Der Islam und die Freiheit des Wortes: Vollstreckung einer martialischen Strafe gegen Raif Badawi hat begonnen. Steht auf, friedliebende Muslime!



Veröffentlicht am 10. Januar 2015 von

jesuischarlieIch habe einige Freunde und natürlich auch eine Menge Mandanten, die Muslime sind. Nicht alle sind sonderlich religiös, etliche  von ihnen trinken Alkohol, hören „westliche“ Musik und manche essen auch Schweinefleisch. Wobei das jeder von ihnen selbst entscheiden soll, wie er oder sie das halten will.

In den letzten Tagen habe ich etliche Gespräche mit muslimischen Freunden geführt, die sich alle entsetzt über das Massaker bei Charlie Hebdo und den feigen Überfall auf den „koscheren“ Supermarkt an der Port de Vincennes und über das Boko-Haram-Massaker im Norden Nigerias gezeigt haben und sich natürlich davon distanzierten. „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“, war wiederholt zu hören, und nicht anders äußerten sich in den letzten Stunden ja auch viele Repräsentanten von Muslim-Organisationen im In- und Ausland.

Auch Saudi-Arabien hat die Anschläge auf Charlie Hebdo entschieden verurteilt, was die erzkonservativen Machthaber dort unten aber nicht davon abgehalten hat, gestern mit der Vollstreckung einer martialischen Strafe gegen den unbequemen Internet-Aktivisten Raif Badawi zu beginnen, dessen „Verbrechen“ darin besteht, schon im Jahr 2008 die Website „Freie saudische Liberale“ gegründet und in der Folgezeit die Auffassung vertreten zu haben, dass alle Menschen gleich welcher Religionszugehörigkeit, auch Christen, Juden und Atheisten, gleichwertig seien. Badawi hat eine öffentliche Diskussion über die Politisierung der Religion durch das geistliche Establishment gefordert und  im Jahr 2012 trotz erheblicher vorangegangener Schikanen einen“ Tag der saudischen Liberalen“ ausgerufen,  was ihm letztlich eine zehnjährige Freiheitsstrafe, zusätzlich eine beachtliche Geldstrafe und die Verurteilung zu 1.000 Peitschenhieben einbrachte. Weil niemand 1.000 Peitschenhiebe überleben kann, wenn sie auf einmal verabreicht werden, soll die Strafe sukzessive in 20 Etappen im Wochenabstand – jeweils nach dem Freitagsgebet – vollstreckt werden. Die erste öffentliche Auspeitschung fand nach einem Bericht bei zeit.de gestern vor der Al-Jafali-Moschee in Jeddah statt. ZEIT-Reporter Martin Gehlen schreibt von einem „Todesurteil in Raten“.

Vorangegangene Appelle der USA, von Amnesty International und „Reporter ohne Grenzen“, von der Vollstreckung der absurden Prügelstrafe abzusehen,  waren ungehört verhallt. Badawis Ehefrau war nach der Verurteilung mit den drei gemeinsamen Kindern nach Kanada geflohen, wo ihr Asyl gewährt wurde.

In Saudi Arabien befinden sich zahlreiche andere Systemkritiker in Haft, darunter die beiden Mitbegründer der Saudischen Gesellschaft für zivile und politische Rechte (ACPRA), Mohammad al-Qahtani und Abdullah al-Hamed, die im Jahr 2013 ebenfalls  zu 10 Jahren Kerker verurteilt wurden. Auch Badawis Anwalt Waleed abu al-Khair hat es erwischt. Zu 15 Jahren Gefängnis wurde der couragierte Kollege wegen diverser staats- und religionsfeindlicher Delikte verurteilt, darunter Unterminierung der Ordnung des Staates, Aufwiegelung der  öffentlichen Meinung, Beleidigung der  Justiz und Verletzung des Ansehens des Königreichs sowie Publizierung „haltloser Erklärungen“.

Dass es in anderen arabischen Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist, nicht viel besser mit der Meinungsäußerungsfreiheit aussieht, ist bekannt. Auch die fast hundert Jahre lang betont laizistische Türkei des Kemal Atatürk wird durch die Erdogan-Regierung und die AKP zunehmend islamisiert und erschreckt uns immer wieder immer wieder durch – auch  gewaltsame – Unterdrückung kritischer Meinungen und Inhaftierung widerspenstiger Journalisten.

Entsetzt muss sein, wer die Blicke auf die mörderischen Aktivitäten von Boko Haram in Nigeria oder der Al Shabab in Somalia oder auch der Taliban in Pakistan und Afghanistan lenkt. Morden und nicht hinnehmbare Freiheitsbeschränkungen im Namen Allahs und des Islam haben in vielen Teilen der Welt Hochkonjunktur.

Da hilft es wenig, jeden Zusammenhang mit der Religion zu leugnen und zu betonen, das sei nicht der wahre Islam. Der islamistische Terror ist eine Erscheinungsform eines extremen  islamischen Fanatismus, der von etlichen Despoten und Kriegstreibern als Instrument der Machtausübung gefördert wird und anderen als Ventil dient, persönlichen Frust abzureagieren und sich – wie jetzt in Frankreich – zumindest einmal spektakulär in den Vordergrund zu spielen. Das ist natürlich nur eine ausschnittsweise und schlagwortartige Beleuchtung eines Phänomens, das viel tiefergehend analysiert werden muss.

Ich halte nichts von einer Ausgrenzung unserer ganz überwiegend friedlichen und demokratiebejahenden muslimischen Mitbürger und lehne die fremdenfeindlichen Aktivitäten von Pegida & Co. entschieden ab. Marie le Pens populistischer Ruf nach der Todesstrafe im Zusammenhang mit den aktuellen Vorfällen in Frankreich trägt genauso wenig zur Problemlösung bei wie der bei uns plötzlich wieder aus dem Boden schießende Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung.

Es reicht aber  auch nicht, wenn wir Nichtmoslems unserer Empörung in öffentlichen Medien und in Form aller möglichen Solidaritätsbekundungen Ausdruck verleihen. Ich denke, dass vor allem die Weltgemeinschaft der friedliebenden Muslime dazu aufgerufen ist, sich deutlich und vor allem auch permanent von jeglicher Form der Unterdrückung im Namen ihrer Religion zu distanzieren. Sie müssen sowohl in ihren Aufenthaltsstaaten als auch grenzüberschreitend Druck auf ihre politischen und religiösen Führer ausüben, dem von ihnen propagierten friedlichen und toleranten „wahren“ Islam zum Durchbruch zu verhelfen. Mit einer einmaligen öffentlichen Solidaritätsveranstaltung als Reaktion auf die aktuellen Geschehnisse ist es nicht getan. Und sie müssen innerhalb ihrer Familien und religiösen Gruppen und in den Moscheen wachsam sein und radikalen Tendenzen notfalls auch im Zusammenwirken mit den Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken.

Die konsequente Trennung von  Religion und Staat in allen Ländern ist nach meinem Dafürhalten ein weiterer Schlüssel für eine offene, pluralistische und tolerante Gesellschaft, auch wenn das in vielen Gegenden der Welt wohl kaum in naher Zukunft zu erwarten ist.


Kategorie: Strafblog
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