Wenn ich richtig gezählt habe, fand am Mittwoch der 37. Verhandlungstag vor dem Landgericht Mönchengladbach in einem der skurrilsten Berufungsverfahren statt, das ich in fast 30 Jahren Strafverteidigertätigkeit erlebt habe.
Erstinstanzlich war der Mandant nach 19 Verhandlungstagen wegen Nachstellung, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung, mehrerer Eigentumsdelikte zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin und nicht zuletzt wegen einer im Verfahren nachgeschobenen sexuellen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 5 Monaten verurteilt worden. Einer der beiden erstinstanzlich als Verteidiger tätigen Kollegen hatte mich im Auftrag des Mandanten gebeten, doch im Berufungsverfahren die Mitverteidigung zu übernehmen. Er sei noch nie in einem Verfahren „so aufgelaufen“ wie in dieser Sache. Gericht und Staatsanwaltschaft seien in geradezu unbegreiflichem Maße einseitig gewesen und hätten der Zeugin, wohl weil sie Kripobeamtin sei, die abstrusesten Dinge geglaubt.
Ich habe etwas ungläubig dreingeschaut. So ein Verfahren müsste doch normalerweise in maximal 5 oder 6 Verhandlungstagen abzuarbeiten sein, habe ich optimistisch verkündet. Pustekuchen, wie ich heute weiß.
Wenn man all die Sonderbarkeiten des Verfahrens aufzählen will, weiß man kaum, wo man anfangen soll.
Da findet sich in der Akte beispielsweise der Vermerk eines leibhaftigen Kriminalhauptkommissars, wonach eine Staatsanwältin ihm gegenüber verlautbart habe, man solle gewisse Ermittlungserkenntnisse besser nicht zur Akte nehmen, „um der Verteidigung keine Argumentationshilfe zu liefern“.
Da wurden während des Ermittlungsverfahrens Videoüberwachungsmaßnahmen am Wohnort der Zeugin angeordnet und später durch Verfügung der Staatsanwaltschaft beendet, ohne dass sich ein einziges Wort dazu findet, ob oder wie lange die Überwachungsmaßnahme durchgeführt wurde oder woran die Überwachung gegebenenfalls gescheitert ist.
Da wurde erstinstanzlich ein psychiatrischer Sachverständiger, der den Angeklagten auf seine Schuldfähigkeit hin untersuchen sollte und der sich grundsätzlich positiv über ihn äußerte, von der Nebenklägerin mit Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der neue Sachverständige, der den Angeklagte reichlich ungünstig beurteilte, hat während des Verfahrens gegen einen seiner Verteidiger Strafanzeige wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz erstattet, weil dieser sein Gutachten dem Erstgutachter ohne seine Zustimmung zur Beurteilung vorgelegt habe. Die Staatsanwaltschaft hat tatsächlich gegen den Kollegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, obwohl der sich ganz offensichtlich rechtmäßig verhalten hat. Ich habe den Kollegen im Ermittlungsverfahren verteidigt und die Frage aufgeworfen, ob hier nicht eine Verfolgung Unschuldiger im Raume steht. Das Verfahren ist dann auch eingestellt worden.
Der neue Sachverständige, der die Erstattung der Strafanzeige zu keinem Zeitpunkt den Verfahrensbeteiligten angezeigt hatte, ist dann im Berufungsverfahren ebenfalls erfolgreich abgelehnt worden.
Die Kriminalhauptkommissarin, die acht Jahre mit dem Angeklagten zusammengelebt hat und von diesem großzügig wirtschaftlich unterstützt worden war, ist im Berufungsverfahren an 10 Tagen vernommen worden. Die meisten Tage davon in Abwesenheit des Angeklagten, weil eine Gutachterin die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden attestiert hatte, die später jedoch aus dem Nichts heraus verflogen war. Da konnte die Zeugin dann doch seine Anwesenheit im Gerichtssaal verkraften.
Ich habe noch selten erlebt, dass eine Zeugin derart flexibel im Aussageverhalten war, ihre Bekundungen nach Belieben variiert und geändert und in einer Vielzahl von Fällen nachweislich die Unwahrheit gesagt hat. Weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht haben zu irgendeinem Zeitpunkt erkennen lassen, dass sie beabsichtigen, von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage einzuleiten. Als Strafverteidiger weiß man, dass in vergleichbaren Situationen bei anderen Zeugen lautstark der Griffel gezückt wird.
Die Zeugin hat als Beweis für eine behauptete sexuelle Nötigung und andere Beschuldigungen, die sie während des erstinstanzlichen Verfahrens nachgeschoben hatte und die dann Anlass für den Erlass eines Haftbefehl gewesen sind, ein als „Ablaufkalender“ bezeichnetes Tagebuch vorgelegt, das sie nach eigenem Bekunden seinerzeit zeitnah nur für sich geschrieben haben will, um die bösen Taten zu verarbeiten können. Sie habe nie vorgehabt, die Aufzeichnungen gegen den Angeklagten zu verwenden. Auf welchem Rechner sie das Tagebuch geschrieben hat, konnte sie erstinstanzlich nicht sicher sagen. Sie „meine“, auf ihrem Dienstrechner. Sicher wisse sie aber, dass sie das Tagebuch wieder vom Rechner gelöscht habe, nachdem sie dieses einmal ausgedruckt und mit handschriftlichen Ergänzungen versehen hatte. Kopien habe sie nie gefertigt.
Das Original des Ablaufkalenders als originäres Beweismittel ist nie zur Akte oder zu den Asservaten gelangt. Als ich verlangt habe, dieses beizuziehen, war es plötzlich in der Kanzlei des Nebenklagevertreters unauffindbar verschwunden. Er wisse aber sicher, dieses von seiner Mandantin erhalten und nie an sie zurückgegeben zu haben, hatte der Kollege im Prozess versichert. Als das Gericht den Kollegen aufgefordert hat, das Tagebuch beizubringen, hatte ich etwas vorlaut in den Saal gerufen: „Wetten, dass das Tagebuch verschwunden ist!?“. Der Vorsitzende hat mich – so war mein Eindruck – tadelnd angeschaut.
Das Tagebuch war aktenkundig erstmals in einem Gerichtsverfahren Anfang Januar 2011 zur Sprache gekommen. Da hatte die Nebenklägerin dieses überraschend aus ihrer Handtasche gezaubert. In der Akte befindet sich ein Anschreiben der Nebenklägerin aus Dezember 2010, mit dem sie das Tagebuch an den Anwalt überreicht hat. Der Eingangsstempel des Anwalts datiert ebenfalls von Dezember 2010. Ich habe die Nebenklägerin gefragt, wie sie ein Tagebuch, das sie nur einmal ausgedruckt und nie kopiert hat und das sie auch nie von ihrem Anwalt zurückerhalten haben will, 10 Tage nach der Weggabe bei sich führen konnte. Darauf hatte die ansonsten eloquente Frau keine plausible Antwort. Sie könne sich das auch nicht erklären, hat sie gesagt.
Warum sie in nur für sich selbst geschriebene Tagebucheintragungen die ladungsfähige Adresse ihrer Schwester und ihre eigene vollständige Wohnanschrift eingesetzt habe, wurde die Zeugin gefragt. „Dienstliche Gewohnheit“, lautete die Antwort. Warum sie Bemerkungen wie „Unterlagen können nachgereicht werden“ oder „Anschrift muss noch ermittelt werden“ in ein nur für sie selbst bestimmtes Tagebuch eingefügt habe? Dieselbe Antwort.
Wir haben viele Verhandlungstage damit verbracht, Widersprüche zwischen dem Tagebuch und dem Dienstplan der Zeugin aufzuklären. Es hat sich gegen den erbitterten Widerstand der Nebenklage herausgestellt, dass etliche Tagebucheintragungen nicht authentisch sein konnten, weil die Zeugin an bestimmten Tagen nachweislich andere Dinge gemacht hat als im Tagebuch angegeben.
Die Zeugin hatte behauptet, sie habe immer für den Angeklagten kochen müssen. Der habe ihr sogar vorgeschrieben, wo sie einkaufen musste. Sie sei völlig unfrei gewesen, hätte gar einen Pflichtenkalender „Putzen, kochen, waschen, ficken“ unterschreiben müssen. Der Angeklagte hat dies bestritten. Seine Wäsche sei von den Eltern gewaschen worden, hat er vorgetragen. Er hat nachvollziehbar dargelegt, dass er mittags, wenn er nicht unterwegs war, bei seinen Eltern gegessen hätte, da die Zeugin dann in der Regel Dienst gehabt hätte. Abends sei er oft spät nachhause gekommen und hätte dann meistens Essen mitgebracht, Pizza, Nudeln, chinesische Gerichte und anderes mehr. Oft sei man auch zusammen essen gegangen. Die Zeugin hat ausgesagt, der Angeklagte esse überhaupt keine Pizza. Wir haben an zwei Verhandlungstagen eine Reihe von Zeugen gehört, die das Gegenteil bestätigt haben. Der Inhaber einer Pizzeria hat bestätigt, dass der Angeklagte dort seit 20 Jahren Stammkunde sei und wegen seiner häufigen Bestellungen sogar Sonderpreise bekommen habe. Mehrere Zeugen haben bestätigt, dass er wiederholt gemeinsam mit der Nebenklägerin in der Pizzeria gegessen habe. Mit diesen Aussagen konfrontiert, hat die Zeugin behauptet, sie hätte ja nie gesagt, dass der Angeklagte keine Pizza esse. Ab und zu sei das schon der Fall gewesen. Warum dann die Beweisaufnahme? Auch der Vorsitzende Richter hat den Kopf geschüttelt.
Die Zeugin hat ausgesagt, sie hätte immer bei einem bestimmten Metzger Fleisch kaufen müssen. Der Angeklagte hat dazu bekundet, dass die Zeugin im fraglichen Zeitraum den Metzgersladen gar nicht mehr betreten hätte, weil es bestimmte Unstimmigkeiten mit den Metzgersleuten gegeben hätte. Das hat die Metzgersfrau vor Gericht bestätigt. Die Zeugin hat dies auf Vorhalt dahingehend relativiert, dass sie dann halt zu anderen Zeitpunkten dort eingekauft habe. Wozu dann die Beweisaufnahme, habe ich mich gefragt.
Die Zeugin hat angegeben, sie sei nach einer vorübergehenden Trennung nur unter Zwang zu dem Angeklagten zurückgekehrt. Das Jahr danach sei für sie die Hölle gewesen. Wir haben zahlreiche an unseren Mandanten gerichtete Liebes-SMS und andere Nachrichten der Zeugin aus diesem Zeitraum vorgelegt, die das Gegenteil bekunden. Sie wisse nicht, ob die SMS von ihr stammen, hat die Zeugin gesagt, aber wenn, dann habe sie die auch nur unter Druck geschrieben. Na klar, der Angeklagte hat neben ihr gestanden und beispielsweise gesagt: „Schreib mir eine SMS mit dem Satz: Du bist mein Fels in der Brandung!“ Das klingt lebensnah, oder etwa nicht?
Sie könne sich nicht daran erinnern, ob die Mobilnummer, unter der einige hundert SMS versandt worden sind, überhaupt ihre gewesen sei, hat die Kriminalhauptkommissarin verlauten lassen. Zahlen und Rufnummern habe sie sich noch nie merken können.
Wir haben zahlreiche Polizeizeugen gehört. Die haben sich nicht selten widersprochen und sich auch schon mal gegenseitig der Unwahrheit bezichtigt.
Eine Polizistin gab an, von der Nebenklägerin massiv gemobbt worden zu sein. Sie sei darüber zeitweise dienstunfähig erkrankt gewesen. Damals sei ihr Auto mit Graffiti beschmiert worden. „Maulwurf“ habe jemand auf das Auto gesprüht, und zwar mit einer Farbe, über die nur die Polizei verfüge. Die Nebenklägerin hätte sie und eine Kollegin vorher explizit als „Maulwurf“ verdächtigt. Die Ermittlungen wegen der Sachbeschädigung am Auto seien eingestellt worden, meinte die Zeugin, insoweit dürfe sie ja heute nichts behaupten.
Ein Polizeizeuge meinte, er habe damals wie heute ein normales kollegiales Verhältnis zu der Nebenklägerin, mehr nicht. Ja, es treffe zu, dass er die Zeugin vielleicht 200 Mal morgens zum Dienst begleitet und abends auch wieder nachhause eskortiert habe, um sie zu beschützen. Das sei kollegialer Schutz gewesen, mehr nicht. Ob er mit der Zeugin gemeinsam in Urlaub gefahren sei, habe ich ihn gefragt. Dreimal, lautete die mir etwas widerwillig erscheinende Antwort, aber in getrennten Zimmer natürlich. Eine Polizeizeugin berichtete, der Kollege und die Nebenklägerin seien dem Hörensagen nach mal von einer Auszubildenden beim Knutschen im Reitstall überrascht worden, aber das konnte nicht verifiziert werden.
Der betreffende Zeuge hat nach seiner Vernehmung an zahlreichen Sitzungen als Zuschauer teilgenommen und die Nebenklägerin und später auch andere Zeugen zum Termin begleitet. Die waren nach meinem Eindruck immer gut über das Prozessgeschehen informiert. Der Mann hat das ganz freiwillig in seiner Freizeit gemacht, er ist inzwischen pensioniert.
Ich habe einen Belastungszeugen, auch Polizeibeamter, gefragt, was seine Ehefrau denn beruflich mache. Der wollte das partout nicht beantworten, das habe mit dem Verfahren nichts zu tun. Als ich insistierte, beanstandete der Vorsitzende meine Frage, auch er erkenne die Verfahrensrelevanz nicht. Ich habe meine Frage präzisiert und den Zeugen gefragt, ob seine Ehefrau in der Kanzlei des Nebenklagevertreters arbeite. Diese Frage hat der Vorsitzende zugelassen. „Jetzt nicht mehr“, hat der Zeuge geantwortet, „aber bis vor zwei Jahren hat sie dort gearbeitet“. Damals lief das Verfahren schon längst. Wie mag die anwaltlich bis dato anderweitig vertretene Nebenklägerin wohl an den neuen Anwalt geraten sein?
Etliche Belastungszeugen dürften vor ihrer Aussage Kontakt mit der Nebenklägerin oder ihren polizeilichen Unterstützern gehabt haben. Viele Aussagen klangen merkwürdig abgestimmt. Wenn ich mich richtig erinnere, haben drei Zeugen im Rahmen ihrer Aussage völlig ungefragt gesagt, sie hätten meine Blogbeiträge zu dem Prozess gelesen. So sehr ich mich über die Popularität des strafblog freue, aber ich habe doch so meine Zweifel, dass z.B. eine Frau im Rentenalter einfach zufällig auf meine Blogbeiträge stößt oder gar regelmäßige Leserin strafrechtlicher Blogs ist. Da muss es informatorischen Austausch gegeben haben, denke ich.
Eine Zeugin hat Jahre nach einem angeblichen Tatgeschehen ungefragt ein damals von ihr angegebenes KFZ-Kennzeichen eines angeblichen Fahrzeuges meines Mandanten korrigiert. Sie hätte damals die Ziffern vertauscht. Eine erstaunliche Gedächtnisleistung, finde ich. Nein, sie habe mit niemandem vor ihrer Vernehmung über das Thema gesprochen, hat die Zeugin bekundet. Woher wusste sie dann, welches Kennzeichen sie damals angegeben hat und dass das wichtig sein könnte?
Die Verteidigung hatte schon erstinstanzlich hunderte von SMS der Nebenklägerin als Beweismittel vorgelegt. Die Zeugin hat bekundet, sie erinnere sich nicht an diese SMS und bezweifele, diese geschrieben zu haben, obwohl sie in auffälliger Weise mit dem später von ihr präsentierten Tagebuch übereinstimmten. Wir haben die Vermutung geäußert, dass die Zeugin das Tagebuch auf die SMS abgestimmt hat. Es haben aufwendige technische Untersuchungen des Handys meines Mandanten durch das Landeskriminalamt stattgefunden, ob dieser die SMS im Nachhinein erstellt haben könnte. Hinweise hierauf haben sich nicht ergeben.
Es gäbe Vieles mehr zu berichten, aber das würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen.
Die Berufungskammer hat sich mit einer Bewertung der Zeugenaussage trotz der aus meiner Sicht offenkundigen Unwahrheiten und Manipulationen lange Zeit schwer getan. Sie ist monatelang jedem gestellten Beweisantrag nachgegangen, obwohl nach Auffassung der Verteidigung längst erwiesen war, dass die Zeugin gelogen hat und dass der Ablaufkalender im Nachhinein gefertigt und zum Zwecke der Beweismanipulation erstellt worden war. Ich habe nie eine ausführlichere Beweisaufnahme zu einem einzigen Thema erlebt als in diesem Verfahren. Ich hätte mir gewünscht und habe das auch wiederholt angemerkt, dass das Gericht mal einen Beweisantrag wegen Unerheblichkeit zurückweisen würde, weil die unter Beweis gestellte Tatsache bereits erwiesen sei. „Zu gegebener Zeit“ werde er schon mitteilen, wie die Kammer die Beweislage bewerte, hat der Vorsitzende mehrfach bekundet. Mangelnde Sorgfalt bei der Aufklärung des Sachverhalts kann man ihm sicher nicht unterstellen.
Die Kammer hat am 34. Verhandlungstag einen rechtlichen und tatsächlichen Hinweis erteilt. Sie hat sinngemäß ausgeführt, dass sie nicht (mehr) von einer Glaubwürdigkeit der Zeugin ausgehe und dass sie Zweifel an der Authentizität des Ablaufkalenders habe. Auch gehe sie davon aus, dass die fraglichen SMS von der Zeugin stammten.
Was lange währt, wird endlich gut, könnte man aus Verteidigersicht sagen, aber das stimmt nur teilweise und über den Aufwand und die Kosten darf man ohnehin nicht nachdenken.
Bezüglich der Taten, die ausschließlich durch Bekundungen der Kriminalhauptkommissarin belegt seien, stellte die Kammer Freisprüche in Aussicht. Bezüglich fünf im Einzelnen spezifizierter Taten, die auch durch andere Zeugen belegt seien, tendiere das Gericht zu einer Verurteilung. Die Kammer hat auch ihre Strafvorstellungen geäußert. Es verwundert den versierten Strafrechtler sicher nicht, dass durch die Vorstellungen der Kammer die insgesamt 20-monatige Untersuchungshaft verbraucht wäre. „U-Haft schafft Rechtskraft“ lautet ein altes Strafverteidigersprichwort, und das soll sich anscheinend mal wieder bewahrheiten.
Erstinstanzlich hatte das Gericht für den Fall eines umfassenden Geständnisses, das dann aber nicht erfolgt ist, mal eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. Da ging es noch um eine deutlich höhere Anzahl von Straftaten, von denen die gravierendsten jetzt zum Freispruch kommen sollen. Ohne die Falschbeschuldigung wegen der sexuellen Nötigung und ohne das gefakte Tagebuch wäre der Mann wohl kaum in Haft gegangen. Aber wen interessiert das schon?
Uns Verteidiger lässt das nicht kalt. Wir werden die in Aussicht gestellte Verurteilung wegen der verbleibenden Taten nicht kampflos hinnehmen. Die anderen Zeugen waren aus unserer Sicht auch nicht gerade überzeugend. Wir haben zuletzt noch einige Beweisanträge präsentiert, denen teilweise nachgegangen wurde und die ansonsten im Wesentlichen durch Wahrunterstellung abgelehnt wurden. Endlich! Man wird sehen, was noch für eine Verurteilung übrig bleibt. Wir meinen, die Beweislage ist auch wegen der anderen Taten dünn.
Nächste Woche soll, wenn es bei der jetzigen Planung bleibt, mit den Plädoyers begonnen werden. Anfang Juni soll dann das Urteil verkündet werden. Wir sind gespannt und haben noch die leise Hoffnung, dass sich da noch etwas zu Gunsten unseres Mandanten tun könnte.
Und wir werden mit dem Mandanten erörtern, welche weiteren Schritte folgen sollen. Die Staatsanwaltschaft hat den gesetzlichen Auftrag, Straftaten von Amts wegen zu verfolgen, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Im Falle des Kollegen, der das Gutachten eines Sachverständigen durch einen anderen Gutachter hat überprüfen lassen, hat die Strafverfolgungsbehörde unschwer einen solchen Anfangsverdacht bejaht, obwohl der überhaupt nicht zu begründen war. Ich habe darüber im strafblog berichtet. Bei der Nebenklägerin sieht das anders aus. Die hat ziemlich offensichtlich die Unwahrheit gesagt, das kann man kaum anders sehen, finde ich. Ein Anfangsverdacht einer Falschaussage und einer vorsätzlichen falschen Verdächtigung drängt sich aus Sicht der Verteidigung geradezu auf. Aber irgendwie habe ich die Ahnung, dass die Staatsanwaltschaft das nicht so sehen wird. Von Amts wegen wird da gar nichts veranlasst werden, vermute ich. Die Strafverfolgungsbehörde hat schon einmal ein Verfahren gegen die Frau wegen Verdachts der Falschaussage, das erstinstanzlich aufgrund der Anzeige eines Mitverteidigers eingeleitet worden war, eingestellt. Eine Kriminalhauptkommissarin lügt halt nicht, könnte man meinen. Oder vielleicht doch?
Wie heißt es doch so schön: Manchmal muss der Hund zur Jagd getragen werden.
Kategorie: Strafblog
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