… meinte die Richterin am Amtsgericht Berlin-Tiergarten heute Morgen zu mir anlässlich eines kurzen Gesprächs vor Sitzungsbeginn. „Und bei Ihrem Mandanten geht es ja um Einiges mehr und außerdem stand er zur Tatzeit unter Bewährung“.
Schweren Landfriedensbruch in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung wirft die Anklage dem 25-jährigen Familienvater vor. Im November 2011 war eine in der Bundeshauptstadt stattfindende Demonstration gegen Faschismus und Rassismus gewaltsam eskaliert, es war zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten gekommen, zahlreiche Personen wurden festgenommen, darunter auch mein Mandant. Der soll nach dem Abschluss der Demonstration aus einer Menschenmenge heraus einen Pflasterstein auf einen Polizisten geworfen haben, der gerade dabei war, eine andere Person festzunehmen. Gegen dessen Schutzhelm sei der Stein geprallt, hatten mehrere Polizeizeugen zu Protokoll gegeben, deshalb sei es letztlich zu keiner Verletzung gekommen. Zu viert habe man den Mann, der aufgrund eines auffallenden schwarzweißen Palästinensertuches, das er um den Hals geschlungen hatte, gut zu erkennen gewesen sei, festnehmen wollen. Der habe sich zunächst gewehrt, indem er ruckartige Bewegungen machte und versuchte, sich aus den Polizeigriffen hinauszuwinden. Hierbei habe ein Einsatzbeamter sich den Arm verdreht, was zu einem zweistündigen Taubheitsgefühl im Arm und zu zweitägigen Schmerzen geführt habe.
Mir hatte der Mandant berichtet, dass er damals erstmals in Berlin gewesen sei. Wegen des Diskussion um die sogenannten „Döner-Morde“ und um die Gewalttaten der rechtsradikalen Tätergruppe um Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Tzschäpe , die sich „nationalsozialistischer Untergrund“ nannten, hatte er sich dazu entschlossen, an der Demo teilzunehmen. Er sei von einer friedlichen Aktion ausgegangen. Es habe dann aber frühzeitig Gewalttaten von beiden Seiten, also von Demonstranten und von der Polizei, gegeben. Nach dem Ende der Demonstration sei die Polizei mit Reizgas und Gummiknüppeln auf Demonstranten losgegangen, auch auf Frauen. Er habe Wut bekommen und dann tatsächlich einen Stein – ein Kiesel, kein Pflasterstein – aufgehoben und in Richtung der Beamten geworfen. Das sei eine Kurzschlussreaktion gewesen, die ihm gleich wieder leid getan habe. Ob der Stein jemanden getroffen habe, wisse er nicht. Natürlich sei das „Scheiße“ gewesen, das wisse er selbst. Bei der Festnahme habe er sich nicht richtig gewehrt. Jedenfalls habe er niemanden verletzen wollen. Er habe nur kurz versucht, sich den Griffen zu entwinden, das sei es dann aber auch gewesen.
Der Mandant ist wegen versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Nach den damaligen Urteilsfeststellungen soll er seinen früheren Arbeitgeber, der ihn und seine Familie um einen größeren Geldbetrag betrogen bzw. Schmuck im Wert von ca. 15.000 Euro unterschlagen hatte, bedroht und mit einem gefährlichen Gegenstand geschlagen haben, um damit Schadenswiedergutmachung zu erreichen. Der Mandant hatte das bestritten, aber das Urteil war rechtskräftig geworden. Und deshalb stand eine Strafaussetzung zur Bewährung in vorliegender Sache durchaus auf der Kippe, falls es zu einem Schuldspruch käme.
Ich habe mit der Richterin und der Staatsanwältin vor der Sitzung über die Problemlage gesprochen. Wir waren uns schnell darüber einig, dass die damalige Tat Ausnahmecharakter hatte. Für den Fall eines Geständnisses wurde meinem Mandanten eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. Das sei in Berlin bei Delikten der vorliegenden Art nicht selbstverständlich, meinte die Richterin. Wie gesagt: Ein Stein bringt ein Jahr, und dann die Vorstrafe …
Die Beweislage war alles andere als berauschend: 4 Polizeibeamte als Augenzeugen, die nach Aktenlage sehr übereinstimmende Beobachtungen gemacht haben wollten. Und alle hatten von einem Pflasterstein gesprochen.
Wir haben uns in Anbetracht der Gesamtumstände auf eine Verfahrensabsprache eingelassen. Die wurde zwar nicht formalisiert, war aber gleichwohl Grundlage für die Verhandlung. Mein Mandant hat den Steinwurf eingeräumt, es sei aber kein Pflasterstein gewesen. Ein Polizist sagte aus, es sei jedenfalls ein größer Stein gewesen, so groß, dass man ihn mit allen 5 Fingern umfassen musste. Ein anderer meinte, es sei jedenfalls ein größerer Gegenstand gewesen, vielleicht auch eine Flasche, das wisse er nicht mehr. Wir haben auf weitere Zeugen verzichtet. Der Angeklagte hat sich bei dem Polizisten, der sich bei der Festnahme am Arm verletzt hatte, entschuldigt. Er hat versichert, dass so etwas nicht wieder geschehen werde.
Das Gericht hat in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt. Damit lässt sich leben, wenn man bedenkt, dass der schwere Landfriedensbruch mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren bedroht ist und noch weitere Delikte angeklagt waren. Und man kann ja auch erwägen, was bei einem Steinwurf in Kopfhöhe alles hätte passieren können. Erst recht, wenn es vielleicht doch ein scharfkantiger Pflasterstein mit spitzen Ecken gewesen sein sollte ….
Jetzt sitze ich in einem Café in Berlin-Mitte, blogge meinen Beitrag zum Prozess und warte auf den Rückflug. Das heißt, ich habe noch ein paar Stunden Zeit , weil ich mich auf eine mögliche längere Hauptverhandlung eingerichtet hatte. Um 4:30 Uhr bin ich heute früh aus den Federn gestiegen, um den Flieger ab Düsseldorf pünktlich zu erreichen, am frühen Abend werde ich zurück sein. Morgen steht Köln und am Donnerstag Frankfurt auf dem Programm. Ich habe mir Arbeit mitgenommen, um die dortigen Termine vorzubereiten. Obwohl Berlin auch ansonsten nicht langweilig ist.
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Ein Stein bringt ein Jahr Freiheitsstrafe, das ist bei uns die Faustregel“ ….
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