Der Fall Edathy, die Copine-Skala, ein Ministerrücktritt und die Scheinheiligkeit in der Politik



Veröffentlicht am 15. Februar 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Der Agrarminister und frühere Innenminister Friedrich ist gestern zurückgetreten, nachdem der Druck  der Vorwürfe wegen des ihm im Fall Edathy zur Last gelegten Geheimnisverrats zur groß wurde. In den Medien wird spekuliert, ob noch weitere Köpfe rollen werden. SPD-Fraktionschef Oppermann wird an erster Stelle genannt, die Namen des Sozi-Chefs Gabriel und des Außenministers Steinmeier fallen und zeit.online spricht schon von einer „veritablen Staatsaffäre“, welche die ganze Bundesregierung erfassen könnte.

Schadenfroh bekundet FDP-Vize Kubicki, selbst Rechtsanwalt und erfahrener Strafverteidiger, wenn 3 Politiker sich vertraulich über eine Sache austauschten, dann wüssten das innerhalb von 24 Stunden 50 Personen. Das könne er nach 46 Jahren in der Politik beurteilen. Wahrscheinlich trifft das zumeist durchaus zu, denke ich, obwohl es auch schon Geheimnisse gegeben haben soll, die nicht nach Außen gedrungen sind. Grüne und Linke empören sich als parlamentarische Opposition über Friedrichs Geheimnisverrat und wittern ihre Chance, die Koalitionäre mächtig in die Bredouille zu treiben. So funktioniert ja Politik.

Die Sache ist kompliziert und aus vielerlei Gründen nicht einfach zu bewerten. Nach allem was ich bislang davon gehört und gelesen habe, dürfte es so gewesen sein, dass das Bundeskriminalamt im Oktober 2013 den damaligen Innenminister Friedrich darüber unterrichtet hat, dass der aufstrebende SPD-Mann Sebastian Edathy wegen möglicher strafbarer Handlungen unter Verdacht stehe. Ob da schon konkret über den etwaigen Besitz von Kinderpornografie gesprochen wurde, ist unklar, aber durchaus wahrscheinlich. Immerhin liefen da schon internationale Ermittlungen gegen einen mutmaßlichen kanadischen Kinderpornoring und dessen Kunden, unter denen sich halt auch Edathy befunden haben soll. Welchen Informationswert sollte denn eine völlig vage Mitteilung des BKA an den Minister gehabt haben, wenn nicht auch der Tatvorwurf genannt wurde? Friedrich soll dann – natürlich höchst vertraulich – entsprechende Informationen an die Führung des prospektiven Koalitionspartners SPD weitergegeben haben, was ich – mal losgelöst von strafrechtlichen Fragen wie Geheimnisverrat und Strafvereitelung – politisch für durchaus nachvollziehbar halte. Man überlege nur mal, dass Edathy im Rahmen der Koalitionsverhandlungen ein bedeutender politischer Posten zugeschustert worden wäre und kurz darauf wäre der Mann über einen schwerwiegenden strafrechtlichen Vorwurf gestürzt. Dann hätte es geheißen, Friedrich hätte schon länger davon gewusst, aber den Koalitionspartner bewusst in die Falle tappen lassen. Und den Wählern wäre halbwegs sehenden Auges ein Politiker in verantwortlicher Position zugemutet worden, den man niemals auf den betreffenden Stuhl hätte setzen dürfen.

Andererseits kann man natürlich auch argumentieren, dass ein vager Tatverdacht nicht dazu führen darf, dass eine politische Karriere zerstört oder gravierend behindert wird. Da gibt es ja die Unschuldsvermutung und es muss sich erst einmal erweisen, ob die Vorwürfe überhaupt bestätigt werden. Aber so funktioniert Politik nicht unbedingt. Jedenfalls nicht bei uns. Wir sind ja nicht in Italien und Edathy ist nicht Berlusconi. Wenn so ein Verdacht aufkommt und es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dann muss das erst einmal geklärt werden, bevor die Karriere fortgesetzt wird. So bitter das für den Betroffenen sein kann. Das ist eine Frage der politischen Hygiene.

Aber was ist das überhaupt mit dem strafrechtlichen Vorwurf gegen Edahty? Gab es tatsächlich einen hinreichenden Anfangsverdacht für strafbare Handlungen, welche die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen rechtfertigte? Nach dem, was ich bisher weiß, soll der Mann bei einem kanadischen Portal, das wohl auch echte Kinderpornografie vertrieben hat, relativ harmlose Videos gegen Entgelt bezogen haben, die auf der 10-stufigen Copine-Skala in Stufe 2 eingeordnet werden. Jedenfalls wurde das vor ein paar Tagen von einem angeblich sachkundigen Experten für Sexualdelikte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mitgeteilt. Die Stufen 9 und 10 beschreiben Bilder, die schwerwiegenden sexuellen Missbrauch von Kindern, wie z.B. verschiedene Varianten von Geschlechtsverkehr und Gewalthandlungen oder sodomistische Pornografie zeigen. Stufe 2 wird wie folgt definiert: „Bilder von nackten oder teilweise nackten Kindern, wobei die Nacktheit gewöhnlich ist (z.B. im Schwimmbad, am Strand o.ä.)“. Erst ab Stufe 6 wird es strafrechtlich richtig problematisch, da geht es um sexualbezogene und aufreizende Posing-Aufnahmen von bekleideten, teilweise oder nicht bekleideten Kindern mit Focus auf den Intimbereich.

Reicht die Tatsache, dass jemand Aufnahmen der eindeutig nicht strafbaren Stufe 2 bezogen hat, dazu aus, einen Anfangsverdacht für den Besitz von deutlich schwerwiegenderem, strafrechtlich relevantem Bildmaterial zu begründen? Darf dann nach dem Motto „Vielleicht finden die ja was!“ ein Durchsuchungsbeschluss erlassen werden? Immerhin ist das ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, der mehr als nur einen vagen Verdacht erfordert. Ich habe da so meine Zweifel an der Rechtmäßigkeit, auch wenn natürlich die Annahme naheliegt, dass da jemand gewisse Neigungen hat. Aber Neigungen sind nicht strafbar, es muss schon um konkrete Anhaltspunkte für Straftaten mit einem gewissen Gewicht gehen, damit so ein Eingriff zulässig wird. Ist nicht die Tatsache, dass gerade von dem kanadischen Portal nach den bisherigen Erkenntnissen kein strafbares Bildmaterial oder solches aus dem Grenzbereich bezogen wurde, ein Indiz dafür, dass da ein Mensch Problembewusstsein hat und Grenzen einzuhalten weiß? Nicht, dass ich missverstanden werde: Es geht mir nicht darum, Bezieher von Kinderpornografie zu schützen, aber ich wehre mich gegen eine massive Vorverlagerung des Anfangsverdachts, weil das – auch in anderen Deliktsbereichen – den Ermittlungsbehörden Eingriffsgrundlagen geben würde, die direkt  die Freiheit der Bürger bedrohen.

Es gibt auch Stimmen, die mutmaßen, dass Edathy etwas untergeschoben werden soll, weil er sich als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses bei diversen Polizeibehörden, Geheimdiensten und Politikern anderer Coleur unbeliebt gemacht haben könnte. In dieses Nest will ich derzeit gar nicht stechen.

Der Minister Friedrich ist jedenfalls zurückgetreten, weil ihm eine Verletzung des Dienstgeheimnisses und vielleicht auch (versuchte) Strafvereitelung im Amt vorgeworfen wird. Der letztere Vorwurf könnte auch die SPD-Granden treffen, wenn man ihnen nachweisen könnte, dass sie Edathy unmittelbar oder mittelbar gewarnt haben, damit der Beweismittel verschwinden lassen konnte. Ich habe allerdings Zweifel, dass ein solcher Nachweis gelingen könnte. Da kommen zu viele Personen, so auch Mitwissende aus der Hannoveraner Staatskanzlei als mögliche Informanten in Betracht. Außerdem weiß ich auch nicht, ob tatsächlich Beweise beiseite geschafft wurden.

Ein Problem könnte auch der BKA-Chef Ziercke bekommen, der gegenüber Oppermann schon im November nach dessen Angaben die Verdachtslage auf Nachfrage bestätigt haben soll. Das Das wäre wohl auch ein Geheimnisverrat gewesen. Deshalb hat Ziercke die Angaben des Politikers auch flugs dementiert.

Linke, Grüne und FDP werden ihren Teil dazu beitragen, dass das Thema uns noch weiter beschäftigt. Die selbst hätten ja niemals Informationen weitergetragen, wenn es einen der ihren betroffen hätte. Das ist ja mal klar. Ein Schuft, wer Böses denkt.

Ich glaube, da kommt noch manches auf uns zu.


Kategorie: Strafblog
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