Herr der Ringe oder die Psychologie der Großzügigkeit



Veröffentlicht am 23. März 2012 von

Vielleicht, weil ich tagelang eingekauft, bis in die Nacht gekocht und die Geburtstagsfeier mit vorbereitet hatte, vielleicht auch im Vorgriff auf die Schande, 3/4 des köstlichen Essens danach in der Mülltonne entsorgt zu haben oder als vorweggenommener Trost dafür, dass die Hälfte der Geburtstagsgäste das Essen nicht vertrugen und trotz Lebensmittelvergiftung oder Magen-Darm-Grippe (was uns entlasten würde), am nächsten Tag die Gelungenheit der Feier beteuerten oder einfach als Zeichen ihrer Zuneigung, schenkte sie mir am Abend ihres 31. Geburtstags eine 3-tägige Parisreise.

Und so standen wir eine Woche später auf der im 6. Stock gelegenen Terrasse des Terrasse-Hotels und schauten bei strahlendem Sonnenschein und klirrender Kälte hinab auf den Friedhof von Montmartre und über halb Paris hinweg bis hin zum Eiffelturm. Wir waren glücklich  und schmiedeten Pläne. Wie oft hatte ich in der Vergangenheit schon vor dem Louvre gestanden und mich dann doch für einen Spaziergang durch St. Michel, das Quartier Latin oder Montmartre entschieden? Diesmal aber schauten wir uns die Wahrzeichen und touristischen Attraktionen an. Wir sahen die Mona Lisa, den Eiffelturm, das Centre Pompidou, besuchten  Sacré Coeur, Notre Dame und die Opera.

Auf dem Weg zur Champs Elysee, irgendwo am Place de la Concorde, trafen wir den Herrn der Ringe. Wir schauten gerade in die Karte, als ich aus dem Augenwinkel einen Mann bemerkte, der sich zu meinen Füßen bückte und mir im nächsten Moment einen schweren goldenen Ring freundlich unter die Nase hielt. In gebrochenem Französisch sagte er: “Ich glaube, den hier haben Sie gerade verloren?” Irritiert schaute ich instinktiv auf meine linke Hand. Mein Ring war noch da, und bei etwas mehr Geistesgegenwart, wäre mir auch sofort aufgefallen, dass der Mann einen anderen Ring gefunden hatte. Ich bedankte mich freundlich. “Nein, der gehört mir nicht. Den muss  jemand anderes verloren haben.” Wir schauten uns um, aber niemand schien etwas zu suchen. Der Mann zuckte die Schultern, lächelte und versuchte den Ring auf einen seiner viel zu dicken Finger zu schieben, zog ihn wieder ab und hielt ihn prüfend gegen das Licht. “Ein sehr wertvoller Ring”, sagte er und verwies auf einen Karatstempel im Ringinneren. Dann nahm er meine Hand und schob mir den Ring auf den Ringfinger. “Sehen Sie: Ihnen passt er, wie angegossen! Behalten Sie ihn ruhig. Was soll ich damit anfangen?” Und noch während ich den Ring, als unverdiente Trophäe an meiner Hand betrachtete, verabschiedete der Mann sich mit einem freundlichen Nicken, hob die Hand zum Gruße und ging. Ich zog den Ring ab und rief ihm hinter her. “Warten Sie. Stopp, das kann ich nicht annehmen!” Nach einigen Schritten drehte sich der Mann um, kam schüchtern einige Schritte wieder auf uns zu und fragte nach ein paar Euro, um sich etwas zu Essen kaufen zu können. Eine noch unbewußte Ahnung durchlief mich, so ein ungutes aber noch vages Gefühl, und ehe ich mir dessen bewusst war, hatte ich schon mein Portemonnaie gezogen, um nach einigen Münzen zu schauen. Jetzt stand der Mann vor mir und schüttelte missbilligend den Kopf. Nein, für die paar Groschen bekäme man in Paris nichts Anständiges zu essen. Irgendwie widerwillig, aber unfähig richtig zu reagieren, hielt ich plötzlich einen Zehner in der Hand, den mir der Mann fresch grinsend wegschnappte, um sich mit einem “Merci” schnell aus dem Staub zu machen. Wir sahen uns verdutzt an und meine schlauere Hälfte sagte: “Da hast du dich aber schön reinlegen lassen! Wetten der Ring ist keine 50 Cent wert!”

Wir sahen uns in die Augen und fingen schallend an zu lachen. Wow, so ein verdammt guter Trick ist allemal 10 € wert. Schnell schauten wir uns nach dem Mann um und rannten suchend bis zur nächsten Straßenecke – aber der Gauner war schon verschwunden. Zu gerne wären wir hinter ihm hergeschlichen, um sein Erfolgsrezept noch einmal bei einem anderen Touristen heimlich zu beobachten.

Ich habe den Ring zwar noch nicht von einem Juwelier untersuchen lassen, aber ich bin sicher, sie hat Recht, die schlauere Hälfte. Nichtsdestotrotz, ein toller Trick, an das Geld von gutmütigen Touristen zu kommen. Ich liebe Paris.

 

Rechtsanwalt Gerd Meister, Mönchengladbach


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