Die dumpfe Seite des BILD-Journalismus – Primitive Berichterstattung über ein NS-Verfahren ohne rechtsstaatliches Augenmaß



Veröffentlicht am 12. Januar 2014 von

Oradour-sur-Glane, Foto: Bundesarchiv

Oradour-sur-Glane, Foto: Bundesarchiv

Dass die Yellow-Press in allen Ländern nicht zimperlich in ihren Methoden und in der Qualität ihrer Berichterstattung ist, gehört zum Gemeingut der Erkenntnisse über journalistische Arbeit. Und dass BILD dabei in unserem Land eine Vorreiterrolle zukommt, wohl auch. Wobei das nicht heißt, dass da nicht auch immer wieder mal richtig guter Journalismus produziert wird und bisweilen geniale Headlines kreiert werden (z.B. „Wir sind Papst“), die über Jahre hinweg Wirkung haben. Andererseits wird der Headline gerne die differenzierende Betrachtung geopfert, da fehlt dann nicht nur die Zeit, sondern offensichtlich auch die Kompetenz und das Verantwortungsbewusstsein, von menschlichem Mitgefühl gar nicht erst zu reden. Und nicht immer wird rechtlich zu Ende gedacht, welche Art der Berichterstattung unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte von Betroffenen denn zulässig ist. Dabei sind der Primitivität der Textinhalte offensichtlich keine Grenzen gesetzt.

Am vergangenen Sonntag haben Bild-Reporter meinem 88-jährigen Mandanten, dem seitens der Staatsanwaltschaft Dortmund auf dünner Tatsachengrundlage die Beteiligung am Massaker von Oradour vorgeworfen wird, auf dem Weg zum Einkauf in einen Supermarkt aufgelauert und unbefugt und ohne sein Wissen Fotos von ihm geschossen, die dann ungepixelt oder anderweitig anonymisiert im Internet und wohl auch in der Printausgabe von Bild veröffentlicht worden sind. Einer der Reporter hat den alten Herrn, der sich auf der Straße mit Hilfe seines Rollators fortbewegte und mangels ausreichender Mobilität nicht einfach flüchten konnte, mit bösen Worten und Vorwürfen penetriert. „Ich weiß, dass sie 25 Menschen erschossen haben“, soll er meinem Mandanten gesagt und diesen auch noch weiter provoziert haben, bis der sich schließlich entgegen den zwischen uns getroffenen Verhaltensabsprachen veranlasst gesehen hat, doch Stellung zu nehmen und die Vorwürfe zurückzuweisen. Das war natürlich Futter für den Klatsch-Reporter.

„Trotz der Anklage geht der Scherge seinem geregelten Alltag nach“, heißt es in dem BILD-Beitrag, und weil das offensichtlich von besonderem Interesse für die Öffentlichkeit ist, wird dann genüsslich aufgezählt, welche Lebensmittel der alte Mann im Supermarkt für 23,03 Euro eingekauft hat. Haben die noch alle Tassen im Schrank, frage ich mich da. Was hat das mit dem Tatvorwurf zu tun? Wir schauen doch auch nicht in den Kühlschrank irgendwelcher Bildzeitungsfuzzies. Und was bitte soll der Mann denn nach Auffassung der tollen Reporter  tun, wenn nicht seinem Alltag nachgehen? Sich aufhängen, weil ein unbewiesener und von ihm dementierter Tatvorwurf über ein Geschehen erhoben wird, das 70 Jahre zurückliegt und ihn schon damals entsetzt und traumatisiert hat?

„Werner C. – Ein Kriegsverbrecher geht Einkaufen“ heißt es – ins Deutsche übersetzt – reichlich skrupellos in der von BILD präsentierten französischen Ausgabe des Beitrages, so als wäre der Mann schon verurteilt. Dazu die Fotos, auf denen er eindeutig zu erkennen ist. Die jungen Kerle, die für den Beitrag verantwortlich zeichnen, haben sich vermutlich keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass alles auch ganz anders gewesen sein kann, als die Anklage dies unterstellt. Zumal die Verteidigung vor Anklageerhebung keine Gelegenheit zur Stellungnahme mehr hatte. Was wissen  G. Xanthopoulos, H.-W. Saure und M. Voisin denn schon davon, wie es ist, wenn man als 19-Jähriger Soldat, der nach seinen Angaben alles andere als freiwillig zur Waffen-SS rekrutiert wurde, an so einen Ort des Schreckens befohlen wird und dann mit maßlosem Entsetzen mitbekommt, wie wahnsinnig gewordene Offiziere ein ganzes Dorf auslöschen lassen? Haben sie auch nur eine Sekunde lang in Betracht gezogen, dass nicht jeder, der in so eine irrwitzige Situation hineingezogen wird, gleich ein perverser Mordgeselle ist, dem die Lust am Töten unschuldiger Menschen ins Gesicht geschrieben steht? Wissen sie denn wirklich, wie sich selbst verhalten hätten, wenn sie in der damaligen Zeit aufgewachsen und dann in ein solches Grauen involviert worden wären?

Mein Mandant ist nach meinem Eindruck und nach allem, was mir aus seiner Familie berichtet wurde, ein gefühlvoller, liebenswerter Mensch, der an Oradour jahrzehntelang gelitten hat und der das schlimme Geschehen dort vom Grunde seines Herzens her verurteilt. Mit hundert Mal mehr Betroffenheit, als jemand, der nicht vor Ort gewesen ist, dies überhaupt kann. Ich habe darüber bereits am Freitag in einem strafblog-Beitrag berichtet und möchte an dieser Stelle darauf verweisen.

Niemand, ich betone: NIEMAND, hat das Recht, vor einer rechtskräftigen Verurteilung, zu der es nach meiner Überzeugung nicht kommen wird, den Stab über einen Menschen zu brechen, der alles andere als ein Nazi ist und von dem man nur sicher weiß, dass er damals schicksalhaft zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist. Das gilt nicht nur für die BILD-Reporter, die den stupiden Beitrag verfasst haben, sondern auch für diejenigen, die ihn presserechtlich zu verantworten haben. Persönlichkeitsrechte stehen jedem zu, da hat bei allem Unterrichtungsinteresse der Allgemeinheit eine sorgfältige Güterabwägung zu erfolgen. Die ist vorliegend – wenn sie denn vorgenommen worden sein sollte – gründlich fehlgeschlagen.

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Kategorie: Strafblog
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