Wie die örtliche Presse heute unter Berufung auf Oberstaatsanwalt Lothar Gathen berichtet, prüft die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft, ob ein Anfangsverdacht wegen (gefährlicher) Körperverletzung im Amt gegen Beamte eines Sondereinsatzkommandos besteht, gegen die mein Mandant am Mittwoch mit meiner Unterstützung Strafanzeige erstattet und Strafantrag gestellt hat. Nach einer polizeilichen Pressemitteilung war es dem SEK am Dienstag gelungen, zwei Drogendealer – darunter mein Mandant – „widerstandslos“ festzunehmen. Nach der Festnahme war der stabil gebaute 27-Jährige in ein Krankenhaus gebracht worden, wo nach dem mir vorliegenden Arztbericht multiple Prellungen, eine Kniegelenksdistorsion und leichte Kopfschmerzen diagnostiziert wurden. In der Anamnese heißt es: „Im Rahmen eines Polizeieinsatzes der SEK multiple Tritte und Schläge zum Kopf und Körper. Keine Bewusstlosigkeit und Erbrechen.“ Es wurde ärztlicherseits eine engmaschige Überwachung mit umgehender ärztlicher Wiedervorstellung bei commotioneller oder neurologischer Symptomatik empfohlen.
Als ich den Mandanten Abends im Polizeigewahrsam (PG) aufsuchte, zeigte er mir ein blutdurchtränktes T-Shirt, zahlreiche blutige Schürfungen an den Beinen, Prellmarken im Bereich der rechten Rippen, eine Schwellung an der Stirn und drei oder vier deutlich tastbare Schwellungen am Hinterkopf. Sein linkes Bein befand sich in einer Stützschiene, ohne die er nicht gehen konnte. Er klagte über Kopfschmerzen und Schwindelgefühle. Man habe ihm, nachdem er gefesselt am Boden lag, sein T-Shirt über den Kopf gezogen, dann sei er mindestens viermal mit erheblicher Wucht getreten worden. Ein Beamter sei auf sein linkes Bein gesprungen, wodurch die dortige Verletzung entstanden sei. Mehrfach sei er danach mit einem Schlagstock auf die Stirn und den Hinterkopf geschlagen worden, er habe „geblutet wie ein abgestochenes Schwein“. Auch sei er von den Beamten beleidigt worden, einer hätte ihn als „fettes Schwein“ bezeichnet. Ich habe im strafblog vorgestern über den Polizeieinsatz berichtet. Anlässlich der Vorführung beim Haftrichter haben wir den Vorfall zur Sprache gebracht und gleich auch Strafanzeige erstattet. Der Bruder meines Mandanten, der bei der Festnahme zugegen war und nach eigenen (mir gegenüber gemachten) Angaben ebenfalls geschlagen wurde, nachdem er gefesselt worden war, hat mir den Hergang im Groben bestätigt. Allerdings habe er nicht alles sehen können, weil ihm die SEK-Beamten ein Handtuch über den Kopf geworfen hätten. Der dritte Beteiligte soll nach Angaben seines Anwalts ebenfalls misshandelt worden sein. Mit Hilfe der Presse suche ich noch unabhängige Zeugen des Geschehens, das sich im öffentlichen Straßenraum abspielte.
Immerhin, die Staatsanwaltschaft prüft, ob ein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Anfangsverdacht gegen die Polizeibeamten besteht, und das ist ja auch ihre Aufgabe.
Ich verteidige derzeit vor dem Landgericht Mönchengladbach in einem Berufungsverfahren wegen Stalkings, sexueller Nötigung, Raubes und anderem. Anzeigeerstatterin ist eine Kriminalhauptkommissarin, Angeklagter ihr langjähriger Lebensgefährte, der die Taten bestreitet. Ein psychiatrischer Sachverständiger hat in diesem Verfahren gegen einen Kölner Kollegen, der bereits erstinstanzlich als Verteidiger tätig war, Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz erstattet, weil der sein Gutachten ohne seine Genehmigung zur Überprüfung an den Vorgutachter weitergereicht hatte. Auch darüber habe ich im strafblog bereits berichtet. Der Vorwurf eines Urheberrechtsverstoßes ist nach meiner Rechtssauffassung offensichtlich unbegründet. Schon der normale Menschenverstand sagt, dass es einem Verteidiger gestattet sein muss, im Rahmen eines Strafprozesses ein Sachverständigengutachten auch ohne Zustimmung des Gutachters durch einen anderen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Ansonsten wäre man dem Gutachter, selbst wenn dieser fachlichen Blödsinn verzapfen sollte, reichlich hilflos ausgeliefert. Es ist schon fraglich, ob einem ganz normalen Gutachten, das ohne wissenschaftlichen Neuwert auf bekannte Methodik zurückgreift, überhaupt die für eine Urheberrechtsfähigkeit erforderliche Schöpfungstiefe zukommt. In der Weitergabe eines Gutachtens zur Überprüfung durch einen anderen Gutachter im Rahmen eines Gerichtsverfahrens liegt wohl kaum ein strafrechtlich relevantes Verbreiten. Und außerdem erlaubt § 45 UrhG dies ausdrücklich im Rahmen von gerichtlichen Verfahren. Mit anderen Worten: Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des beschuldigten Kollegen ist außerordentlich fernliegend. Folglich hätte ein Anfangsverdacht verneint werden und ein Ermittlungsverfahren unterbleiben müssen. Die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft sieht das offensichtlich anders. Sie hat der Sache gleich ein Js-Aktenzeichen gegeben und Ermittlungen gegen den Kollegen eingeleitet. Die Polizei ist beauftragt worden, den Vorgutachter zu der völlig unstreitigen Tatsache zu vernehmen, ob dieser das Gutachten von dem Kollegen zur Überprüfung vorgelegt bekommen hat. Das befremdet doch sehr. Haben Anwälte weniger Anspruch als SEK-Beamte auf Überprüfung, ob ein Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt? Misst die Staatsanwaltschaft hier nicht mit zweierlei Maß? Ist die Verdachtslage gegen die SEK-Beamten, die immerhin durch ärztliche Atteste und deutlich sichtbare Verletzungsfolgen belegt wird, nicht ungleich deutlicher als die gegen den Kölner Kollegen?
Gegen mich ist immer noch ein von der Augsburger Staatsanwaltschaft initiiertes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen anhängig, weil ich im strafblog einen (anonymisierten) Beschluss in einer Haftbeschwerdesache veröffentlicht habe. Gegen den Hamburger Kollegen Gerhard Strate läuft wegen desselben Vorwurfs ebenfalls ein Ermittlungsverfahren, weil er den Fall Mollath, in dem er als Verteidiger im Wiederaufnahmeverfahren tätig ist, im Internet dokumentiert hat. Hier stellen sich naheliegende rechtliche Fragen wie z.B. die, ob ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren oder ein wiederaufnahmerechtliches Aditionsverfahren bei verfassungskonformer Auslegung der Strafnorm des § 353d StGB überhaupt ein Gerichtsverfahren im Sinne der Vorschrift ist. Und ob die Veröffentlichung nicht zumindest durch ein Notstandsrecht (oder Gewohnheitsrecht?) gedeckt ist, was in der Literatur weitgehend angenommen wird, soweit Gerichte oder Fachzeitschriften entsprechende Beschlüsse vor Rechtskraft eines Verfahrens und vor öffentlicher Erörterung in der Hauptverhandlung veröffentlichen, was gang und gäbe ist. Hätte die Staatsanwaltschaft diese rechtlichen Vorfragen nicht erst einmal prüfen und beantworten müssen, bevor sie einen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigenden Anfangsverdacht bejahte? Müsste sie nicht ansonsten auch gegen die verantwortlichen Verfassungs-, BGH- und sonstigen Richter vorgehen, die ebenfalls solche Beschlüsse veröffentlichen?
Ich begrüße es ausdrücklich, wenn die Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft im Falle der SEK-Beamten prüft, ob ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Ich denke, sie wird die Frage nach Prüfung bejahen müssen. Ich werde insoweit noch ergänzend vortragen. Ich würde es begrüßen, wenn auch im Falle von Strafanzeigen gegen Anwälte mit derselben Sorgfalt vorgegangen und erst einmal die rechtlichen und tatsächlichen Vorfragen geklärt würden, bevor konkrete Ermittlungen eingeleitet werden. Das allein wird der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung gerecht. Immerhin ist schon die Einleitung eines Verfahrens belastend und entfaltet eine gewisse diskriminierende Wirkung. Nach § 152 Abs. 2 StPO ist ein Verfahren einzuleiten, „sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine Straftat vorliegen. Zureichende Anhaltspunkte kann es nur dann geben, wenn das angezeigte Verhalten – soweit man dieses als stattgefunden unterstellt – überhaupt strafrechtlich relevant ist. Im Falle des Kölner Kollegen ist das ersichtlich nicht der Fall und in den Ermittlungsverfahren gegen den Kollegen Strate und mich spricht auch Entscheidendes dagegen. Das Hamburger Amtsgericht hat aus diesem Grund einen Antrag der dortigen Staatsanwaltschaft gegen den Kollegen Strate, mit welchem die Entfernung gewisser Schriftstücke des Verfahrens Mollath aus dem Internet erreicht werden sollte, zurückgewiesen. Der Richter hat die Rechtslage sorgfältig geprüft. Gut so! Die Staatsanwaltschaft sollte mit gleicher Sorgfalt agieren.
Kategorie: Strafblog
Permalink: Frage an die Staatsanwaltschaft: Sind Polizisten prima facie unschuldiger als Anwälte?
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