Ein „deutscher Richter“ und die „Rasse der Mandantin“, oder: Verteidigungsstrategie bei Besorgnis der Befangenheit



Veröffentlicht am 16. Februar 2012 von

 

Fachanwältin für Strafrecht Viktoria Nagel

Als Strafverteidigerin  habe ich stets das Ziel, für meine Mandanten das Bestmögliche zu erreichen. Der Weg dorthin ist manchmal steinig und mit Fragezeichen gepflastert. Und es ist nicht immer einfach zu entscheiden, wie man auf besondere Vorkommnisse in der Hauptverhandlung reagiert.

Bisweilen geben Richter Äußerungen von sich, die so erstaunlich sind, dass man erst einmal Zweifel an der Tauglichkeit des eigenen Gehörs bekommt. Wenn diese überwunden sind, stellt sich die Frage nach dem taktisch klügsten Verteidigerverhalten.

So ging es mir letzte Woche an einem hessischen Amtsgericht:

Er sei „ein deutscher Richter“, stellte der Vorsitzende anlässlich einer Hauptverhandlung gegen eine osteuropäische EU-Mitbürgerin fest, was zwar ersichtlich zutraf, jedoch wegen Ton und Duktus bei mir ein gewisses Bauchgrummeln verursachte. Dieses Grummeln steigerte sich zu richtigen Bauchschmerzen, als die Validität des Wiedererkennens des Täters im Ursprungsverfahren durch eine Zeugin thematisiert wurde. Diskussionspunkt war, ob die Zuverlässigkeit des Wiedererkennens neben anderen Gesichtspunkten auch deshalb in Zweifel zu ziehen sei, weil gewisse Gesichtszüge, wie sie zum Beispiel bei ausländischen Bevölkerungsgruppen bisweilen evolutionär ausgeprägt sind (z.B. schmale Augen der Asiaten), von Zeugen vornehmlich wahrgenommen werden und letztlich dazu führen können, dass statt des wahren Täters eine diesem nur ähnlich sehende Person aus derselben Bevölkerungsgruppe „wiedererkannt“ wird. Wenn der deutsche Richter dann laut über  „Leute von der Rasse Ihrer Mandantin…“ räsoniert,  stellen sich die Nackenhaare hoch und der Gedanke kommt auf, noch  ein paar weitere Bemerkungen abzuwarten und dann eine Unterbrechung zu beantragen, um einen unaufschiebbaren Antrag, also einen Befangenheitsantrag, zu stellen. Tatsächlich polterte der Richter richtig los, hielt Lobeshymnen auf Haftbefehle erlassende Staatsanwälte und räsonierte zu meiner weiteren Verwunderung gegen den Bundesgerichtshof wegen der „überhöhten Ansprüche“, die dieser im Hinblick auf die Beweiswürdigung an die Tatrichter stelle. Als Verteidiger sieht man das bisweilen sehr anders.

Anlässlich derartiger Äußerungen könnte auch ein besonnener Angeklagter bzw. in diesem Fall eine besonnene Angeklagte durchaus die Befürchtung hegen, dass der Richter ihr aufgrund ihrer ethnischen Herkunft und auch ansonsten nicht unvoreingenommen gegenüber steht.

Nun sind Befangenheitsanträge in der Praxis zumeist ein stumpfes Schwert. In der Instanz werden sie fast immer abgelehnt, weil die Richter, die über solche Anträge zu entscheiden haben, ihrem abgelehnten Kollegen nur selten in den Rücken fallen. Böse Zungen sprechen in diesem Zusammenhang auch schon mal vom sogenannten Krähenprinzip, aber das will ich hier bewusst nicht tun (Schließlich habe ich keine böse Zunge). Befangenheitsanträge führen auch nicht selten zu einer Verschlechterung des Klimas und damit zu möglichen Nachteilen für den Angeklagten. Und in der Revisionsinstanz führen abgelehnte Befangenheitsanträge auch nur selten zum Erfolg. Es gibt Verteidiger, die die Auffassung vertreten, dass gestellte Befangenheitsanträge in der Revision sogar hinderlich sind, weil diese zu einem zusätzlichen Solidarisierungseffekt beim Revisionsgericht führen können. Nach meiner Auffassung sollten Befangenheitsanträge die Ausnahme sein und nach Möglichkeit andere Wege gefunden werden, zu dem erstrebten Prozesserfolg zu kommen.

Ich  habe meinen Ärger runtergeschluckt und im Einverständnis mit der Mandantin auf einen Befangenheitsantrag verzichtet. Irgendwie sagte mir mein Verteidigerinstinkt, dass der Richter, den ich bis dahin nicht persönlich kannte, trotz seiner polternden Art vielleicht gar nicht so übel ist. „Barking dogs don´t bite“, sagt der Engländer, aber das tut hier nichts zur Sache, zumal die Gerichtssprache Deutsch ist.

Im Ergebnis scheint mich mein Instinkt nicht getäuscht zu haben. Die Staatsanwältin hatte in ihrem Plädoyer ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung und den Erlass eines Haftbefehls gefordert. Der Richter blieb deutlich darunter und verhängte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Ein Ergebnis, mit dem meine Mandantin zunächst einmal leben kann, zumal von einem Haftbefehl keine Rede mehr war.

Mal sehen, wie der Fall weitergeht. Beide Seiten können binnen Wochenfrist Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen.


Kategorie: Strafblog
Permalink: Ein „deutscher Richter“ und die „Rasse der Mandantin“, oder: Verteidigungsstrategie bei Besorgnis der Befangenheit
Schlagworte: