Gnadenlose Staatsanwaltschaft: Zitronensaft in offenen Wunden tut jetzt dem Chefarzt weh



Veröffentlicht am 5. April 2012 von

Foto:André Karwath aka Aka

Es kommt nicht allzu oft vor, dass die Staatsanwaltschaft gegen Halbstrafenentscheidungen einer Strafvollstreckungskammer Beschwerde einlegt. Im sogenannten „Zitronensaft-Fall“ um den früheren Inhaber und Chefarzt einer Wegberger Klinik, Dr. P., hat sie aber – wie der Blog jus@publikum berichtet – von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und zum Nachteil des Mediziners eine Aufhebung der Halbstrafenentscheidung erreicht. Dr. P. war in einem vielbeachteten Verfahren vor dem Landgericht Mönchengladbach, in dem ich eine mitangeklagte Assistenzärztin verteidigt hatte, u.a.  wegen fahrlässiger Tötung sowie Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden. Der Fall hatte unter anderem deshalb für mediale  Furore gesorgt, weil Dr. P. vorgeworfen wurde, entgegen den Regeln  der ärztlichen Kunst und aus Gründen der Kostenersparnis offene Wunden durch  die Einbringung von frisch gepresstem Zitronensaft behandelt zu haben. Mehrere Patienten waren nach Ansicht des Gerichts an den Folgen fehlerhafter Behandlung gestorben. Meine Mandantin war vom Vorwurf der Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden.

Das Urteil gegen Dr. P. kam letztlich im Rahmen einer Verständigung gem. § 257 c StPO zustande. Die Kammer hatte auf der Grundlage der getroffenen Absprachen  im Urteil unter anderem festgestellt, dass 11 Monate Haft im Wege der Kompensation wegen überlanger Verfahrensdauer als verbüsst gelten. Ein paar Monate Untersuchungshaft waren ebenfalls auf die Haftstrafe anzurechnen. Die Reststrafe trat Dr. P. im Juni 2011 im offenen Vollzug der JVA Euskirchen an. Im Dezember 2011 galt die Hälfte der verhängten Strafe als verbüßt. Auf den Antrag des Verurteilten hin hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn, in dessen Bezirk die JVA Euskirchen liegt, einem Halbstrafenantrag des Mediziners stattgegeben und die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Beschwerde der Mönchengladbacher Staatsanwaltschaft hin hat das Oberlandesgericht Köln diese Entscheidung nun kassiert und einstweilige Haftfortdauer beschlossen. In dem zitierten Blogbeitrag heißt es dazu:

„Der Senat sah die besonderen Voraussetzungen einer Strafaussetzung bereits nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe hier nicht als gegeben an. Er mochte sich der Argumentation nicht anschließen, der Verurteilte habe in heilender Absicht und nicht aus wirtschaftlichen Gründen gehandelt. Dabei, so der Senat, bleibe außer Betracht, dass der Verurteilte in einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Überforderung und Blindheit gegenüber den Belangen seiner Patienten gehandelt habe.

Soweit die Verteidigung auf Entschädigungsleistungen verweise, sei nach den vorgelegten Unterlagen bisher nur in einem einzigen Fall seitens der Haftpflichtversicherung eine Regulierung erfolgt. Ein berücksichtigungswürdiger persönlicher Beitrag des Verurteilten zur Schadenswiedergutmachung sei nicht erkennbar.

Anderen Umstände, wie die relativ lange Verfahrensdauer und die negative Berichterstattung in den Medien, sei bereits bei der Strafzumessung bzw. durch die Anrechnung der Untersuchungshaft Rechnung getragen; diese Umstände könnten daher nicht zusätzlich eine frühzeitige Strafaussetzung rechtfertigen.

Der Verurteilte habe seine ärztlichen Berufspflichten in vielfacher Weise grob verletzt und den Tod von vier Patienten verursacht, die sich ihm als Arzt in herausgehobener Position anvertraut hatten. Sein Verhalten sei geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Arztberufes ernstlich zu beschädigen. Eine Entlassung des Verurteilten aus der Haft bereits nach der Hälfte der Haftverbüßung wäre daher für die Allgemeinheit unverständlich.“


Kategorie: Strafblog
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