dildo über sich ergehen lassen. Der zuständige Staatsanwalt und der Haftrichter seien informiert und Herr xy gehe morgen mit Sicherheit in U-Haft.
Ich ließ mir noch mal den “neuen” Mandanten geben und riet ihm eindringlich dazu, ab sofort die Klappe zu halten, sich auf keine Diskussion mit den Polizeibeamten einzulassen und cool zu bleiben. Die Nacht müsse er so oder so im Polizeigewahrsam bleiben und morgen hätten wir vor der Haftvorführung Gelegenheit im Einzelnen über die Sache zu sprechen.
Am Samstagmorgen fuhr ich frühzeitig zum Amtsgericht, ließ mir einen leeren Sitzungsaal als Besprechungszimmer zuteilen und lernte einen immer noch panischen Herrn xy kennen, der wieder sofort damit begann, mir seine Ehegeschichte erzählen zu wollen.
Ich bremste ihn sofort aus: “Stopp! Jetzt hören Sie mir mal für einen Moment gut zu. Wir haben max. eine halbe Stunde Zeit, in der wir systematisch und effektiv vorgehen müssen. Ich hatte noch keine Gelegenheit in die Ermittlungsakte zu schauen. Was ich weiß, ist das, was mir gestern der Polizeibeamte erzählt hat – mehr nicht. Sie kennen mich nicht, aber wenn Sie eine Chance haben wollen, nicht in Haft zu gehen, müssen Sie mir vertrauen. Ich verlange, dass Sie mir ohne Ausschweifungen, meine folgende Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Wenn Sie mir Unsinn erzählen, denke ich in die falsche Richtung und mache möglicherweise Fehler, die Sie alleine ausbaden werden. Ich unterliege der Schweigepflicht. Alles, was wir hier besprechen, bleibt unter uns. Für eine Verteidigungsstrategie muss ich wissen, was Sache ist. Das Dümmste was Beschuldigte tun können, ist es, ihren Verteidiger zu belügen. Haben Sie das verstanden?” Und als der Mandant nickte, legte ich ohne weitere Umschweife los:
“Haben Sie Ihre Ehefrau am Mittwoch zur angegebenen Tatzeit vergewaltigt?”
Herr xy schüttelte den Kopf und sprudelte wieder los. Ich zeigte auf die Uhr und ermahnte ihn, sich kurz zu fassen.
“Nein, ich schwöre Ihnen, ich habe meine Frau nicht vergewaltigt.”
“Wo waren Sie um 11 Uhr am vergangenen Mittwoch?”
“Im Hotel, da bin ich ganz sicher!”
“Welches Motiv könnte Ihre Frau haben, sie derart zu belasten?”
Herr xy überlegte und schüttelte wieder den Kopf. “Ich kann mir das einfach nicht erklären.”
“Erzählen Sie mir kurz, wie ihr Verhältnis zu Ihrer Frau ist. Haben Sie gemeinsame Kinder?”
“Ich bin erst Februar aus dem Knast gekommen. Ich saß drei Jahre im Knast – wegen Betruges und Fahren ohne Fahrerlaubnis. Ich bin noch nie wegen Gewaltdelikten in Erscheinung getreten. Wir haben zwei gemeinsame Kinder – 13 und 16 Jahre alt. Nach meiner Knastentlassung hat sich die Beziehung zu meiner Ex wieder verbessert. Ich habe sie und die Kinder täglich besucht und hatte auch wieder regelmäßigen Sex mit meiner Frau. Ich wollte aber nicht wieder da einziehen. Das hätte auf Dauer nicht funktioniert. Ich lebte bis zu meiner gestrigen Verhaftung im Hotel und wollte mir von da aus eine Wohnung in Düsseldorf suchen. Meine Frau war in den letzten Tagen sauer auf mich, da die älteste Tochter mit mir nach Düsseldorf ziehen wollte und ich auch eine neue Frau kennengelernt hatte, auf die meine Frau sehr eifersüchtig reagierte.”
“Okay – und jetzt überlegen Sie mal genau, ob Sie für Mittwoch 11 Uhr ein Alibi haben.”
Herr xy dachte angestrengt nach. “Ich war im Hotel. So gegen 8 – 8.30 h habe ich gefrühstückt. Ich bin dann wieder auf´s Zimmer, um mich nochmal hinzulegen. Gegen 13 h bin ich dann in die Stadt gegangen. Ich war in einem Internetcafé, habe aber niemanden bestimmtes getroffen. Vielleicht erinnern sich die Frühstücksgäste im Hotel und der Cafébesitzer an mich.”
“Wie weit ist es von dem Hotel zu der Wohnung Ihrer Exfrau?”
“Ca. eine halbe Stunde zu Fuß. Mit dem Taxi, vielleicht 10 Minuten?”
“Na, dann merken Sie ja selber, dass uns Zeugen im Café oder am Frühstückstisch nicht helfen. Sie hätten theoretisch immer noch genug Zeit gehabt, zu der Wohnung zu fahren, um die Tat zu verüben. Denken Sie nach. Haben Sie gegen 11 h mit irgendjemanden im Hotel gesprochen? Haben Sie vielleicht mit jemandem telefoniert? Bitte überprüfen Sie das anhand Ihres Handys.”
Während der Mandant seinen Telefonspreicher durch ging, checkte ich mit meinem Karten-App die genaue Entfernung zwischen Hotel und Wohnung der Exfrau. Herr xy fand aber keinen zeitlich passenden ein- oder ausgehenden Telefonate, und ich ermittelte die Strecke mit 2,3 km, also ca. eine halbe Stunde Fußweg.
Ich zwang ihn zur Konzentration, versuchte jede Minute von seinem Aufstehen am Mittwoch bis um die Mittagszeit zu rekonstruieren, und während wir zum x-ten Male gedanklich vom Frühstückstisch zurück in sein Zimmer gingen und versuchten nachzuvollziehen, was dann geschah, fiel Herrn xy plötzlich ein, dass er irgendwann – als er sich nach dem Frühstück schon wieder ins Bett gelegt hatte – von einem Klopfen an der Tür gestört worden war. Es war das Zimmermädchen und Herr xy bat sie, heute nicht sauber zu machen; er wolle noch etwas schlafen.
Ich rief daraufhin in dem Hotel an, und eine sehr freundliche und hilfsbereite Rezeptions-Dame versprach mir, die fraglichen Zimmermädchen sofort anzurufen, um nachzufragen, ob sich jemand an diesen kleinen Vorfall erinnere. Meine Frage nach einer Videoüberwachung des Hoteleingangs verneinte sie.
Gerade als die Haftvorführung begann, klingelte mein Handy und die freundliche Rezeptionisten teilte mir Name, Adresse und Telefonnummer des Zimmermädchens mit. Sie habe selbst mit dem Zimmermädchen gesprochen und dieses erinnere sich noch genau daran, Herrn xy am Mittwoch ziemlich genau gegen 11 h. geweckt zu haben. Ich informierte den überraschten Richter hierüber, der sofort den anwesenden Polizeibeamten aufforderte, das Zimmermädchen telefonisch als Zeugin zu meiner Behauptung zu befragen. Der Polizeibeamte wollte zunächst abwiegeln. Er habe mit dem Zimmermädchen gesprochen und diese habe sich an einen solchen Vorfall nicht erinnern können – jedenfalls habe sie nichts davon berichtet. Ich fragte den Polizeibeamten, ob er denn konkret nach einem Alibi gefragt habe und bat dann den Haftrichter, das Vernehmungsprotokoll auf die konkrete Fragestellung an das Zimmermädchen zu überprüfen. In der Tat hatte der Kripobeamte nur danach gefragt, ob die Zeugin beim Saubermachen etwas Verdächtiges – z.B. eine Maske – gefunden habe.
Nach wenigen Minuten kam der Kripobeamte sichtlich geknickt zurück ins Vorführzimmer und bestätigte meine Angaben und ein sicheres Alibi für Herrn xy. Der Staatsanwalt nahm daraufhin den Haftbefehlsantrag zurück und ich fuhr Herrn xy zurück ins Hotel.
Manchmal lohnt sich Detektivarbeit doch. Ohne die freundliche Rezeptionistin und das gute Erinnerungsvermögen des Zimmermädchens allerdings wäre der Mandant in Haft gegangen. Zum Glück trifft man – leider viel zu selten – auf solche hilfsbereiten Mitmenschen – insofern also doch “Kommissar Zufall”.
Kategorie: Strafblog
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