„Fragen von Anwälten beantworte ich nicht. Ich kooperiere nur mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft“ – Ein Pirat wechselt auf merkwürdige Art die Fronten



Veröffentlicht am 6. April 2012 von

Hamburger Landgericht, Eingangsportal

Gestern jährte sich zum 2. Mal der Überfall von 10 somalischen Piraten auf den damals in Hamburg registrierten Frachter MS Taipan vor dem Horn von Afrika. Bei youtube findet sich ein beeindruckendes Video von der Befreiung des Schiffes durch niederländische Marines und von der Festnahme der Piraten, die danach aufgrund eines deutschen Ersuchens zunächst in die Niederlande und von dort nach Hamburg verbracht wurden, wo sie seit nunmehr 16 Monaten vor Gericht stehen.

Im Januar war die Beweisaufnahme schon einmal geschlossen worden und die Staatsanwaltschaft hatte plädiert. Harsche Freiheitsstrafen von bis zu 11 ½ beantragte sie für die überwiegend geständigen Angeklagten.  Da sollen wohl unabhängig vom Maß der persönlichen Schuld Exempel statuiert werden, denkt man als Verteidiger. Gegen Abdiwali, den von mir verteidigten jüngsten Angeklagten, wurden immerhin noch  4 Jahre Jugendstrafe beantragt, wobei es an Ausführungen zur Sozialprognose und zu erzieherischen Aspekten weitgehend fehlte. Ich habe hierüber schon verschiedentlich im strafblog berichtet.

Nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft wurden insbesondere seitens der Verteidigung des ältesten Angeklagten neue Beweisanträge gestellt, die einen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erforderten. Seitdem hat das Verfahren neue Dynamik entfaltet. Eine zwischenzeitlich erfolgte Abtrennung gegen 5 Angeklagte, deren Verfahren entscheidungsreif erschien, wurde wieder rückgängig gemacht, nachdem einer der anderen Angeklagten, Khalief. D., dem Gericht überraschend mitgeteilt hatte, er wolle jetzt Angaben dazu machen, wie alles wirklich abgelaufen sei und welche Rolle die anderen Angeklagten im Einzelnen gespielt hätten.

Inzwischen sind weitere Hauptverhandlungstermine bis Ende Mai bestimmt. Für Juni und Juli laufen bereits Planungen. Ursprünglich war das Verfahren bis Ende März 2011 terminiert gewesen.

Khalief D., der zwischenzeitlich erkrankt war, so  dass zwei geplante Hauptverhandlungstermine aufgehoben werden musste, ist gestern erneut durch das Gericht vernommen worden. Vier Verhandlungstage hat seine Vernehmung insgesamt gedauert. Er hat umfassende Aussagen zu den angeblichen Tatbeiträgen der Mitangeklagten gemacht und sich auch zu seiner eigenen Rolle geäußert. Man darf Zweifel haben, ob Alles so richtig ist, wie er das geschildert hat, zumal er seine eigene Rolle sehr heruntergespielt hat, und diese Zweifel begründen natürlich ein Fragebedürfnis auf Seiten der Mitangeklagten und ihrer Verteidigung. Einige Verteidiger haben den Eindruck, dass das Gericht und auch die Staatsanwaltschaft Khalief D. mit Glacehandschuhen angepackt und auf allzu kritische Nachfragen verzichtet haben, weil sie in ihm eine Art Kronzeugen sehen und ihm deshalb nicht auf die Füße treten wollen. Etliche Fragen des Gerichts zu seiner eigenen Rolle oder zur möglichen Rolle seiner in Europa lebenden Verwandtschaft bei der Entführung hatte Khalief D. unbeantwortet gelassen und sich  auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zurückgezogen, was sein gutes Recht ist. Im Hinblick auf andere Fragen meinte er, diese wolle er vor Gericht nicht beantworten, er sei aber bereit, insoweit mit den deutschen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten und diesen Rede und Antwort zu stehen. Das ist schon erstaunlich.

Dann kam die Stunde der anderen Verteidiger. Das heißt, eine Stunde wurde es nicht, weil Khalief D. über seine Verteidigung – für mich nicht ganz unerwartet – erklären ließ, dass er Fragen der Mitangeklagten und ihrer Anwälte nicht beantworten werde. Es folgten verbale Scharmützel zwischen einigen Verteidigern und dem Gericht zu der Frage, ob das Gericht bereit sei, sich Fragen der Verteidigung zu eigen zu machen und dem bedingt aussagewilligen Angeklagten vorzulegen, da dieser ja nur dem Gericht antworten wolle. Der Vorsitzende meinte sinngemäß, er habe alle für erforderlich gehaltenen Fragen gestellt und sehe hierzu eigentlich keine Veranlassung. So plätscherte die Verhandlung noch einige Minuten dahin, bevor ich diese wegen eines anderen Termins 2 Stunden vor Schluss verließ. Ich  hatte ohnehin  nicht vorgehabt, Fragen zu stellen, weil Kahlief D. die Rolle meines Mandanten im Wesentlichen zutreffend, das heißt entsprechend dessen Einlassung geschildert hatte.

Jetzt wird abzuwarten bleiben, wie die anderen Angeklagten und ihre Verteidigung agieren. Mag sein, dass diese nun auch ergänzende Einlassungen abgeben und sich zur aus ihrer Sicht wahren Rolle von Khalief D. äußern werden. Das kann noch spannend werden, denke ich.

Für Abdiwali stellt sich derzeit nur die Frage, ob und wann er aus  der Haft entlassen wird. Die Kammer hat angekündigt, insoweit ernsthafte Überlegungen anstellen zu wollen, da sie die Problematik der zunehmenden Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft bei den jungen Angeklagten sieht. Ich habe eine vorbereitete weitere Haftbeschwerde zurückgestellt, weil sich andere – nicht streitige – Lösungen abzeichnen könnten. Schließlich arbeiten Justiz und Verteidigung unter denselben rechtlichen Vorgaben. Das Jugendgerichtsgesetz und das Grundgesetz gelten für uns alle. Da kann es auch vorkommen, dass Einigkeit über zu treffende Entscheidungen erzielt wird. So etwas ist jedenfalls schon vorgekommen, habe ich einmal irgendwo gehört oder gelesen ….

 


Kategorie: Strafblog
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