Eigentlich sollte ich um diese Zeit in einem Berufungsverfahren vor einem benachbarten Landgericht verteidigen, aber manchmal kommt es bekanntlich anders, als man denkt. Es geht um ein Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Erstinstanzlich war der bestreitende Mandant nach einer recht hitzigen Hauptverhandlung verurteilt worden, weil das Gericht es als erwiesen angesehen hatte, dass der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, mit seinem Pkw zu seiner Arbeitsstelle gefahren war. Zwei Zeugen, die hinter seinem Fahrzeug hergefahren waren und die ihn laut Akte nur mutmaßlich erkannt haben wollten, waren sich auf einmal völlig sicher gewesen, weil sie sein Profil im Dunklen während eines Abbiegevorgangs im Licht der Scheinwerfer ihres Autos deutlich wahrgenommen hätten. Diese erstaunliche Erinnerungsverbesserung hatte die Amtsrichterin unproblematisch nachvollzogen und den Mann zur einer Geldstrafe verurteilt. Außerdem wurde eine isolierte Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr verhängt. Gegen das Urteil hatte ich abredegemäß Berufung eingelegt.
In der Folgezeit war der Kontakt zu meinem Mandanten abgebrochen. Der reagierte auf kein Anschreiben von mir und war lange Zeit auch nicht telefonisch erreichbar. Ein Resthonorar aus dem erstinstanzlichen Verfahren stand auch noch offen. Immerhin habe ich ihn dann in der vergangenen Woche doch noch erreicht und mit ihm erörtert, ob die Berufung nun durchgeführt werden solle oder nicht. Dabei ging es natürlich auch um Kostenfragen. Er müsse sich das noch überlegen und werde mich anrufen, meinte der Mann.
Was nicht kam, war der Anruf. Am gestrigen Sonntagabend habe ich ihn dann aber an die Strippe bekommen. Der Mandant war ziemlich ungehalten. „Ich habe keine Zeit, rufen Sie später wieder an“, pflaumte er mich an. „So geht das nicht“, gab ich zurück und wies darauf hin, dass am nächsten Morgen um 9 Uhr die Berufungsverhandlung stattfinden solle. „Dafür habe ich jetzt keine Zeit“, blaffte er zurück, „ich bin voll im Stress“. Ob ich die Berufung zurücknehmen solle, fragte ich. „Wenn Sie meinen!“, bekam ich zur Antwort, „ich werde jedenfalls nicht bei Gericht erscheinen.“ Dann war das Telefonat beendet.
Ich habe die Berufung heute morgen per Fax zurückgenommen, damit das Gericht nicht unnötig warten muss, um festzustellen, dass niemand erschienen ist. Dem Mandanten werde ich meine Abschlussrechnung schicken, auch für die Tätigkeit im Berufungsverfahren außerhalb der Hauptverhandlung. Mal sehen, wie lange ich dem Honorar hinterherlaufen muss. Der Mann hat ja keinen Führerschein und findet deshalb vielleicht nicht die Zeit, das Geld vorbeizubringen.
Kategorie: Strafblog
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