Ein trauriges Schicksal, eine reichlich teure Strafe für den Steuerzahler und viele Fragezeichen….



Veröffentlicht am 8. Dezember 2013 von

Land- u. Amtsgericht Mönchengladbach

Land- u. Amtsgericht Mönchengladbach

Es gibt Strafverfahren, die sind einfach doof. Und zwar für alle Beteiligten. Doof deshalb, weil eigentlich alle wissen, dass das Ganze keinen rechten Sinn macht und insbesondere nicht zu dauerhaften Lösungen führt.

In so einem Fall hatte ich am vergangenen Donnerstag vor dem Amtsgericht Mönchengladbach zu verteidigen. Sinnvoll zu „lösen“ war die Sache ohnehin nicht. Angeklagt war Abdullah (Name geändert), ein gut aussehender junger Kerl aus dem maghrebinischen Raum mit traurigen dunklen Augen in einem melancholischen Gesicht. Es ging um einen simplen Ladendiebstahl, simpel jedenfalls dann, wenn man das Auskleiden einer Tasche mit Stanniolpapier zur Überlistung der elektronischen Warensicherung nicht als besonders raffiniert ansieht. Zwei Designerjeans zum Kaufpreis von insgesamt knapp 300 Euro hatte der Angeklagte in der Tasche verborgen und den Kassenbereich ohne zu zahlen passiert, als er von einem Ladendetektiv angesprochen wurde.

Den Diebstahl hatte er sofort zugegeben und war dann via Polizei dem Haftrichter vorgeführt worden, der auch prompt einen Haftbefehl erließ, weil das die vierte einschlägige Tat innerhalb eines Jahres war und zuletzt nach dreimonatiger Untersuchungshaft 8 Monate mit Bewährung verhängt worden waren. Der Haftgrund der Fluchtgefahr wurde bejaht, weil der Mann sich zum wiederholten Mal illegal in Deutschland aufhielt und damit zu rechnen war, dass er sich dem Verfahren entziehen würde. Sicher keine abwegige Annahme, denke ich.

Im Knast hatte Abdullah von einem Mithäftling meinen Namen gehört und mich als Pflichtverteidiger benannt, und das Gericht hat dann – ohne nach meinen zeitlichen Möglichkeiten zu fragen – einen entsprechenden Beiordnungsbeschluss gefasst. Ich habe die Verteidigung irgendwie einrichten können, und deshalb saß ich jetzt mit meinem Mandanten vor dem Einzelrichter. Ich habe auf Abdullahs trauriges Schicksal hingewiesen, der wohl schon vor Jahren als Wirtschaftsflüchtling sein Heimatland verlassen hat und seitdem heimatlos  durch Europa stromert, ohne dass ihn wirklich jemand aufnehmen will. Er sei ohne feste Bleibe, ohne Arbeit, die er ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland ja ohnehin nicht legal ausüben könne, und ohne Sozialleistungen oder andere Einkünfte, von denen er leben könne. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, habe ich Brecht zitiert und gefragt, wovon denn bitte der Mann leben solle? Da kann man schon mal auf die Idee kommen, einfach zu klauen, wenn die Not groß ist, oder nicht? Ob deshalb gleich Gewerbsmäßigkeit des Diebstahls angenommen werden dürfe, habe ich in Zweifel gestellt, immerhin sei aktuell nur eine Tat bekannt und zwischendurch könne er ja auch von Landsleuten oder anderen sozial eingestellten Menschen verpflegt und unterhalten worden sein.

Die Staatsanwältin und der Richter, beides sicher keine Hardliner, stimmten mir teilweise zu. Ja, das seien schwierige Lebensumstände, gewiss. Aber der Mann sei ja nicht gezwungen, sich ohne Aufenthaltsberechtigung hier aufzuhalten, und klauen dürfte man nun mal nicht. Da müsse auch die Gesellschaft geschützt werden. Und die Art der Tatbegehung spreche schon für Gewerbsmäßigkeit, ebenso die Rückfallgeschwindigkeit. Und deshalb, so die Staatsanwältin, müsse schon eine spürbare Freiheitsstrafe verhängt werden. 20 Tagessätze Geldstrafe gab es für die erste Tat, hundert Tagessätze für die zweite, beim dritten Mal waren dann für zwei Taten mit ebenfalls knapp 300 Euro Beutewert  8 Monate Freiheitsstrafe mit Bewährung verhängt worden. Da müsse jetzt wieder ein Schüppchen draufgelegt werden, meinte die Staatsanwältin, schließlich hätte die bisherigen Bestrafungen ja nicht viel genützt.

„10 Monate ohne Bewährung“ lautete folglich ihr Strafantrag, außerdem sei mit dem Widerruf der achtmonatigen Bewährungsstrafe, von der gut drei Monate durch Untersuchungshaft verbüßt sind, zu rechnen. Ich habe dagegen argumentiert, meinte, dass vier Monate auch ausreichen würden, was auch schon ziemlich viel sei, und außerdem habe die erneute Untersuchungshaft doch auf ihn eingewirkt, so dass man über Bewährung vielleicht nachdenken könne. Immerhin habe der junge Mann ja Reue gezeigt und gesagt, dass er auf keinen Fall mehr stehlen würde und im Falle der Haftentlassung Deutschland verlassen werde.

Ach ja, dass die Kosten der Haft völlig außer Verhältnis zum Wert des Diebesgutes stünden, habe ich auch noch erwähnt. Aber wen interessieren schon fiskalische Argumente?

8 Monate ohne Bewährung hat der Richter schließlich verhängt, ungerne, wie er erkennen ließ, aber notwendig sei das doch. Lobend erwähnte er das soziale Engagement der Verteidigung, und das hat er vermutlich sogar ernst gemeint. Aber die Gesellschaft müsse vor notorischen Dieben geschützt werden, meinte er mahnend, und vorliegend müsse in Anbetracht der Gesamtumstände von Gewerbsmäßigkeit ausgegangen werden. Auch seien generalpräventive Gesichtspunkte zu bedenken.

Wir werden wohl Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen, denke ich, vielleicht lässt sich die Gewerbsmäßigkeit in der Berufung ja noch beseitigen und die Strafe wird um ein paar Monate reduziert. Vielleicht …

Doof ist an solchen Verfahren, dass es da eigentlich nicht viel zu verteidigen gibt. Tatsächlich und rechtlich ist der Sachverhalt einfach gelagert, die Frage der Gewerbsmäßigkeit ist irgendwie Glaubenssache, auch wenn man da natürlich argumentieren kann, und ansonsten wählt das Gericht aus einem opulenten Strafrahmen die von ihm für richtig gehaltene Strafe aus. Und, wie gesagt, fiskalische Argumente zählen nicht…

Ich rechne doch einmal, ich kann´s einfach nicht lassen. Nach einer im Juni 2012 veröffentlichten Verlautbarung des nordrhein-westfälischen Justizministeriums lagen die täglichen Haftkosten in unserem Bundesland damals bei 111,55 Euro pro Gefangenem. Jetzt mögen es vielleicht 115 Euro sein. Macht pro Monat immerhin 3.450 Euro. Rechnet man das auf die insgesamt 16 Monate, die mein Mandant für die letzten beiden abgeurteilten Taten und für die neue Tat verbüßen soll, um,  so macht das satte 55.200 Euro, die der Steuerzahler zu tragen hat. Und das bei einem Gesamtschaden von nicht einmal 600 Euro. Müsste man die Gesellschaft nicht vor solch absurden Kosten schützen, frage ich mich. Generalprävention auf dem Buckel der Allgemeinheit, macht das einen Sinn?

Irgendwo habe ich gelesen, dass die Haftkosten in Deutschland insgesamt bei 2 bis 3 Milliarden Euro jährlich liegen sollen. Ich habe nicht überprüft, ob das stimmt, aber so oder so geht es um immense Beträge. Immer wieder frage ich mich, ob es nicht alternative Möglichkeiten gäbe, einerseits die Gesellschaft zu schützen und andererseits Sinnvolleres mit diesem Geld anzustellen, als so viele Menschen zu inhaftieren, zumal ja oft genug noch enorme Folgekosten enstehen, die in der Kostenstatistik nicht auftauchen. Ich denke da etwa an Sozialleistungen für die Familienangehörigen der Häftlinge, die ihren Ernährer verloren haben, oder an die Sozialleistungen, die für den Häftling selbst nach der Haftentlassung aufgebracht werden müssen, wenn er keinen Job mehr findet.

Ich gebe zu, ich habe keine Patentlösungen, die ich anbieten kann. Dass der Rechtsstaat auf Unrecht reagieren und auch generalpräventiv denken muss, bestreite ich nicht. Ein gerechter Schuldausgleich macht einen Sinn, nur dass man sehr unterschiedliche Auffassungen dazu haben kann, was das denn im Einzelfall bedeutet. Am besten wäre es natürlich, das Übel an der Wurzel zu packen. Wer eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis hat und auch tatsächlich Arbeit findet, der wird weniger Motivation zum Klauen habe, das ist wohl keine Frage. Andererseits, wenn man jedem, der es schafft, nach Deutschland zu gelangen, einen Aufenthaltsstatus gibt, der ihn auch zur Arbeit berechtigt, dann könnte es zu einem nicht mehr beherrschbaren Zuzug kommen, der für uns alle riesige wirtschaftliche und soziale Probleme mit sich bringen kann. Das ist wohl auch keine Lösung. Am besten wäre es, eine Welt zu schaffen, in der jedes Land in der Lage ist, seine Bevölkerung angemessen mit Arbeit und Bedarfsgütern zu versorgen. Aber das ist eine Utopie, die sich nicht kurzfristig verwirklichen lässt.

Was also tun? Ich denke, dass die 8 Monate Haft für 300 Euro nicht verhältnismäßig sind, auch wenn´s das vierte Mal war. Ich habe schon häufig Menschen verteidigt, die haben mit Vorsatzstraftaten Schäden in sechstelliger und manchmal sogar siebenstelliger Höhe angerichtet und trotzdem noch Bewährung bekommen. Das waren nicht nur Ersttäter…

Abdullah hat keiner alten Oma die Handtasche mit der Rente geklaut, geschädigt wurde eine große Kaufhauskette. Die kann das vielleicht verkraften. Vorliegend ohnehin, denn richtig geschädigt wurde sie ja nicht, schließlich hat man die Tatbeute ja noch vor dem Verlassen des Geschäftes zurückerhalten. Und dafür 8 Monate für Abdullah und 55.200 Euro Strafe für den Steuerzahler?

Simple Taten führen immer wieder zu simplen Verfahren und ziemlich simplen Strafen. Die sind dann oft zu hoch. Kein Raum für Verteidigungstaktik, kein Anlass für Verständigungsgespräche und Verfahrensabsprachen nach § 257c StPO, weil ja alles feststeht und so einfach ist. Warum sollen Gericht und Staatsanwaltschaft bei dieser Sachlage entgegenkommen? In komplexen Wirtschaftsstrafsachen mit potenziell vielen Verhandlungstagen ist Raum für oft ziemlich gute Deals, da reicht es dann manchmal für eine Bewährungsstrafe, wenn es eigentlich richtig um Patte geht. Die Überlastung der Justiz macht dann manches möglich. Abdullahs Fall war dafür zu simpel. Ich frage mich manchmal, was das mit Gerechtigkeit zu tun hat.

 

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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