Wann steht dem Zeugen ein Beistand zu? Und was geschieht, wenn das Gericht das nicht einsehen will?



Veröffentlicht am 1. November 2012 von

Gestern vor einem niederrheinischen Amtsgericht. Meine Mandantin ist wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sie soll einen in ihrem Haus lebenden Mieter, dessen Kind sie seit Jahren im Einvernehmen mit dem Jugendamt betreut, zunächst mit einer großen Taschenlampfe – einer Maglite oder Ähnliches – malträtiert und ihm dann eine kleine Stehlampe mit einem aufgesetzten Glaszylinder auf den Kopf geschlagen haben. Der mitangeklagte Ehemann, der von meinem Kanzleikollegen Felix Menke verteidigt wird, soll später hinzugekommen sein und geschlagen und getreten haben. Die Taschenlampe bestreitet meine Mandantin. Die sei eine Erfindung des Mieters. Mit der Lampe habe sie tatsächlich geschlagen. Das sei aber eine Notwehrhandlung gewesen, weil der Mieter sie nach einer verbalen Auseinandersetzung im Hausflur seiner Wohnung gegen eine Schuhkommode gedrückt und nicht mehr losgelassen habe. Sie habe Angst bekommen, weil der Mann sie mit wutverzerrtem Gesicht angeschaut habe und in Griffweite ein großes Fleischermesser lag. Da habe sie aus Angst und, um der Umklammerung zu entkommen, die auf auf der Kommode stehende Lampe ergriffen und ihm auf den Kopf geschlagen. Danach sei sie in ihre Wohnung geflüchtet. Ihr Ehemann hätte in die Auseinandersetzung nicht eingegriffen (was dieser bestätigt). Grund für die vorangegangene verbale Auseinandersetzung sei gewesen, dass einige Tage zuvor die Reifen ihres Autos zerstochen worden seien. Außerdem habe jemand Bauschaum in den Auspuff gespritzt. Der Sohn des Mieters habe ihr erzählt, das sei der Papa gewesen.

Ich hatte die Einlassung meiner Mandantin schon im Zwischenverfahren schriftlich vorgetragen und auch darauf hingewiesen, dass der Mieter einige Tage vor dem Vorfall wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden sei. Da habe er ein Motiv gehabt, die Sache anders darzustellen, als sie sich abgespielt hatte, weil er womöglich Angst gehabt hätte, meine Mandantin würde ihn anzeigen und  seine Bewährung stünde auf dem Spiel. Es liege eine klassische Aussage-gegen-Aussage-Situation vor, ein sicherer Tatnachweis könne nicht geführt werden. Das Gericht ist dem nicht gefolgt und hat das Hauptverfahren eröffnet.

Der Mieter hatte dem Gericht zwischenzeitlich einen Brief geschrieben und darum gebeten, das Verfahren einzustellen. Er habe sich mit den Angeklagten wieder versöhnt, zumal diese sich ja nach wie vor um ihren Sohn kümmerten. An einer Strafverfolgung habe er kein Interesse mehr.

Vor der Verhandlung sprach der Mieter mich an und meinte, er habe Angst vor der Aussage. Er wolle nicht aussagen. Ich habe den Mann darauf hingewiesen, dass er gemäß § 55 StPO ein Auskunftsverweigerungsrecht habe, wenn er sich bei wahrheitsgemäßer Aussage der Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. Das könne nicht nur im Hinblick auf die behauptete Sachbeschädigung an dem Auto der Fall sein, sondern auch, wenn er die Eheleute zu Unrecht oder zumindest übermäßig belastet hätte. Das wäre dann nämlich eine falsche Verdächtigung. Sollte das so sein, so könne er das der Richterin gegenüber als eine Möglichkeit erwähnen, müsse hierzu aber keine detaillierten Angaben machen, weil er sich damit ja bereits selbst belaste. Wenn die Richterin ihn gleichwohl vernehmen wolle, könne er auch die Beiordnung eines Zeugenbeistandes beantragen. Als Hartz-IV-Empfänger müsse ihm gegebenenfalls ein Beistand auf Kosten der Staatskasse beigeordnet werden.

Im Zeugenstand hat der Mann dann gesagt, er wolle nicht aussagen. Er habe Angst, sich selbst zu belasten. Die Richterin hatte ihn zuvor erst auf meine ausdrückliche Anregung hin und nach Befragen des Staatsanwalts zu dessen Meinung  gemäß § 55 StPO belehrt. Warum er nicht aussagen wolle, fragte ihn die Richterin. Weil man sich wieder miteinander vertragen habe, meinte der Mann. Das sei kein Grund für eine Auskunftsverweigerung, meinte die Richterin, womit sie fraglos Recht hatte. Ob er denn sonst einen Grund habe? Der sichtlich überforderte Mann eierte herum. Dann meinte er, er wolle einen Anwalt hinzuziehen. Ich habe angeregt, dem Mann einen Zeugenbeistand beizuordnen. Er könne die Situation doch nicht überschauen und laufe Gefahr, ein Eigentor zu schießen. Schon der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete in diesem Fall die Beiordnung. Die Richterin zog sich zur Beratung mit sich selbst zurück. Nach einer Viertelstunde kam sie zurück in den Sitzungssaal und meinte, sie sehe keine Voraussetzung für die Beiordnung eines Zeugenbeistandes. Und auch nicht für ein Auskunftsverweigerungsrecht. Da könne ja jeder Zeuge kommen und  pauschal behaupten, er würde sich bei wahrheitsgemäßer Aussage selbst belasten. Wenn er sich hierauf zurückziehen wolle, müsse der Mann schon sagen, worin konkret denn die Gefahr einer Selbstbelastung bestehe.

Ich habe auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auf § 68b StPO hingewiesen. Das höchste deutsche Gericht hat in seiner Entscheidung vom 10.3.2010 – 2 BvR 941/09 – konstatiert, dass es nicht Aufgabe des Zeugen sei, selbst zu begründen, warum er einen Zeugenbeistand wünscht. In der Begründung liegt ja gerade die Gefahr, sich selbst zu belasten, was ausdrücklich nicht erzwungen werden darf. Selbst wenn – anders als im vorliegenden Fall – zunächst vom Zeugen verneint wird, sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht (§55 StPO) zu berufen, so das Verfassungsgericht, könne dies keine Ablehnung des Zeugenbeistands begründen. Nicht zuletzt deswegen, weil Zeugen erst angesichts der konkreten Fragen entscheiden können, ob sie nun von dem situativen Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen oder nicht. Eine vorherige Einschätzung sei gar nicht möglich – worin ja nicht zuletzt auch der Sinn des Zeugenbeistands liege.

Die Richterin sah das anders. Sie wolle jetzt mit der Befragung des Zeugen fortfahren, meinte sie. Ich habe widersprochen und – in Kenntnis der Rechtskreistheorie – einen förmlichen Gerichtsbeschluss beantragt. Ich habe in dem Antrag darauf hingewiesen, dass dem Zeugen als angeblich Verletztem auch nach § 406f StPO ein Zeugenbeistand zustehe. Hierauf und auch auf seine Nebenklagebefugnis müsse er gem. § 406h StPO hingewiesen werden, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei.

Die Richterin hat sich erneut zur Beratung zurückgezogen. Nach weiteren 20 Minuten kam sie zurück und schlug vor, das Verfahren gemäß § 153a StPO gegen eine Auflage einzustellen. Ich habe abgelehnt. Dann wurde die Verhandlung vertagt. Dem Zeugen wurde Gelegenheit gegeben, einen Anwalt als Zeugenbeistand zu benennen, der ihm dann beigeordnet werde.

Am nächsten Mittwoch wird das Verfahren fortgesetzt.

 


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