Der Fluch des Hoeneß-Urteils für uns Strafverteidiger



Veröffentlicht am 1. Juli 2014 von

 

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Es ist Pause am 14. Verhandlungstag in einem Verfahren wegen Kapitalanlagebetruges vor dem Düsseldorfer Landgericht. Zwei Zeugen haben von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht und sind wieder entlassen worden. Der nächste Zeuge ist erst im Abstand von einer Stunde geladen, so dass ich Zeit habe, ein wenig zu bloggen.

Themen gibt es viele, über die ich schreiben könnte, zum Beispiel über das kriminelle Verteidigungsverhalten der deutschen Abwehr im gestrigen WM-Spiel gegen die tapferen Algerier oder über die Ingewahrsamnahme des früheren französischen Staatspräsidenten Sarkozy im Zusammenhang mit dem ihm zur Last gelegten Bestechungsvorwurf und illegaler Wahlkampffinanzierung.

Aber das vorliegende Verfahren gibt mir Anlass, mal wieder etwas über Hoeneß zu schreiben oder – richtiger gesagt – über das unheilvolle Urteil gegen den früheren Boss der Münchener Bayern. Unheilvoll ist das Urteil für uns Strafverteidiger deshalb, weil es von vielen Mandanten als Maßstab genommen wird für die Beurteilung des eigenen Tatunrechts und damit zugleich auch für die Bewertung der Verteidigertätigkeit. „Es zählt, was hinten rauskommt“ – diese oft dem Altbundeskanzler Kohl zugeschriebene Weisheit gilt ganz besonders im Strafprozess. Und wenn zu viel herauskommt, also eine aus Sicht des Mandanten zu hohe Strafe, dann wird das gerne dem Verteidiger in die Schuhe geschoben, der halt nicht effektiv genug gearbeitet hat.

In unserem Verfahren geht es um gewerbsmäßigen Betrug mit einem Schaden in Höhe von 1,6 Millionen Euro, wobei der persönliche Profit der Angeklagten wegen der hohen Kosten, die mit der Akquise der Tatopfer verbunden waren, deutlich niedriger ausfällt. Die Strafkammer hat am ersten Verhandlungstag einen Verständigungsvorschlag gemacht und Strafen zwischen 3 Jahren und 6 Monaten und 4 Jahren und 9 Monaten für den Fall geständiger Einlassungen in Aussicht gestellt. Den Angeklagten gefällt das nicht. „Das ist ja mehr, als der Hoeneß für 28,5 Millionen Euro Steuerhinterziehung bekommen hat“, bekommen wir zu hören, „Wie kann das denn sein?“ „Da muss man doch was gegen machen können!“

Wir haben das Hoeneß-Argument auch schon mal gegenüber der Kammer erwähnt, aber der Vorsitzende Richter hat nur verständnisvoll gelächelt und zwischen den Zeilen erkennen lassen, dass die Angeklagten eben nicht Herr Hoeneß sind und Düsseldorf nicht in Bayern liegt. Hier gibt es auch keine einflussreiche politische High Society, mit der die Angeklagten verbandelt sind, und auch keine fußballbedingte milde Grundeinstellung gegenüber sündig gewordenen Schäfchen, die man trotzdem lieb hat. Würde man die Strafen in vorliegender Sache proportional am Hoeneß-Urteil orientieren, dann dürften nur knapp 2,4 Monate Freiheitsstrafe herauskommen oder maximal 80 Tagessätze Geldstrafe. Aber so funktioniert Justiz ja leider nicht.

Im Hinblick darauf, dass wir in Düsseldorf sind, haben wir Verteidiger auch schon mal das Mannesmann-Verfahren erwähnt. Das fand seinerzeit nämlich hier vor Ort statt und endete bei mit einer Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit, nachdem man sich auf runde 5,8 Millionen Euro Geldauflage geeinigt hatte, um eine Untreue mit einem Volumen von rund 58 Millionen zu kompensieren. Wenn man das als Maßstab nimmt, dann müssten die Angeklagten wohl statt Strafe einen Orden bekommen. Auch bei diesem Beispiel schmunzelte der Vorsitzende Richter verständnisvoll. Nein, hier sitzen nicht Ackermann, Esser und Konsorten auf der Anklagebank, sondern – laut Anklage – ganz profane Betrüger.

Der Vorsitzende hat in einem Erörterungsgespräch darauf hingewiesen, dass die Kammer in einem Fall mit vergleichbarem Schaden im vergangenen Jahr ebenfalls mehr als 4 Jahre Freiheitsstrafe verhängt habe, und da sei die Tat sehr viel weniger professionell geplant und durchgeführt worden. Eigentlich sogar ziemlich dilettantisch. Das ist – so habe ich ihn verstanden – wohl eher der Maßstab, an dem sich das Gericht orientieren will. Die Angeklagten halten das für ziemlich ungerecht. Im Vergleich zu Hoeneß und Ackermann sind sie doch keine Großbetrüger, meinen sie. Aber was nützt so ein Vergleich, wenn das Gericht ihn nicht ziehen will? Vielleicht liegt es ja doch an den Verteidigern, die das nicht richtig vermitteln können.

Als Strafverteidiger wissen wir, dass es vor Gericht keine vergleichende Gerechtigkeit gibt. Oder jedenfalls nur selten. Vor Gericht und auf hoher See … Sie kennen das schon.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Beschuldigte und Angeklagte sich bei den Erwartungen, die sie an ihre Verteidigung stellen, immer an besonders günstig ausgefallenen Entscheidungen orientieren, wobei die sonderbarsten Dinge kolportiert werden. Jeder zweite inhaftierte Mandant kennt – zumindest vom Hörensagen – den Kindermörder aus der Zelle nebenan, der gestern aus der Haft entlassen wurde. Der hat halt einen wirklich guten Verteidiger!

„Wechseln Sie den Anwalt, wenn Sie meinen, dort mehr Erfolg zu haben“, sage ich in solchen Fällen zu meinen Mandanten, aber meistens bleiben sie dann doch bei mir, weil ihnen schwant, dass die Dinge sich vielleicht doch etwas anders darstellen als vorgetragen. Und weil sie wissen, dass sie nicht Hoeneß oder Ackermann sind.

Noch eine Randbemerkung: Meistens sind die Mandanten auch nicht in der Lage, Anwaltshonorare zu zahlen, wie sie mutmaßlich bei Hoeneß oder Ackermann geflossen sein dürften. Aber in den meisten Fällen würde das den Mandaten auch nichts nützen, weil Strafzumessung nicht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zum Verteidigerhonorar steht, soweit mir das bekannt ist.

Aber sei´s drum. Wir müssen mit den Ausreißerentscheidungen wie im Fall Hoeneß leben und uns die sicher noch ein paar Jahre lang um die Ohren hauen lassen…


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