Erst denken, dann reden, Herr Oppermann – Ein paar Spekulationen zum Fall Edathy



Veröffentlicht am 18. Februar 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Am Samstag wollte ich mit einem Kollegen noch eine Wette darüber abschließen, dass der SPD-Fraktionschef Oppermann in Kürze vor der Presse erklären würde, dass er von BKA-Chef Ziercke keine Antwort bekommen habe, als er ihn nach einem etwaigen Ermittlungsverfahren gegen seinen Parteifreund Edathy fragte. Das Schweigen des obersten deutschen Polizisten habe er aber als Bestätigung verstanden und sich im Rahmen seiner inzwischen reichlich bedenklich gewordenen Pressekonferenz zum Fall Edathy missverständlich ausgedrückt, als er sagte, Ziercke habe ihm die Ermittlungen bestätigt. Der Kollege hat die Wette leider nicht angenommen, weil auch ihm klar war, dass es so kommen würde, wie es am Sonntag dann auch folgerichtig gekommen ist.

Oppermann, Ziercke, Gabriel, Steinmeier – einige von denen stehen derzeit mehr oder weniger mit dem Rücken zur Wand und müssen sich selbst schützen, auch wenn die Wahrheit dabei auf der Strecke bleibt. Der eine lügt und der andere sagt die Unwahrheit, könnte man denken, wenn man die zum Teil reichlich rabulistischen Erklärungen hört, die da so verbreitet werden. Sonderlich geschickt ist das Alles nicht, aber was soll man schon machen, wenn sich die Schlinge um den Hals zu legen droht?

Aus der CSU wird Oppermann vorgeworfen, er habe den zurückgetretenen Minister Friedrich absichtlich auflaufen lassen, indem er die Presse über dessen vertraulichen  Hinweis auf ein etwaiges Verfahren gegen Edathy unterrichtet habe. Oppermann hat mit der inzwischen von Friedrich bestätigten Behauptung gekontert, er habe den Wortlaut seiner Presseerklärung mit diesem telefonisch abgesprochen. Friedrich wiederum will bei dem Telefonat im Auto gesessen und vor allem die fragliche Passage nicht richtig verstanden haben, habe ich irgendwo gelesen. Deshalb habe er auch nicht protestiert. Das tun seine Parteifreunde dafür jetzt um so lauter. Sie wollen als Revanche für Friedrichs Rücktritt beim ungeliebten Koalitionspartner Köpfe rollen sehen, zumindest der von Oppermann sollte es sein.

FDP-Vize Kubicki nutzt die Gelegenheit, seiner in die relative Bedeutungslosigkeit abgerutschten Partei öffentliche Beachtung zu verschaffen, indem er sich über das rechtswidrige Verhalten der Koalitionäre bitter beklagt und gar eine eigene Strafanzeige gegen Oppermann in Betracht zieht, wie man das als Strafverteidiger ja so macht.

Ich spekuliere mal – natürlich ohne Netz und doppelten Boden -, was wirklich geschehen ist: Das BKA hat von den kanadischen Behörden einen Hinweis bekommen, dass Edathys Name in der Kundenkartei eines dortigen padophilieverdächtigen  Versandhändlers auftaucht und dort zwielichtiges, wenngleich nicht strafbares Bildmaterial bezogen habe. Nicht jeder beim BKA wird über diesen Hinweis unglücklich gewesen sein, schließlich hatte Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses beträchtliche Kritik an den polizeilichen Ermittlungsbehörden und am Verfassungsschutz geübt. BKA-Chef Ziercke hat dann im Oktober den damaligen Innenminister Friedrich von der Verdachtslage unterrichtet, wobei sicher auch zur Sprache kam, dass es um Kinderpornografie gehen könne. Friedrich war besorgt, weil er nicht ausschließen konnte, dass der in der SPD aufstrebende Edathy vielleicht für höhere politische Weihen in der schwarz-roten Koalition in Betracht kommen könnte. Deshalb hat er – durchaus aus staatsbürgerlicher Verantwortung – den SPD-Chef Gabriel unterrichtet, der sein soeben gewonnenes Halbwissen dann mit Steinmeier und Oppermann teilte. Man war sich einig darüber, einen Mann, der wegen des Besitzes von Kinderpornografie unter Verdacht stünde, könnte man nicht in irgendwelche Staatsämter hieven. Also rief Oppermann mit Wissen der beiden anderen SPD-Strategen den Parteifreund und BKA-Mann Ziercke an, um dort nachzufragen, was denn an der Sache dran sei. Und Ziercke wird wohl – auch wenn er das heute bestreitet – die Verdachtslage bestätigt haben. Und deshalb ging Edathy dann auch bei der nachfolgenden Pöstchenvergabe in der neuen Koalition leer aus. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Gründe hierfür in der erweiterten SPD-Führungsriege nicht angesprochen wurden und als klammes Geheimnis bei dem obersten Triumvirat verblieben. Da mag der Kubicki schon Recht haben, wenn er sagt, dass so etwas innerhalb von 24 Stunden mindestens 50 Mann wissen, wenn die Sache zunächst unter 3 Leuten besprochen wird.

Edathy hat im November von der Verdachtslage erfahren. Ob er von SPD-Parteifreunden gewarnt wurde oder aus anderen Quellen unterrichtet wurde, sei mal dahingestellt. Immerhin wussten ja auch die Innenminister der Länder, etliche Kripoleute und nicht zuletzt die Hannoveraner Staatsanwaltschaft von der Sache. Bevor die Sache öffentlich wurde und der Bundestag über die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität entscheiden konnte, hat Edathy „aus gesundheitlichen Gründen“ sein Abgeordnetenmandat aufgegeben. Ob er belastendes Beweismaterial vernichtet hat, ist ungeklärt. Sonderbar genug ist allerdings, dass er seinen Parlaments-Laptop nach Aufgabe des Mandats als gestohlen oder verschwunden gemeldet hat, nachdem er zurückgetreten war.

Oppermann jedenfalls sah sich, nachdem die Sache öffentlich wurde, zu einer Presseerklärung veranlasst, um seiner politischen Verantwortung als SPD-Fraktionsvorsitzender gerecht zu werden. Und in dieser Erklärung hat er kundgetan, dass Friedrich die Verdachtslage im Oktober der SPD gesteckt hat und dass Ziercke ihm dies auf telefonische Anfrage hin bestätigt hat. Ich halte die Annahme für abwegig, dass Oppermann – wie manch ein CSUler vermutet – mit seiner Erklärung Friedrich als Geheimnisverräter bloßstellen wollte. Warum sollte er auch? Noch weniger plausibel wäre es, dass er gleich auch seinen Parteifreund Ziercke strafrechtlich in die Pfanne hauen und sich selbst wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat verdächtig machen wollte. Nein, Thomas Oppermann, selbst Volljurist und früherer Verwaltungsrichter, hat bei seiner Erklärung nur politisch, aber nicht juristisch gedacht und etwaige strafrechtliche Implikationen überhaupt nicht erwogen. Das gleiche gilt auch für Friedrich, auch Volljurist und promoviert noch dazu, als dieser die Presseerklärung absegnete. Da haben zwei eigentlich kluge Leute einfach nicht nachgedacht und auch keinen strafrechtlichen Rat eingeholt, weil sie reichlich betriebsblind waren.  Und wer weiß schon, mit wem Oppermann seine Presseerklärung im Vorhinein noch abgestimmt hat? Eigentlich müsste Gabriel doch auch Bescheid gewusst haben, die Sache war für die SPD doch von erheblicher Bedeutung. Aber wie gesagt, ich spekuliere nur ganz unjuristisch.

BKA-Ziercke war der Erste, der sich strafrechtlich folgerichtig verhielt, als er Oppermanns Behauptung bestritt, diesem die Verdachtslage bestätigt zu haben. Damit bezichtigte er den Fraktionschef zwar der Lüge, was ihm nicht leichtgefallen sein dürfte, aber immerhin ging es ja um seinen eigenen Kopf. Friedrich war bereits zurückgetreten, und  der Vorwurf des strafbaren Geheimnisverrats stand in der öffentlichen Diskussion. So etwas schärft den juristischen Verstand. Für Oppermann war Zierckes Dementi eine Steilvorlage. Lüge hin oder her, jetzt musste er nachlegen. Und außerdem, da gibt es ja nach noch elegante Alternativen zu Lüge und Unwahrheit. Zum Beispiel das Missverständnis oder die Fehlinterpretation. Nein, Ziercke hat ihm nicht so ganz explizit den Verdacht gegen Edathy bestätigt, er hat ihm lediglich keine Antwort gegeben, was er – Oppermann – als Bestätigung verstanden hat. Eine nicht ganz glanzvolle Ausrede, aber immerhin ein denkbarer Ausweg aus einer misslichen Lage.

Er habe sich in jeder Beziehung richtig verhalten, lässt Oppermann sinngemäß verlauten, auch bei Abgabe der Presseerklärung, die Öffentlichkeit habe ja schließlich ein Recht auf vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung gehabt. Na klar, Herr Oppermann, wir wissen ja, dass Politiker bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit immer und unbedingt auf Ehrlichkeit achten, selbst wenn sie sich damit selbst belasten. Und außerdem, wer gibt im Nachhinein schon gerne zu, sich einfach dämlich verhalten zu haben, weil er nicht hinreichend nachgedacht hat. Erst denken, dann reden, das wäre politisch und strafrechtlich klüger gewesen.

Obwohl, rechtlich betrachtet kann man ja durchaus auch die Auffassung vertreten, dass Friedrichs Verhalten gar keinen strafbaren Geheimnisverrat darstellt. Immerhin hat der Mann einen Amtseid als Bundesminister abgelegt und dabei – wie dies in den Artikeln 64 Abs. 2 und 56 des Grundgesetzes festgelegt ist – auch geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Und wenn er mit der Weitergabe seiner Informationen an Gabriel verhindern wollte, dass ein prospektiver Kinderpornobesitzer vielleicht Regierungsmitglied wird, dann war sein Verhalten nicht nur politisch gerechtfertigt, sondern auch rechtlich geboten, weil das Spannungsverhältnis zwischen Geheimnisverrat und Schadensabwendungspflicht nicht anders aufgelöst werden konnte. Zu diesem Thema wird demnächst sicher noch manches geschrieben werden. Aber dass Oppermann und Friedrich so weit gedacht haben, als sie die Presseerklärung miteinander abgestimmt haben, darf bezweifelt werden, sonst wäre dies sicher zur Sprache gekommen und die Kanzlerin hätte Friedrich auch nicht zum Rücktritt drängen müssen.

Noch ein Wort zu Edathy: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und der Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen rechtswidrig waren. Die Hannoveraner Staatsanwaltschaft ist da deutlich zu weit vorgeprescht. Der bloße Bezug eindeutig nicht strafbaren Bildmaterials von unbekleideten Jungen stellt – unabhängig von seiner Anrüchigkeit und politischen Unverträglichkeit – keinen ausreichenden Anfangsverdacht für Straftaten dar. Es gibt keine belastbare Erfahrung, dass jemand, der solches Bildmaterial bezieht, auch kinder- oder jugendpornografische Aufnahmen besitzt oder gar ein Missbrauchstäter ist. Es hat den Anschein, als ob die Staatsanwaltschaft wider besseres Wissen behauptet, es handele sich bei den in Kanada gekauften Aufnahmen um solche aus dem Grenzbereich zur Strafbarkeit. Nach allem, was sich aus der öffentlichen Berichterstattung ergibt, liegen die von dem Mann gekauften Videos weit unterhalb dieser Schwelle. Mal sehen, was aus der von Edathys Anwalt inzwischen erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Staatsanwaltschaft wird. Außerdem – es gibt auch den Straftatbestand der Verfolgung Unschuldiger.

Edathy ist politisch erledigt, das steht fest. Von dem, was über ihn bekannt ist, wird er sich nicht mehr erholen. Das ist menschlich für ihn tragisch, politisch aber folgerichtig. Pädophile Neigungen passen jedenfalls dann, wenn Bildmaterial von nackten Jungs bestellt wird, auch dann nicht ins Bild eines Politikers, wenn das Verhalten unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit bleibt.

Ich glaube nicht, dass Friedrich für sein Verhalten bestraft werden wird. Bei Ziercke könnte es kritischer werden, aber der wird ja inzwischen von Oppermann entlastet. Und Oppermann hat mit seiner jetzt eingeschlagenen Linie wohl eher ein politisches als ein juristisches Legitimationsproblem. Aber er wird das schon durchstehen, denke ich, Gabriel gibt ihm ja Rückendeckung und ist für die Koalition unverzichtbar.

Und der Kollege Kubicki, der besonders laut schreit und sich mit dem Thema wohl noch einige Zeit lang durch die Talkshows reichen lässt, wird mit seiner in Aussicht gestellten Strafanzeige gegen Oppermann, wenn er sie denn erstatten sollte, vermutlich scheitern. Aber er hat der FDP mal wieder ein Gesicht gegeben, das braucht sie ja mehr denn je.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Kategorie: Strafblog
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