Jeder Strafverteidiger weiß, dass Gerichte (nicht nur in Haftsachen) nicht ganz selten Anknüpfungstatsachen durch Vermutungen und richterliche Überzeugung durch bloßen Glauben ersetzen. Die Beschwerdekammer des Augsburger Landgerichts hat diese Praxis gerade mal wieder in besonders bemerkenswerter Weise zelebriert. Ich zitiere nachfolgend aus einem Beschluss in dem schon in anderen strafblog-Beiträgen erwähnten Umsatzsteuerkarussell-Verfahren. Der Beschluss betrifft nicht meinen Mandanten, sondern einen Mitbeschuldigten, der zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt wurde. Der Mann hatte im Haftprüfungs- und Beschwerdeverfahren sinngemäß vorgetragen, er sei zwar zum Geschäftsführer bestellt worden, habe aber für die Firma keinerlei Aktivitäten entwickelt und insbesondere weder Rechnungen geschrieben noch von deren Existenz etwas gewusst. Er habe auch keinerlei geschäftliche Kontakte mit anderen Firmen gehabt. Vielmehr habe er die Geschäftsführung niedergelegt, nachdem die Firmeninhaber das zugesagte Kapital nicht zur Verfügung gestellt hatte. Er habe kein Konto eröffnet bekommen und auch von anderen Konten nichts gewusst. Von einem Umsatzsteuerkarussell sei ihm nichts bekannt.
Tatsache ist nach Aktenlage, dass Rechnungen der Firma existieren, die allerdings eine andere, frühere Firmenanschrift und eine andere Geschäftsführung ausweisen und auch nicht von dem Mann unterschrieben worden sind.
Soviel zum Vorverständnis, und hier nun der Beschluss seinem wesentlichen Inhalt nach: (Anmerkung: Die Wortlautveröffentlichung habe ich im Hinblick auf § 33d Nr. 3 StGB und ein gegen mich eingeleitetes Ermittlungsverfahren vorsorglich aus dem Text genommen, auch wenn ich keine Tatbestandsmäßigkeit sehe)
Die Beschwerde wurde von der Kammer als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, zwar könne es fraglich sein, ob der Beschuldigte nach seinem Kenntnisstand in eine Bande von Umsatzsteuerhinterziehern eingegliedert gewesen sei und dabei gewerbsmäßig handelte, dies spiele aber für die Haftfrage keine Rolle. Es stehe nämlich fest, dass die Firma, deren Geschäftsführer der Beschuldigte war, im November und Dezember 2010 Rechnungen mit einem Umsatzsteuerbetrag in Höhe von insgesamt rund 2 Millionen Euro gestellt habe, dass diese Rechnungen beim Steuerbarater der Empfängerfirma beschlagnahmt worden sei, es sich also nicht um „liegengebliebene“ Rechnungen gehandelt habe und dass der Beschuldigte keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben habe.
Der Beschuldigte habe schon im Dezember 2010 gewusst, dass die Firma , deren Geschäftsführer er war, „nicht sauber“ war und keine Umsätze tätigte. Deshalb vermöge die Kammer nicht zu glauben, dass dem Beschuldigten als Geschäftsführer völlig verborgen geblieben sei, dass für nie vollzogene Lieferungen Ausgangsrechnungen erstellt wurden.
Zur Fluchtgefahr heißt es dann lapidar, dass bei siebenstelligen Steuerschäden nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung in der Regel (mehrjährige) Vollzugsstrafen am Platz seien. Schon von daher ergebe sich ein beträchtlicher Fluchtanreiz, in Anbetracht dessen die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die ihm als Ausländer sich bietende Möglichkeit zum Untertauchen wahrnehme, hoch zu veranschlagen ist. Ob darüber hinaus derzeit auch noch Verdunkelungsgefahr bestehe, könne dahinstehen.“
Nicht, dass Sie glauben, da fehlt noch was, bis auf das Rubrum des Beschlusses und die Bezeichnung der mitwirkenden Richter ist das so ziemlich alles, was im Beschluss steht.
Mit anderen Worten:
Ob der Beschuldigte Strohmann war und von den Rechnungen möglicherweise nichts wusste, scheint ohne Belang zu sein. Die Tatsache, dass Rechnungen beim Steuerberater einer Firma, von deren Existenz der Beschuldigte keine Ahnung hatte, und den er auch nicht kennt, gefunden wurden, belastet ihn per se.
Verdächtig ist weiterhin, dass er keine Umsatzsteuervoranmeldungen für Rechnungen abgegeben hat, die ihm gar nicht bekannt waren. (Vielleicht hätte er zum Hellseher gehen sollen?)
Der Beschuldigte wusste, dass die Firma N … nicht sauber war. Was das heißt, ergibt sich aus dem Beschluss nicht. Aber das bloße Fehlen einer Putzfrau wird damit wohl nicht gemeint sein. Und er wusste, dass die Firma keine Umsätze tätigte. Das legt offensichtlich dringenden Tatverdacht nahe. Wer weiß, dass keine Umsätze getätigt werden, der weiß auch, dass trotzdem Millionenrechnungen geschrieben werden, lautet die erstaunliche Botschaft. Und diese Erkenntnis gründet sich auf den Glauben der Kammer, mit was anderem hat sie nicht aufzuwarten. Das heißt, eigentlich sagt sie ja nur, dass sie das Gegenteil nicht zu glauben vermag. Welch eine Quelle höherer juristischer Einsicht!
Dass dann neben der angenommenen hohen Straferwartung die ausländische Staatsangehörigkeit des Beschuldigten als einzige Anknüpfungstatsache für Fluchtgefahr gewertet wird, ohne dass die Frage etwaiger bestehender sozialer Bindungen überhaupt nur erwähnt wird, überrascht bei der sonstigen Qualität der rechtlichen Erwägungen nicht wirklich. Und mit minderschweren Maßnahmen als Untersuchungshaft im Sinne des § 116 StPO muss man sich nicht wirklich auseinandersetzen, wenn sonst schon alles klar ist.
Chapeau!
Kategorie: Strafblog
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