Erst jetzt komme ich dazu, ein paar Worte zum Ausgang des schon in der vergangenen Woche zu Ende gegangenen Satudarah-Verfahrens vor dem Mönchengladbacher Landgericht zu schreiben. Allerdings brauchte es auch ein paar Tage, um aus dem Kopfschütteln herauszukommen und ein wenig Distanz zu gewinnen. Das war das erste Mal seit langem, dass ich in einem Strafverfahren nach meinem Empfinden entgegen der Sach- und Rechtslage mal wieder so richtig etwas auf die Mütze bekommen habe.
Was ist geschehen?
Nun, da gibt es einen in den 90er Jahren in den Niederlanden gegründeten Motorradclub, den Satudarah MC, der seine Wurzeln im indonesisch-molukkischen Kulturkreis hat. Seit einigen Jahren fasst der Club auch in Deutschland Fuß. In Polizei- und Justizkreisen gilt der Club als gefährlicher als die Hells Angels und die Bandidos und wird von manchen als kriminelle Vereinigung eingestuft. Ob diese Einschätzung haltbar ist, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.
Den Ermittlungen zufolge gab oder gibt es Bestrebungen, auch in Mönchengladbach ein Chapter des Motorclubs aufzubauen. Die Zahl der hiesigen Mitglieder ist noch sehr begrenzt.
Im vergangenen Sommer war es so, dass ein damaliges Mitglied des Clubs beauftragt worden war, das ausgebrannte Motorrad eines Clubbruders zu reparieren. Dafür hatte der Mann 1.500 oder 2.000 Euro Vorschuss erhalten, wovon er Ersatzteile kaufen sollte. Allerdings nahm es der finanziell ewig klamme und – wie man inzwischen weiß – auch ansonsten reichlich unzuverlässige Mann mit dem Auftrag nicht besonders ernst, sondern gab das Geld für eigene Zwecke aus. So etwas gilt nicht nur in Rockerkreisen als reichlich unfein. „Der bescheißt jeden“, hat ein Zeuge vor Gericht ausgesagt, und in der Tat scheint es so, dass es nicht ganz wenige Mitmenschen gibt, die mit dem schwergewichtigen Knaben ein oder auch mehrere Hühnchen zu rupfen haben.
Nachdem er mehrfach nachdrücklich daran erinnert worden war, dass er sich um die Reparatur des Motorrades kümmern solle, hatte der Mann offenbar Angst vor der Reaktion seiner Brüder bekommen. Das Geld war weg, Ersatz konnte er wohl nicht beschaffen. Also versteckte er sich vorübergehend bei dem Sohn seiner Ex-Freundin, die er auch um etliches Geld geprellt haben soll.
Irgendjemand hat wohl herausbekommen, wo der Mann untergetaucht war. Das mögen Satudarahs gewesen sein, vielleicht aber – wer weiß das schon? – andere Gläubiger. Jedenfalls standen an einem schönen Sommertag des vergangenen Jahres gegen Mittag drei Männer vor dem Haus, in dem sich die Wohnung des Ziehsohnes befindet, und klingelten. Der Ziehsohn selbst war nicht zuhause, aber zwei seiner Freunde hielten sich in der Wohnung auf. Einer von denen begab sich durch den Hausflur nach unten, um nachzuschauen, wer da etwas wollte. Einer der unangekündigten Besucher soll sich zuvor via Sprechanlage als „Kalle“ gemeldet haben – so wird mein Mandant mit Spitznamen genannt -, ganz unzweifelhaft ist das allerdings nicht.
Die Besucher sollen nicht besonders freundlich gewesen sein. Sie hätten die Haustür aufgedrückt und ihn in den Flur zurückgedrängt, hat der junge Mann, der nach unten gegangen war, ausgesagt, und dann sei er von den Dreien nach oben in die Wohnung begleitet worden, einer hätte eine Pistole in der Hand gehabt. Der sei sehr groß und kräftig gewesen, ein tätowierter Bodybuilder im Muskelshirt.
In der Wohnung mussten sich beiden Jungs aufs Sofa setzen. Sie seien von dem Großen mit der Pistole bedroht worden, während der ältere der beiden Anderen durch die Räume ging, um nach dem Gesuchten zu schauen. Der war allerdings ausgeflogen, so dass die Aktion im Sande verlief.
Man solle dem Gesuchten ausrichten, er sei so gut wie tot, soll einer der unliebsamen Besucher noch gesagt haben, bevor man wieder entschwand. Das war es eigentlich schon, was an diesem Tag passiert ist, bis auf eine letztlich nicht ganz unwesentliche Kleinigkeit.
Auf dem Tisch vor dem Sofa lagen nämlich zwei Mobiltelefone und ein Mini-Tablet, eher minderwertige Geräte, die bei ebay zum Neupreis zwischen knapp 50 und 65 Euro und zum Gebrauchtpreis von jedenfalls unter 20 Euro pro Stück gehandelt werden. Einer der drei Männer soll die Geräte unter den Augen der anderen vom Tisch genommen und damit die Wohnung verlassen haben, und das gab dem bis dahin noch recht banalen Geschehen plötzlich eine besondere Dimension. „Raub mit Schusswaffen“ lautete jetzt nämlich der Vorwurf, zuvor hätte man allenfalls Nötigung, Hausfriedensbruch und Bedrohung und bei einem Täter einen Verstoß gegen das Waffengesetz annehmen können, wofür es normalerweise eine Geldstrafe oder allenfalls eine sehr überschaubare bewährungsfähige Strafe gegeben hätte. Jetzt ging es auf einmal um ein opulentes Verbrechen, der Strafrahmen für Raub mit Schusswaffen beginnt nämlich bei 5 Jahren und endet bei 15 Jahren.
Die Polizei hat ermittelt. Den beiden Jungs wurden zunächst 72 Fotos von Satudarah-Mitgliedern oder diesen nahestehenden Personen vorlegt. Einer meinte, auf einem Foto den ältesten Täter wiedererkannt zu haben, das Foto zeigte meinen Mandanten. Das Foto entsprach in etwa der zuvor abgegebenen Täterbeschreibung, allerdings gab es kein zweites Foto mit einer auch nur ansatzweise typähnlichen Person. Mit einer ordnungsgemäßen Wahllichtbildvorlage hat das nichts zu tun. Das ist ungefähr so, als hätte ein schwarzhäutiger Mensch eine Straftat begangen und den Wiedererkennungszeugen würden 71 Fotos von Weißen und eines von einem Schwarzen vorgelegt. Es spricht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zeugen auf das Foto des Schwarzen zeigen würden, auch wenn die Tat von einem anderen Schwarzen begangen worden ist.
Die beiden anderen Täter wurden nicht wiedererkannt, allerdings meinte einer der beiden Zeugen, eine gewisse Ähnlichkeit mit einer tätowierten Person zu erkennen, die später nicht auf der Anklagebank saß.
Ein paar Monate später wurde eine – nunmehr ordnungsgemäße – Wahllichtbildvorlage mit jeweils 8 typähnlichen Fotos, darunter auch die drei späteren Angeklagten, nachgeholt. Zwei der Angeklagten wurden nicht wiedererkannt, dafür aber der Dritte, der später freigesprochen wurde, weil er über ein mehrfach bestätigtes Alibi verfügte und ersichtlich nicht bei dem Tatgeschehen dabei gewesen sein konnte. In Anbetracht der geschilderten Umstände darf man Zweifel an der Validität der Zeugenaussagen haben, finde ich.
In der Hauptverhandlung haben die beiden Tatzeugen auch auf wiederholtes Befragen hin keinen der Angeklagten wiedererkannt. Sie haben sogar ausdrücklich dementiert, dass die Angeklagten bei der Tat dabei waren. Gegenüber der Polizei hatte einer der beiden Zeugen eindeutig bekundet, auf den Unterarmen des tätowierten Täters „Flammen oder Tribals“ gesehen zu haben. Der Mitangeklagte hatte zwar jede Menge Tattoos, aber ganz andere. Keine Flammen oder Tribals, dafür aber Marienbildnisse und ein christliches Albrecht-Dürer-Motiv. So etwas sieht ziemlich anders aus. Dafür hat der Mann am Hals einen deutlich sichtbaren großen Vogel tätowiert, eine Taube, die man vielleicht auch für einen Adler halten könnte. Die hat der Zeuge nicht beschrieben, obwohl sie förmlich ins Auge springt. Den Staatsanwalt und das Gericht hat das nicht beeindruckt. Die Zeugen hätten ersichtlich Angst gehabt und sich nicht getraut, die Angeklagten zu benennen, hieß es später in der mündlichen Urteilsbegründung. Ihren ersten Angaben bei der Polizei sei trotz der oben geschilderten Einschränkungen aufgrund anderer Anhaltspunkte zu glauben. Eine reichlich ergebnisorientierte Beweiswürdigung, finde ich. Ziemlich erschreckend sogar, wenn ich ehrlich bin. Sonderrecht gegen Rocker?
Schlimmer aber ist das, was die Kammer später in der mündlichen Urteilsbegründung zur Frage des Raubes von sich gab. Die Verteidigung hatte geltend gemacht, dass es – wer auch immer die Tat begangen hat – bei der Wegnahme der Mobilfunkgeräte doch ersichtlich an dem Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Zueignungsabsicht gefehlt habe. Offenkundig hätten die Täter doch kein Vermögensdelikt begehen wollten. Weder hätten sie die Wohnung nach Wertgegenständen durchsucht noch die Zeugen nach Geld gefragt oder deren Geldbörsen herausverlangt. Es spreche doch alles dafür, dass die Mitnahme der Mobilfunkgeräte allein dem Zweck diente zu verhindern, dass die Zeugen sofort die Polizei anrufen oder den abtrünnigen Rockerbruder warnen. Niemand habe die Geräte auch nur vorübergehend dem eigenen Vermögen oder demjenigen eines Dritten einverleiben wollen. Dafür spreche auch, dass sich die Geräte in den folgenden drei Monaten nie mehr mit der SIM-Kartennummer oder mit der Geräte-IMEI-Nummer in ein Mobilfunknetz eingeloggt haben. So lange hatte die Polizei nämlich noch mit Hilfe der Telefonprovider versucht, die Geräte zu orten. Offensichtlich seien diese nach der Tat zerstört oder weggeworfen worden.
Der Tatbestand des Raubes erfordert nicht nur die Wegnahme, sondern auch die Aneignung des dem Opfer abhanden gekommenen Gegenstandes. So hat der BGH beispielsweise eine Zueignungsabsicht und damit auch einen Raub in einem Fall verneint, in dem der Täter einem Polizisten im Rahmen einer Festnahmesituation die Dienstpistole gewaltsam entrissen und damit andere Polizisten bedroht und sogar ein paar Schüsse abgegeben hat. Der Mann hatte die Pistole später in ein Gebüsch geworfen. Bei der Wegnahme eines Handys zu dem einzigen Zweck, die emails und SMS zu kontrollieren und dieses dann wegzuwerfen, ist die Aneignungskomponente ebenfalls verneint worden.
Die Staatsanwaltschaft und das Gericht hat das nicht beeindruckt. Der Tatbestand des Raubes mit Waffen sei erfüllt, meinte der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung. Hätten die Angeklagten den Mumm gehabt, die Tat einzuräumen und vorzutragen, dass die Handys vernichtet oder weggeworfen worden sind, hätte man dem folgen können. Die von der Verteidigung nur abstrakt vorgetragene bloße Möglichkeit fehlender Zueignungsabsicht reiche dagegen nicht aus.
Von wegen in dubio pro reo. Doch nicht für Rocker. Die sollen gefälligst gestehen, sonst gibt´s keine Nachsicht, so hörte sich das für mich an. Und deshalb hat die Kammer gleich auch das Vorliegen eines minderschweren Falles verneint. Die dazu hilfsweise von der Verteidigung vorgetragenen Argumente haben sie nicht überzeugt. Klar, es sei zunächst kein Raub geplant gewesen. Klar, der Entschluss zur Wegnahme der Mobilfunkgeräte sei sehr spontan erfolgt. Klar, der Wert der Geräte sei nicht sonderlich hoch. Klar, die Geräte seien nach der Wegnahme wohl nicht mehr benutzt worden. Aber trotzdem liege kein Fall vor, den der Gesetzgeber sich bei Schaffung der vehementen Strafvorschriften nicht vorgestellt habe.
Immerhin, die Kammer hat zumindest nicht ausschließen können, dass die Pistole nicht geladen war. Deshalb hat sie „nur“ Raub mit Waffen statt mit Schusswaffen angenommen und eine Mindeststrafe von 3 statt von 5 Jahren zugrunde gelegt. Das führte dann für meinen Mandanten, der noch nie eine Haftstrafe verbüßt hat, zu einer Einsatzstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten und für den recht üppig vorbestraften Mitangeklagten zu einer solchen von 5 Jahren. Und weil man nicht zimperlich sein wollte, hat das Gericht gegen meinen Mandanten wegen eines im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung irgendwo hinten im Schrank gefundenen Schlagrings und eines Klappmessers noch 8 Monate Strafe wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verhängt. Normalerweise gibt es für so etwas eine Geldstrafe. Daraus wurde dann eine Gesamtstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten gebildet und bei 22 Monaten Restverbüßungserwartung Haftfortdauer angeordnet. Eine aus Verteidigersicht ebenfalls erschreckende Entscheidung. Da tröstet es nur wenig, dass die Staatsanwaltschaft eine noch deutlich höhere Strafe beantragt hatte.
Der Mitangeklagte bekam wegen einer bei ihm zuhause gefundenen halbautomatischen Schusswaffe weitere zweieinhalb Jahre aufgebrummt. Macht eine Gesamtstrafe von 6 Jahren. Dass da keine Haftverschonung erfolgte, ist immerhin nachvollziehbar.
Natürlich haben wir Revision eingelegt. Jetzt muss erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden, die ist ja entscheidend für die Revision. Vielleicht gibt es ja auch ein Sonderrecht für Rockerrevisionen, wer weiß das schon?
Kategorie: Strafblog
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