Zum ersten Mal im neuen Jahr geht´s für mich wieder zum Gericht, und beide Verfahren, in denen verhandelt wird, sind nicht ganz ohne. Zunächst wird eine Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht fortgesetzt, in der es um Veruntreuung von etlichen 10.000 Euro bei einer öffentlichen Einrichtung geht. Zunächst aus einer finanziellen Notsituation heraus und dann aus Frust habe sie Gelder auf Konten abgezweigt, über deren Guthaben sie letztlich verfügen konnte, hat sich die frühere Justizbedienstete eingelassen. Das Geld habe sie mehr oder weniger sinnlos verprasst, Freunde ausgehalten und Frustkäufe getätigt. Einen Großteil der Klamotten, die sie sich gekauft habe, habe sie nie getragen, die hingen jetzt noch mit den Kaufetiketten versehen in ihrem Schrank. Die junge Staatsanwältin konnte letzteres gar nicht glauben, kein Mensch kaufe für zehntausende Euro Sachen aus Frust, meinte sie etwas schnippisch, irgendwo müsse sicher noch ein Teil des Geldes gehortet sein. Wenn die wüsste, wie sinnlos Menschen sich verhalten können. Auf meinen Antrag hin ist ein Sachverständigengutachten zur Schuldfähigkeit veranlasst worden, aber das liegt noch nicht schriftlich vor. Heute werden erst mal weitere Zeugen gehört.
Ja, und dann geht es weiter mit dem von mir schon mehrfach berichteten Stalkingverfahren um eine Kriminalhauptkommissarin, und zum ersten Mal werde ich meinem Mandanten auf freiem Fuß begegnen, weil er am Freitag endlich aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Die Strafkammer hat den Haftbefehl in erster Linie mit der zutreffenden Begründung aufgehoben, dieser sei nach 20 Monaten nicht mehr verhältnismäßig und Fluchtgefahr bestehe in Anbetracht der erstinstanzlichen Verurteilung zu 3 Jahren und 5 Monaten auch nicht mehr, zumal nur ein Teil der zur Verurteilung gelangten Taten Gegenstand des Haftbefehls seien. Recht so, denke ich, aber diese Argumente gelten ja nicht erst seit vergangener Woche, und es ist einigermaßen sonderbar, dass so eine Entscheidung nicht noch vor den Feiertagen erfolgen konnte, obwohl alle Argumente bereits vorlagen und genügend Zeit gewesen wäre, auch schon vorher zu entscheiden. Stattdessen wurde der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage eine Frist von satten 7 Tagen – über die Weihnachtstage hinweg – bewilligt, um zum Antrag der Verteidigung auf Haftentlassung Stellung zu nehmen, und nach Fristablauf am 27.12. wurde dann erstmal das neue Jahr abgewartet, bis man zur Beratung und Entscheidung zusammentrat. Für mich ist das in Ansehung des hohen Wertes des Freiheitsanspruchs nur bedingt verständlich.
Der Mandant hat die Haftentlassung ohne große Freude zur Kenntnis genommen. „Jetzt hätten sie auch noch bis Montag warten können, dann hätte ich wenigstens in Ruhe meine Sachen packen können“, sagte er mir am Telefon. „Für mich war es nach der langen Haftzeit gar nicht mehr schlimm, über Weihnachten und Neujahr im Knast zu sitzen, ich kann mich schon beschäftigen. Aber für meine Eltern tut es mir leid!“ Das sind zwischenmenschliche Aspekte, die ich nachvollziehen kann.
Ich hätte gerne in der Haftentscheidung auch ein paar Worte mehr zum dringenden Tatverdacht und zur Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin gelesen. Immerhin haben wir diese – wie bereits wiederholt berichtet wurde – mit gravierenden Argumenten in Zweifel gestellt. Die Kammer hat das weitgehend unterlassen, aber wegen 2 Taten, die im Haftbefehl aufgeführt sind, den dringenden Tatverdacht im Hinblick auch auf andere Zeugenaussagen bejaht. Da kommt noch weitere Arbeit auf uns zu, derzeit sind noch Termine bis in den Februar hinein anberaumt.
Mal sehen, was die weiteren Polizeizeugen, die heute gehört werden sollen, so von sich geben. Da scheint es ja in der Polizeibehörde Fraktionen zu geben, die einen, die auf Seiten der Kriminalhauptkommissarin stehen und andere, die da eine kritischere Haltung einnehmen. Ich werde berichten…
Kategorie: Strafblog
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