Freispruch im Berufungsverfahren: Polizei manipuliert Beweisvideo! Gericht lobt die Verteidigung, welche die Aufgabe der Ermittlungsbehörde übernommen habe.



Veröffentlicht am 9. Januar 2015 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Wer sich in Sachsen und anderen ostdeutschen Bundesländern an Antifa-Aktionen und Demonstrationen beteiligt, läuft mehr als anderswo – so scheint es jedenfalls – Gefahr, aufgrund zwielichtiger polizeilicher Ermittlungsmethoden und bedenklicher Aussagen von Polizeizeugen vor den Kadi, sprich: vor ein Strafgericht gezerrt zu werden. Das kann sogar, wie der Fall Bodo Ramelow zeigt, einem leibhaftigen Ministerpräsidenten passieren. Jedenfalls dann, wenn er – schlimm genug, oder? – ein Linker ist. Das Beispiel des Jenaer Jugendpfarrers König ist mir noch vor Augen, der sich  in einem langwierigen Verfahren unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs zu verantworten hatte, weil er andere zur Gewalt gegen Polizisten aufgestachelt haben soll. Letztlich wurde das zweifelhafte Verfahren, in dessen Rahmen die Verteidigung Strafanzeige wegen Fälschung von Beweismitteln gegen  einen besonders eifrigen Ermittlungsbeamten erstattet hat, gegen eine Geldauflage eingestellt.

Derselbe Polizeibeamte war auch Zeuge im Verfahren gegen den Berliner Tim H., der vor zwei Jahren vom Amtsgerichts Dresden wegen schweren Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Beleidigung zu einer – wie ich finde: maßlosen – Freiheitsstrafe von 22 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war, weil er anlässlich einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden am 19. Februar 2011 Polizisten, die auf eine am Boden liegende Person einknüppelten, als „Nazi-Schweine“ beschimpft haben und im Übrigen per Megaphon andere Demo-Teilnehmer mit dem aufrührischen Satz  „Kommt nach vorne!“ zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgefordert haben soll. Der nicht vorbestrafte 38-jährige Familienvater ist Angestellter der Partei „Die Linke“, was für das verurteilende Schöffengericht vielleicht zusätzlich straferschwerend ins Gewicht gefallen ist, auch wenn das natürlich nirgendwo geschrieben steht.

Anfang dieser Woche wurde die harsche Verurteilung im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Dresden deutlich abgemildert. Lediglich wegen Beleidigung wurde Tim H. zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Den Vorwurf des Landfriedensbruchs und der Körperverletzung sah die Berufungskammer laut Sächsische Zeitung nicht als erwiesen an. Eine erhebliche Rolle spielte im Verfahren ein Polizeivideo von der Demo, welches offensichtlich kunstgerecht so zusammengeschnitten worden war, dass entlastende Sequenzen einfach entfernt worden waren. Im Rahmen ihrer Beweisführung hatten Polizei und Staatsanwaltschaft vorgebracht, Tim H. sei die einzige Person gewesen, die in dem betreffenden Abschnitt ein Megaphon benutzt hätte. Die Verteidigung hat dann jedoch weiteres polizeiliches Video-Material ins Verfahren eingeführt, auf dem weitere 4 Demo-Teilnehmer mit „Flüstertüten“ zu sehen waren.

„Es ist doch der Hammer, dass hier Leute ins Gefängnis kommen, weil ein Polizist ein Video derart zusammenschneidet, dass es für die Anklage passt. Und dann sehen wir in der ungeschnittenen Version, wie nur eine Sekunde, nachdem das offizielle Polizeivideo endet, noch vier weitere Personen mit Megafon durchs Bild laufen“, wird einer der Verteidiger, Rechtsanwalt Richwin,  bei spiegel-online zitiert. In seinem Plädoyer habe der Verteidiger die Beweismanipulation als „hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit“ kritisiert. Man müsse sich die Frage stellen, „in wie viel anderen Verfahren das einfach so durchläuft“.  Ich denke, der Kollege ist da noch reichlich zurückhaltend gewesen. Die Grenze rechtsstaatlichen Verhaltens ist meines Erachtens deutlich überschritten worden. So etwas geht doch gar nicht, das schreit nach Beweismanipulation und nach wissentlicher Verfolgung potenziell Unschuldiger.

Der Berichterstattung zufolge waren die Anwälte von Tim H. erst auf die Idee gekommen, nach weiterem Videomaterial zu recherchieren, als sie sich näher mit dem Verfahren gegen den Jugendpfarrer Lothar König beschäftigten, in dem ebenfalls Beweismaterial manipuliert wurden und äußerst fragliche Polizeiaussagen eine Rolle gespielt hatten. Und, welch Wunder, auch diesmal gehörte der Polizeiobermeister Maik U., der schon den Antifa-Pfarrer König belastet hatte, zu den hart kritisierten Belastungszeugen. Rühmlich zu erwähnen ist, dass der Vorsitzende Richter Walter Voigt in der mündlichen Urteilsbegründung zumindest teilweise klare Worte fand. Das von der Polizei vorgelegte Video sei „praktisch nicht brauchbar und bis zur letzten Sekunde nicht authentisch“, soll er gesagt und die Ermittlungsarbeit der Verteidiger ausdrücklich gelobt haben. Die hätten nämlich die eigentlich den Ermittlungsbehörden zukommenden Aufgaben übernommen. Schade nur, dass der Vorsitzende sich scheute, das böse, aber in diesem Fall wohl zutreffende Wort von der bewussten Manipulation von Beweismitteln in den Mund zu nehmen. Und ich nehme nicht an, dass er von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren gegen die verantwortlichen Polizisten eingeleitet hat. Soweit geht die Kritikbereitschaft dann wohl eher nicht.

Dafür hat das Gericht klargestellt, dass die Aufforderung „Kommt nach vorne!“ – wer immer sie auch ausgesprochen haben mag – ohnehin in der konkreten Situation nicht den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs erfüllte. Bei der Interpretation dieser Äußerung gelte das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung. Was offen bleibe, könne nicht mit Vermutungen gefüllt werden, meinte der Vorsitzende Richter.

Die Staatsanwaltschaft hatte – skandalös genug, aber nicht unbedingt verwunderlich – an einer Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs festgehalten. Ganz überzeugt scheint sie aber auch nicht mehr gewesen zu sein: „Wegen des Zeitablaufs“ hatte sie ihren Strafantrag aus erster Instanz drastisch reduziert und „nur“ noch eine achtmonatige Bewährungsstrafe beantragt.

 

 


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