Die ARGE hat die Tat recht leicht gemacht. 80.000 Euro Schaden und eine Ach-und-Krach-Bewährung dank Gutachten



Veröffentlicht am 3. April 2014 von

Geld-150x150Das war äußerst knapp und ohne Gutachter wäre es wohl nicht passiert. Zu zwei Jahren Freiheitsstrafe mit Bewährung wegen gewerbsmäßiger Untreue in 32 Fällen hat ein Mönchengladbacher Schöffengericht gestern eine junge Frau verurteilt, die als Mitarbeiterin der ARGE im Laufe von 22 Monaten rund 80.000 Euro auf Konten abgezweigt hatte, über welche sie verfügen konnte. Das Geld hat sie komplett auf den Kopf gehauen. Insgesamt 9 Tage hat das Gericht über den Casus verhandelt, und das war am Anfang sicher nicht abzusehen gewesen.

Gleich am ersten Verhandlungstag hatte die Endzwanzigerin nämlich ein umfassendes Geständnis abgelegt, wobei sie nicht so richtig erklären konnte, was eigentlich das Motiv für ihre Taten war. Beim ersten Mal, so hatte sie geschildert, sei es so gewesen, dass ihr das Geld fehlte, um ihrer Schwester ein paar hundert Euro, die diese ihr geliehen hatte, zurückzuzahlen, und da sei sie auf die Idee verfallen, als Sachbearbeiterin eine Geldauszahlung an einen Leistungsempfänger zu fingieren und so Ihre Schuld zu begleichen. Das sei ganz einfach gewesen, weil es nur unzureichende Kontrollmechanismen bei der ARGE gab. Zwar gebe es dort eine Art 4-Augen-Prinzip, indem Auszahlungen jeweils von einem Kollegen oder einer Kollegin über deren Rechner bestätigt werden müssten, aber da habe sie einfach während der Pause an einen nicht gesperrten PC gehen und die Bestätigung vornehmen können.

In der Folgezeit kam es dann immer häufiger zu unberechtigten Überweisungen, wobei die Angeklagte als Empfängerkonten diejenigen ihrer Mutter und vor allem ihrer Schwester nutzte, deren Kontokarten ihr zur Verfügung standen und die ihr vertrauten. Die Mutter und die Schwester waren ursprünglich mitangeklagt gewesen, aber das Verfahren gegen sie hatte nach Abtrennung mit Freispruch bzw. Verfahrenseinstellung geendet.

Sie habe mit dem Geld „Frustkäufe“ getätigt, hatte die attraktive Frau mitgeteilt, ihr Kleiderschrank hänge noch voller Klamotten, an denen noch die Preisschilder hingen und die sie nie angezogen hätte. Ein Auto, das sie überwiegend ihrem Freund zur Verfügung stellte, hatte sie von dem veruntreuten Geld finanziert, einen Luxuskühlschrank, Urlaubsreisen und anderes mehr. Schließlich, so hatte sie angegeben, habe sie absichtlich bei der letzten Überweisung darauf verzichtet, diese über den PC eines Kollegen zu bestätigen, weil sie auffallen wollte. Anders hätte sie keinen Schlussstrich ziehen können.

Die Vorsitzende des Schöffengerichts und die Staatsanwältin hatten zunächst voller Unverständnis auf das Geständnis reagiert. Reichlich dreist, skrupellos und egoistisch sei das Verhalten gewesen, hatten sie sinngemäß kundgetan, da könne man kaum noch über eine bewährungsfähige Strafe sprechen. Ich habe daraufhin die Reißleine gezogen und beantragt, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit einzuholen, weil die Angeklagte ersichtlich an einer manifesten Persönlichkeitsstörung leide, die Ursache für ihr zwar zielgerichtetes, gleichwohl irrationales Verhalten gewesen sein. Es bestünden durchgreifende Zweifel an der Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum. Ich habe das natürlich viel ausführlicher begründet, als ich dies hier darstellen kann.

Das Gericht hat dem Beweisantrag stattgegeben und den Düsseldorfer Sachverständigen Dr. Martin Platzek als Gutachter bestellt. Nicht zuletzt auf dessen Veranlassung hin wurden dann zwei ehemalige Lebensgefährten der Angeklagten und auch deren Vater als Zeugen geladen und umfassend zur Biografie und zu Verhaltensauffälligkeiten befragt. Die Konten, über welche das Geld gelaufen war, wurden einer genauen Inspektion unterzogen, um das Ausgabenverhalten im Detail erfassen zu können, Mitarbeiterinnen der ARGE wurden zum dienstlichen Verhalten der Angeklagten, aber auch zu den reichlich lückenhaften Kontrollmechanismen innerhalb des Amtes befragt.

Lange 8 Verhandlungstage ist nach dem Geständnis noch verhandelt worden, eine erstaunliche Zeit in Anbetracht des frühzeitigen Geständnisses, die aber aufgrund der Besonderheiten des Falles und wegen der zum Teil zögerlichen Sachbearbeitung durch die Banken, bei denen die Kontoverdichtungen angefragt worden waren, erforderlich war.

Multiple Persönlichkeitsstörungen hat der Sachverständige in seinem beeindruckenden Gutachten festgestellt, das auf meinen Antrag hin unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgetragen wurde, weil zahlreiche Sachverhalte aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich der Angeklagten zur Sprache kamen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzt hätten. Natürlich werde ich diese hier auch nicht ausbreiten, aber im Ergebnis kam zu Tage, dass die weit überdurchschnittlich intelligente Frau eine psychisch instabile, von Verlustängsten geprägte Persönlichkeit ist, die sich in geradezu fatale Anhängigkeiten von ihren Partnern begeben hat und diese um jeden Preis mit Zuwendungen halten wollte. Es gebe depressive Persönlichkeitsstrukturen, borderlineartige Verhaltenszüge, welche die Fähigkeit zu einsichtsgemäßem Verhalten erheblich eingeschränkt hätten.

Das Verfahren, so meinte der Sachverständige, habe auf die Angeklagte erheblich eingewirkt, Wiederholungsgefahr könne er jedenfalls bei Durchführung einer Verhaltenstherapie weitgehend ausschließen.

Mit Ach und Krach hat sich das Gericht schließlich zu einer Bewährungsstrafe durchringen können, welche auch die Staatsanwältin im Hinblick auf das Gutachten beantragt hatte. Die Richterin erklärte dem Publikum, unter dem sich etliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der ARGE befanden, dass die eigentlich dreiste Tatbegehung nur im Hinblick auf die Feststellungen des Sachverständigen zu einer Bewährungsstrafe geführt hätte, die ansonsten sicher nicht möglich gewesen wäre. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist, dass sie vollumfänglich geständig war und dass die Tatbegehung wegen der unverständlich lückenhaften Kontrollmechanismen innerhalb der ARGE auch leicht gemacht worden sei. Das Alles hatte ich in meinem Plädoyer natürlich auch vorgetragen.

Es gab Kopfschütteln im Publikum, einige Anwesende waren offensichtlich der Meinung, dass die Angeklagte zu gut weggekommen sei. Das mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass sie das Sachverständigengutachten nicht mitbekommen haben. Ansonsten ließ mal wieder der Stammtisch grüßen.

Im Bewährungsbeschluss wurde der jungen Frau aufgegeben, sich nach besten Kräften um Schadenswiedergutmachung und auch um eine Verhaltenstherapie zu bemühen. 200 Stunde gemeinnützige Arbeit soll sie ableisten, und damit das Alles funktioniert und sie ihr Leben im Griff behält, wurde ihr ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt.

Ich denke, dass das Urteil, welches sofort rechtskräftig wurde, in Ordnung geht. Der Antrag auf Einholung des Sachverständigengutachtens war aus der Verteidigungsperspektive der Schlüssel zum Erfolg. Ich bin mir sicher, dass viele Verurteilungen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung nicht zustande kommen würden, wenn sich die Gerichte mit der Persönlichkeit von Angeklagten und mit den Ursachen für ihre Straftaten so intensiv auseinandersetzen würden wie im vorliegenden Fall. Das setzt allerdings auch eine engagierte und problembewusste Verteidigung und den Willen auf Seiten des Gerichts voraus, den Dingen auf den Grund zu gehen. Der ist leider nicht immer vorhanden. Außerdem, und das ist die Krux, würden die Kapazitäten der Justiz wohl gesprengt, wenn jedes Verfahren gegen geständige Angeklagte so ausufern würden. Aber eigentlich dürfte der Rechtsstaat darauf ja keine Rücksicht nehmen….

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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