Hat die Unschuldsvermutung in Dresden keine Gültigkeit?



Veröffentlicht am 18. Januar 2013 von

Gerichtsgebäude in Dresden, Foto: X-Weinzar

Erschreckend ist, was spiegel-online über ein Verfahren gegen einen bislang nicht vorbestraften 36-jährigen Familienvater berichtet, der jetzt wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten ohne Bewährung verurteilt wurde – und ohne Beweise, wenn man der Berichterstattung folgt.

Anlässlich einer Gegendemonstration gegen einen Nazi-Aufmarsch im Februar 2011 war es zu erheblichen Tumulten gekommen, Flaschen und Steine flogen, Tränengas und Wasserwerfer wurden eingesetzt, eine Polizeisperre durchbrochen. 3.000 Rechtsradikale waren zu einer braunen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 zusammengekommen, die Zahl der Gegendemonstranten soll zwischen 12.000 und 21.000 gelegen haben. Die Anklage wirft Tim H. vor, mittels Megafon rund 500 zum Teil vermummte Personen aufgehetzt zu haben, eine Polizeisperre zu durchbrechen. In mehreren „Angriffswellen“ sei eine Polizeibarrikade attackiert worden, Pyrotechnik, Steine, Latten und Flaschen als Wurfgeschosse seien auf Seiten der Antifaschisten zum Einsatz gekommen. Polizeibeamte seien verletzt worden, außerdem habe Tim H. einen von ihnen als „Nazi-Schwein“ beschimpft.

Die Staatsanwaltschaft habe geltend gemacht, Tim H. sei durch  seine Körpergröße, Berichten von Augenzeugen und Videoaufnahmen hinreichend als die – ebenfalls vermummte – Person am Megafon identifiziert, heißt es in dem Beitrag von Julia Jüttner. Tatsächlich seien auf einem Polizeivideo zwei Personen zu sehen, die das Megafon benutzen, Tim. H. sei nicht zu erkennen. Der Hauptbelastungszeuge, ein Anwohner, der das Geschehen vom Balkon aus beobachtete, habe ausgesagt, Tim H. sei nicht der Täter gewesen, und vier als Zeugen gehörte Polizeibeamte hätten ihn ebenfalls nicht wiedererkannt. Laut Anklage soll Tim H. gerufen haben: „Durchbrechen!“ und „Nicht abdrängen lassen!“ Auf einem Video sei jedoch zu hören, dass die Person am Megafon ruft: „Kommt nach vorne!“ Das hört sich kaum nach einem Aufruf zum Gewaltexzess an.

Der Staatsanwaltschaft und dem Gericht scheint die mehr als dünne Beweislage einerlei gewesen zu sein. Vielleicht brauchte man ja einfach einen Verantwortlichen. H. habe die anderen Demonstrationsteilnehmer jedenfalls zu ihren Gewalttaten aufgehetzt, auch wenn er selbst nicht tätlich geworden sei, meinte der Staatsanwalt und beantragte satte zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe für den unbescholtenen Mann. Das Gericht blieb zwar acht Monate unter dem Antrag, verwehrte Tim H. aber eine Bewährung, weil er sich durch sein Schweigen in der Hauptverhandlung uneinsichtig gezeigt habe.

Ob bei dem Urteil auch eine Rolle gespielt hat, dass Tim H. inzwischen bei der Partei „Die Linke“ angestellt ist, welche die Antifa-Demonastration natürlich unterstützte, kann nur gemutmaßt werden. Abschreckend sollte das Urteil jedenfalls sein. Die Einwohner von Dresden seien es leid, dass das Gedenken an die Bombennacht von 1945  „von beiden Seiten, Rechten und Linken“ ausgenutzt werde, wird der Vorsitzende Richter zitiert.

Es sei ein Urteil „von Null auf Gefängnis“, wird der Berliner Verteidiger von Tim H., Sven Richwin, zitiert, der davon ausgeht, das das Urteil im Berufungsverfahren kippen wird. Vielleicht gilt die Unschuldsvermutung ja – wenn schon nicht am Schöffengericht –  doch am Dresdener Landgericht.

 


Kategorie: Strafblog
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