Strafverteidigung ist nicht selten ziemlich aktionistisch. Da legt man sich so richtig für den Mandanten ins Zeug, läuft von Pontius zu Pilatus (in Wirklichkeit heißen die natürlich anders) und erreicht Dinge, die in dem bisweilen trägen Justizapparat jedenfalls in diesem Tempo nur selten klappen. Und dann kommt auf den letzten Metern doch noch Sand ins Getriebe und der Motor fängt an zu stottern.
So ging es der Kollegin Viktoria Nagel am vergangenen Donnerstag, und deshalb mussten ein paar Angehörige ihres Mandanten über Nacht zu Dritt im Pkw vor der JVA Wuppertal campieren. Was war geschehen? Viktoria Nagel schildert den Ablauf folgendermaßen:
„Drei britische junge Männer, alle zwischen 18 und 21 Jahre alt, waren beim versuchten Diebst ahl eines Campingwagens erwischt worden. Jedenfalls lautet so der Vorwurf im Haftbefehl. Als Haftgrund für die in Deutschland nicht vorbestraften Beschuldigten wurde Fluchtgefahr angenommen, da sie über keinen Inlandswohnsitz verfügen. Mit der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass eine Haftverschonung gegen Kaution in Höhe von ein paar tausend Euro für jeden erfolgen könne. Also habe ich Kontakt mit der Verwandtschaft meines Mandanten aufgenommen. Die kam dann auch am nächsten Morgen in der Kanzlei vorbei und brachte die Kaution für alle 3 Beschuldigten in bar mit. Da die zuständige Staatsanwältin nicht erreichbar war, habe ich mich morgens um acht mit dem Eilstaatsanwalt in Verbindung gesetzt und angekündigt, dass die Kaution umgehend eingezahlt würde. Der verwies mich an die Dezernentin, welche demnächst eintreffen würde und den Vorgang schon in einer Eilt-Mappe auf dem Tisch liegen habe. Sie sei über die Sache auch schon „grob informiert“. Da ich zwei auswärtige Hauptverhandlungstermine wahrzunehmen hatte, habe ich den Verteidiger eines der beiden anderen Beschuldigten gebeten, sich um die Sache zu kümmern. Der hat dann auch die Dezernentin erreicht, die ihm zusicherte, die Akte umgehend per Eil-Wachtmeister zum Gericht bringen zu lassen, damit der Haftverschonungsbeschluss erlassen und die Annahmeanordnung für die Kaution verfügt werden könne. Um13 Uhr lag noch kein Verschonungsbeschluss vor. Der Haftrichter war bis 14:30 Uhr nicht erreichbar. Dann erfuhr ich, dass die Akte dort noch nicht eingegangen war. Die lag noch bei der Staatsanwaltschaft. Allerdings war die dortige Dezernentin schon nach Hause gegangen. Mein Kollege hat sich mit einer anderen Staatsanwältin, die mit der Sache eigentlich nichts zu tun hat, in Verbindung gesetzt und den Sachverhalt geschildert. Die hatte – was in der Justiz nicht selbstverständlich ist – Verständnis und erklärte sich bereit, die Akte persönlich zum Haftrichter zu bringen, der dann den Verschonungsbeschluss erließ. Jetzt war es schon reichlich spät, die Hinterlegungsstelle, welche die Annahmeanordnung ausstellen musste, und die Gerichtskasse, bei der die Kaution eingezahlt werden musste, würde in wenigen Minuten schließen. Telefonisch erklärte man sich dort bereit, ein paar Minuten über die Dienstzeit hinaus zu warten, damit das Ganze noch abgewickelt werden konnte. Wunderbar, auch das ist nicht selbstverständlich in deutschen Amtsstuben. Aber manchmal menschelt es selbst dort.
Mit der Quittung über die Einzahlung der Kaution ging´s dann wieder zum Haftrichter, der die Entlassungsanordnung ausstellte und veranlasste, dass diese an die verschiedenen Haftanstalten, in denen die jungen Leute untergebracht waren, gefaxt wurden. Wir hatten seitens der Verteidigung die JVAs vorab per Fax unterrichtet, dass die Entlassungsanordnung in Kürze vom Haftrichter übermittelt würde. Man möge den Beschuldigten doch schon mitteilen, dass sie am Nachmittag von ihren Leuten abgeholt würden.
Wie gesagt, viel Action war das, um die Jungs noch am selben Tag aus dem Knast zu bekommen, aber letztlich hatte es ja geklappt. Dachte ich jedenfalls. Bis ich am frühen Abend nach einem langen auswärtigen Termin auf mein Handy schaute. Da waren zahlreiche sms der Verwandten meines Mandanten, die mir mitteilten, dass nur zwei der Beschuldigten entlassen worden seien. Der Dritte sitze noch in der Jugendhaftanstalt in Wuppertal, die wüssten nichts von einer Entlassungsanordnung. Ich habe dort angerufen und darum gebeten, sich doch mit dem über den Sachverhalt informierten Eilstaatsanwalt in Verbindung zu setzen und sich die Entlassungsanordnung dort bestätigen zu lassen. Das sagte man mir auch zu.
Erst am Freitagmorgen habe ich dann von der Verwandtschaft meines Mandanten erfahren, dass der junge Mann immer noch nicht entlassen sei. Drei Frauen, eine davon reichlich schwanger, hatten deshalb im Auto vor dem Knast übernachtet, da das Geld nach Einzahlung der Kaution nicht mehr für ein Hotel gereicht hatte. 27 Stunden waren die Mädels jetzt schon unterwegs.
Ein Anruf bei der Geschäftsstelle des Gerichts ergab, dass die Entlassungsanordnung auf ein im Internet ausgewiesenes Faxgerät der JVA gesendet worden war, welches nachmittags nicht mehr besetzt ist. Ich habe gegenüber der Geschäftsstellendame geäußert, dass es doch justizinterne Faxverzeichnisse mit ganztägig besetzten Rufnummern geben müsse, um solche Pannen zu vermeiden. Die Dame reagierte genervt und blaffte mich recht unfreundlich an, dass ja auch ein Anwalt auf die Idee hätte kommen können, die JVA rechtzeitig zu informieren. Ich habe darauf hingewiesen, dass dies durchaus geschehen sei, dass die JVAs aber auf bloßen anwaltlichen Zuruf keine Entlassungen vornähmen (was ja bedauerlich genug ist).
Wie dem auch sei, der Mandant wurde kurz darauf entlassen und befindet sich nach zwei Tagen Untersuchungshaft wieder im Schoße der Familie. Jetzt wartet er darauf, was aus dem Verfahren wird. Und ich muss ihn wenigstens nicht in der Haft aufsuchen, sondern kann ihn zur Rücksprache in die Kanzlei bestellen. Das ist doch immerhin auch etwas, oder?“
Kategorie: Strafblog
Permalink: Entlassungsanordnung nicht bei der JVA angekommen – Dann campieren wir halt vor dem Gefängnis
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