Eigentlich eine Standardsituation. Mein Mandant – sagen wir einmal ein Türsteher namens Jupp – wird von einem Gast – nennen wir ihn mal Herbert – beschuldigt, ihn ohne Grund mit einer weiteren Personen verdroschen zu haben. Er ruft die Polizei, benennt die Namen der vermeintlichen Täter und lässt seine deutlich sichtbaren Verletzungen fotografieren und ärztlich bescheinigen.
Jupp räumt mir gegenüber in einer ersten Besprechung eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung mit Herbert ein. Herbert habe in dem Club, für den er arbeite, Hausverbot gehabt, weil er dort zuvor Drogen verkauft haben soll. Ob es sich bei der Auseinandersetzung um eine körperliche oder verbale gehandelt hat, und wie und durch wen Herbert letztlich an seine Verletzungen gekommen ist, lassen wir mal außen vor. Da gibt es ja mehrere Möglichkeiten, zumal Herbert in einer weiteren schriftlichen Polizeiaussage plötzlich einen weiteren Gast als Mittäter bezeichnet hatte.
Einige Monate später bringt Jupp völlig unerwartet Herbert mit zu einer weiteren Besprechung. Die Zwei sind seit Neuestem die besten Kumpels. Der Streit ist beigelegt und Herbert räumt ungefragt, reumütig und glaubhaft ein, er habe bei der Polizei gelogen. Seine Strafanzeige habe andere Gründe, die er mir durchaus plausibel lange und breit auseinandersetzt. Ich weise ihn daraufhin, dass er sich damit zumindest wegen einer falschen Verdächtigung strafbar gemacht habe und empfehle ihm die Hinzuziehung eines Zeugenbeistandes für die in Kürze zu erwartende Hauptverhandlung.
Einige Tage später schickt mir Herbert eine geschliffene, schriftliche Erklärung, mit der er dem Gericht mitteilt, er werde künftig von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen. Wenig später erfahre ich, dass die Staatsanwaltschaft die Gerichtshilfe eingeschaltet hat, da vermutet wird, Herbert werde von den Türstehern und dem Gast unter Druck gesetzt. Seine Erklärung, er befürchte bei seiner Zeugenaussage die Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung, basiere auf Angst vor den Beschuldigten. Gegenüber dem Gerichtshelfer bestreitet Herbert eine Drucksituation und hält im Übrigen die Klappe. Dass die Staatsanwaltschaft die Gerichtshilfe einschaltet, um einem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht auszureden, ist für mich ein Novum, über das ich noch nachdenken muss.
Einige Tage vor der Hauptverhandlung teilt mir Jupp mit, Herbert werde seinen Anwalt mit zum Termin bringen. Soweit so gut.
Am Hauptverhandlungstag haben wir es mit einem mir bis dato noch unbekannten, jungen und durchaus sympathischen Richter zu tun. Auch die Staatsanwältin ist freundlich. Zwei der Angeklagten sind bisher unbestraft, der Dritte hat eine einschlägige Vorstrafe. Nun sitzen sie brav und ein wenig ängstlich auf der Anklagebank. Wer nicht erscheint ist Herbert, und auch von einem Zeugenbeistand ist weit und breit nichts zu sehen.
Die Anklage wird verlesen. Ich verweise auf die Widersprüche in Herberts polizeilichen Zeugenaussagen und liefere im Konjunktiv einige mögliche Erklärungen für eine etwaige Falschbelastung. Schließlich verfüge ich durch Herbert über Informationen, die dem Gericht nicht vorliegen und die Alternativbetrachtungen erlauben, ohne Herbert in die Pfanne zu hauen. Aus prozessökonomischen Gründen rege ich an, das Verfahren einzustellen. Wenn schon Herbert offensichtlich kein Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Angeklagten hat, warum sollte sich die Justiz dann damit beschäftigen? Und dann gäbe es ja noch das geltend gemachte Auskunftsverweigerungsrecht – gebe ich zu bedenken.
Der Richter lässt mich zwar ausreden, aber plötzlich spüre ich geradezu physisch, wie sich sein unerklärlicher Widerstand im Raum ausbreitet. Ich meine zu beobachten, dass er leicht rot anläuft. Dann bricht der Satz – „Das werte ich prozessual als Teileinlassung!!!“ – aus ihm hervor. Ich spüre, wie sich mir die Nackenhaare aufstellen. „Nun, ich werte das prozessual eher als eindeutige Verteidigererklärung!“, sage ich ruhig und wir schauen uns dabei tief in die Augen. Ich versuche zu ergründen, was den Richter reitet. Vermutet er ein Komplott, an dem ich als Verteidiger beteiligt sein soll – oder was soll die plötzlich frostige und vollkommen überflüssige Atmosphäre. Welche Vorstellungen mag der Richter von der Aufgabe eines Verteidigers haben, der doch freundlich lediglich einige kaum von der Hand zu weisende Argumente vorgebracht hat? Ich weiß es nicht, aber die Stimmung missfällt mir. Wir diskutieren noch eine Weile über die Frage, ob der Zeuge Herbert tatsächlich ein Auskunftsverweigerungsrecht hat. Jetzt ist aber auch die Staatsanwältin auf Konfrontationskurs. „Nein!“, eine Einstellung komme nicht in Frage. Damit hat sich die weitere Diskussion endgültig erledigt. Ein neuer Termin wird vereinbart. Ich bin mal gespannt, was das noch geben wird. Die bloße Ablehnung der Belehrung nach § 55 StPO oder eine andere Rechtsauffassung zum Vorliegen eines Auskunftsverweigerungsrechts begründet kaum die Hoffnung auf einen erfolgreichen Befangenheitsantrag (vgl. hierzu Legal Tribune, 28.10.12; „Der Fall Kachelmann – Nicht jeder Rechtsfehler basiert auf Befangenheit“ von Professor Dr. Dr. Alexander Ignor).
Kategorie: Strafblog
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