Vor dem Jugendrichter beim Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt habe ich gestern Nachmittag eine einerseits recht banale, andererseits aber durchaus interessante Hauptverhandlung als Verteidiger wahrgenommen. Angeklagt waren drei zur Tatzeit 17-jährige Jungs, die an einem Wochenende im November des letzten Jahres in einer Krefelder Disco „abfeiern“ waren. Bei zweien von ihnen handelt es sich um eineiige Zwillinge, die sich wirklich ähnlich sehen wie ein Ei dem anderen.
Alle drei haben gut gefeiert und Einiges an Alkohol zu sich genommen. Zwei von ihnen, darunter ein Zwilling, entschlossen sich dann zu einer nicht gerade schönen Tat. In den frühen Morgenstunden haben sie nämlich, wie es auf Neuhochdeutsch in der Anklage heißt, zwei 18 und 19 Jahre alte Mädchen „angetanzt“, und als diese hinreichend abgelenkt waren, hat einer von ihnen, nämlich der Zwilling, einem der Mädchen die Handtasche geklaut. Aus der Handtasche entnahm er dann einen Mercedes-Autoschlüssel, den er seinem Mittäter weitergab. Die Tasche selbst ließen die beiden auf der Herrentoilette zurück. Als echte Gentlemen haben sie den Mädchen noch beim Suchen der Handtasche geholfen, leider erfolglos.
Beim Verlassen der Disco trafen sie dann auf den zweiten Zwilling, der sich die Nacht über mit anderen Personen vergnügt hatte. Da zu diesem Zeitpunkt kein Zug mehr nachhause fuhr, kam man auf die Idee, nach dem Mercedes zu suchen, der zu dem Autoschlüssel passte. Der gerade erst hinzugekommene Zwilling will das gar nicht gut gefunden haben. Deshalb habe er dem Freund seines Bruders den Schlüssel entrissen und diesen mit den Worten „Lass den Scheiß!“ weggeworfen. Der habe den Schlüssel aber wieder aufgehoben und solange den Entriegelungsknopf für die Fernbedienung gedrückt, bis das Licht an einem A-Klasse-Mercedes anging. In den sei man dann schließlich eingestiegen und über die Autobahn Richtung Heimat gefahren. Kurz nach dem Verlassen der Autobahn geriet man dann allerdings in eine Polizeikontrolle, und weil der Fahrer offensichtlich betrunken war und auch keinen Führerschein vorweisen konnte, wurde die Fahrt behördlich beendet.
Jetzt waren erstaunlicherweise nur die Zwillinge wegen gemeinschaftlichen Kfz-Diebstahls angeklagt, darüber hinaus der Fahrer wegen Trunkenheitsfahrt mit mehr als 1,4 Promille und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und die beiden anderen wegen Beihilfe hierzu.
„Mein“ Zwilling hat in der Hauptverhandlung zunächst bestritten, an dem Diebstahl der Handtasche beteiligt zu sein. Erst als der Dritte im Bunde beteuerte, er und nicht etwa sein Bruder sei der Mittäter gewesen, der ihm den Autoschlüssel gegeben habe, räumte er das ein, was der andere Zwilling mit Wohlwollen quittierte.
Dann kam die Geschädigte als Zeugin. Die zeigte mit der Inbrunst der Überzeugung auf den anderen Zwilling, der sei der Täter, da sei sie sich ganz sicher. Tatsächlich hatte sie den auch schon bei einer Wahllichtbildvorlage wiedererkannt, bei der allerdings auch nur ein Zwilling bildlich vorgelegt worden war. Ja, da sei sie sich vollkommen sicher, meinte die Zeugin auf nochmalige Rückfrage des Richters, was bei allen anderen Verfahrensbeteiligten ein gewisses Erstaunen hervorrief. Ob ihr denn bei zweien der Angeklagten etwas auffalle, fragte der Richter, worauf die Zeugin meinte, sie erkenne ja nur einen wieder. Erst als die beiden Brüder auf Aufforderung des Richters und mit Zustimmung der Verteidigung aufstanden und sich nebeneinander vor die Zeugin stellten, bemerkte diese eine verblüffende Ähnlichkeit. Jetzt könne sie doch nicht mehr sicher sagen, wer von den beiden dabei gewesen sei, meinte sie, aber jedenfalls habe einer der beiden Jungs, die sie angetanzt hätten, ein weißes Hemd und der andere einen dunklen Pullover oder ein dunkles Sweatshirt getragen.
Nachdem das geklärt war, wurde das Verfahren gegen den anderen Zwilling, der von meiner Kanzleikollegin Viktoria Nagel verteidigt wurde, eingestellt. Gegen die beiden verbliebenen Angeklagten wurden dann im weitgehenden Einvernehmen zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht Verwarnungen ausgesprochen und 50 Arbeitsstunden verhängt. Gegen den Fahrer des entwendeten Mercedes wurde weiterhin eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr verhängt. Außerdem muss er an einem Kurs für alkoholauffällig Jugendliche teilnehmen.
Noch ein rechtliches Bonmot am Rande. Die beiden Jungs hatten angegeben, sie hätten den Pkw nur für die Heimfahrt nutzen wollen und diesen dann auf einem Parkplatz neben dem Polizeipräsidium abstellen und den Schlüssel in den Briefkasten der Polizeiwache einwerfen wollen. Das wäre dann wohl nur ein unerlaubter Kraftfahrzeuggebrauch und kein Diebstahl gewesen. Das Gericht hat gleichwohl Diebstahl angenommen, allerdings nicht an dem Fahrzeug, sondern nur an dem Schlüssel. Das ist ziemlich merkwürdig, weil der unbefugte Fahrzeuggebrauch den Einsatz des Schlüssels notwendig voraussetzt und der „Schlüsseldiebstahl“ genauso wie der „Benzindiebstahl“ durch unbefugten Spritverbrauch nach der Rechtsprechung hinter dem Kraftfahrzeuggebrauch zurücktritt.
Wir haben das Urteil dennoch rechtskräftig werden lassen, weil die Rechtsfolge ja in Ordnung war und überdies auch Diebstahl an der Handtasche in Erwägung zu ziehen gewesen wäre.
Unterm Strich sieht man mal wieder, was die Aussagen von Wiedererkennungszeugen wert sind. Und eine Verwechsel-Dich-Verteidigung mit den Zwillingen hätte sicher ganz schön zur Verwirrung beitragen können.
Kategorie: Strafblog
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