„Herr Rechtsanwalt, ich bin enttäuscht von Ihnen“ – Ein Beispiel von Klassenjustiz



Veröffentlicht am 20. November 2014 von

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Es ist mehr als ein Jahr her, als mich ein potenzieller Mandant aufsuchte, um über einen Kriminalcasus zu berichten, in den er involviert war. Es ging um Widerstandsleistung und Körperverletzungdelikte und um die Frage, ob der nach eigener Darstellung promovierte Mann möglicherweise an einer psychischen Erkrankung leide, die seine Schuldfähigkeit beeinträchtigen könnte. Ich weiß nicht, der wievielte Anwalt ich war, den er in dieser Sache konsultierte, aber es waren wohl schon einige gewesen.

Ich habe mich damals fast eine Stunde lang mit dem Mann unterhalten und ihm unter anderem klar gemacht, dass ich zur Beurteilung der Angelegenheit die Akte benötige, und dass das auch mit Kosten verbunden sei. Ich habe auch einen Betrag genannt, den ich jedenfalls als Vorschuss benötigen würde, das wollte er sich überlegen.

Seitdem hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Gestern rief er mich nun an. Ob ich mich noch an ihn erinnere, wollte er wissen, und ob ich ihn noch vertreten wolle. Die Sache sei inzwischen bei einem Landgericht angeklagt, ein Verhandlungstag hätte schon stattgefunden, etliche weitere seien terminiert. Sein Pflichtverteidiger sei eine Pfeife. Der psychiatrische Sachverständige, der ihn begutachtet habe, im Übrigen auch. Ihm lägen etliche Gutachten oder psychiatrische Äußerungen vor, die ihm bescheinigten, völlig normal zu sein. Er habe zwischenzeitlich mit 15 (!) Anwälten über die Sache gesprochen, aber das Gespräch mit mir sei ihm in bester Erinnerung.

Ich habe darauf hingewiesen, dass es ein bisschen spät für eine Übernahme der Verteidigung sei und dass er – falls das terminlich überhaupt möglich sei – schon wegen der Vielzahl der noch anstehenden Verhandlungstage mit nicht unerheblichen Kosten rechnen müsse, zumal es sich um eine auswärtige Verteidigung handele. Ich habe auch einen Betrag genannt, der als Minimum auf ihn zukommen werde.

„Heißt das also, dass Sie mich nicht verteidigen werden, wenn ich diesen Betrag nicht aufbringen kann?“, fragte der Mann ziemlich empört. „Das ist Klassenjustiz!“, meinte er weiter, „Nur wer Geld hat, kommt also an eine qualifizierte Verteidigung.“ Er sehe den Staat in der Verpflichtung, ihm einen Verteidiger seiner Wahl zu finanzieren. Ich habe vorsichtig darauf hingewiesen, dass der Staat ihm ja seinen Pflichtverteidiger bezahle. Ansonsten habe er aber in gewisser Weise Recht, ohne hinreichende finanzielle Grundlage sei es normalerweise nicht möglich, sich einen auswärtigen  und möglicherweise sündhaft teuren Anwalt – damit habe ich nicht mich gemeint, ich möchte ja lediglich angemessen bezahlt werden –  zu leisten. Wer Geld habe, der habe – so traurig das sein mag – allemal bessere Verteidigungsmöglichkeiten, weil er bis zu drei Anwälte beauftragen  und beispielsweise teure Gegengutachten oder aufwendige Recherchen – etwa durch Privatdetektive – in Auftrag geben könne. (Wobei es im Einzelfall fraglich sein kann, ob eine Vielzahl von Verteidigern immer zu einer Verbesserung der Verteidigungsqualität führen muss.)

Der Mann hat mir für die Übernahme der Verteidigung ein finanzielles Angebot gemacht, das nur beschränkt attraktiv war. Mit anderen Worten: Durch das angebotene Honorar wären bei weitem nicht meine kalkulatorischen Tageskosten gedeckt, geschweige denn, dass auch nur ansatzweise schwarze Zahlen geschrieben werden könnten.

Ich habe höflich bekundet, dass ich unter diesen Umständen über eine Mandatsübernahme nicht ernsthaft nachdenken könne. Außerdem habe ein Blick in meinen Terminkalender gezeigt, dass ich an den meisten Verhandlungstagen, die er mir genannt hatte, schon anderweitig belegt sei.

Dann sei ich Teil dieser Klassenjustiz, hat der Mann sinngemäß bekundet, nach unserem doch sehr positiven Gespräch vor einem Jahr sei er wirklich enttäuscht von mir. Da hätte er mehr von mir erwartet.

Der Mann hatte noch viel Redebedürfnis. Ich habe das Gespräch leider wegen wartender Mandaten abbrechen müssen. Jetzt denke ich darüber nach, welchem Lager im System der Klassenjustiz ich zuzurechnen bin. Das ist ja auch eine Frage der political correctness …

(Anm.: Der Fall ist aus Gründen des Mandatsgeheimnisses fiktional abgeändert, aber in den Grundzügen war es durchaus ähnlich).


Kategorie: Strafblog
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