Herr Verteidiger, Sie sehen aus wie d´Artagnan – Von richterlicher Willkür und einem Freispruch mit Verzögerung



Veröffentlicht am 28. April 2012 von

Mini Cooper Cabrio

Hübsch, Mitte 20, lange dunkle Haare, zierlich und beim Autofahren womöglich eine ziemliche Draufgängerin. Die junge Dame legte mir eine Anklage auf den Tisch, die es in sich hatte. Es ging zwar „nur“ um einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und um Beleidigung, aber der Sachverhalt klang böse. Mit ihrem Flitzer, einem getunten Mini Cooper S Cabrio, 184 PS, soll sie von Bonn kommend über die Autobahn in Richtung Heimat gedonnert und dabei nicht gerade rücksichtslos mit anderen Verkerhsteilnehmern umgegangen sein. Vor ihr soll auf der Überholspur ein Pkw mit Anhänger gefahren sein, der gerade dabei war, ein anderes Fahrzeug zu überholen. Mit Dauerbetätigung der Lichthupe sei sie ganz dicht aufgefahren, habe mehrfach das akustische Warnsignal betätigt, dann habe sie sich zurückfallen lassen und auf der Standspur die beiden anderen Fahrzeuge rechts überholt. Vor diesen sei sie dann wieder nach links auf die Überholspur gezogen, habe sich  vor das überholende Fahrzeug gesetzt und den Mini dann  fast auf Null abgebremst. Er habe eine Notbremsung machen müssen, um einen Auffahrunfall zu vermeiden, wird der Fahrer des Zugfahrzeugs zitiert, es sei ganz knapp gewesen. Dann habe die junge Frau auch noch den „Stinkefinger“ gezeigt und sei davongebraust.

Sie habe schon einen Verteidiger, meinte die junge Frau, der habe ihr geraten, ein reumütiges Geständnis abzulegen und auf die Milde des Gerichtts zu hoffen. Sie  wisse aber nicht, ob das ein adäquate Verteidigung  sei, deshalb sei  sie zu mir gekommen. Ich habe die Akte angefordert. Der Mini war nicht auf die Frau, sondern auf die  Firma ihres Vaters angemeldet. Es handelte sich um eine Kennzeichenanzeige, die der genötigte Fahrer erstattet hatte, mit einer dürftigen Personenbeschreibung der Fahrerin. Weiblich, Mitte 20, zierlich, lange dunkle Haare, Sonnenbrille. Die Beschreibung passe genau auf die Tochter des Firmeninhabers, die als aggressive und rücksichtlose Fahrerin bekannt sei, hieß es in einem polizeilichen Vermerk. Der Flensburger Punktekatalog der Dame passte dazu. Sie studiere in Bonn, hieß es weiter, der Vorfall sei auf ihrer Heimfahrstrecke passiert. So weit, so schlecht.

Die Verhandlung fand einige Wochen später vor dem zuständigen Amtsgericht statt. Ich hatte meine Mandantin gebeten, ein paar junge Frauen aufzutreiben, die ungefähr ihre Statur und ihre Haartracht hätten. Ach  ja, sie sollten alle auch  Sonnenbrillen mitbringen. 6 Doppelgängerinnen hatte die findige Lady aufgetrieben, die typmäßige Ähnlichkeit war wirklich  verblüffend. Vor der Verhandlung ging ich in den Sitzungssaal und stellte mich bei dem weißbärtigen Vorsitzenden vor. Ich bat darum, meiner Mandantin zu gestatten, vorerst nicht auf der Anklagebank, sondern unter den Zuschauern Platz nehmen zu dürfen, um eine Herausstellung durch die Sitzordnung zu vermeiden. Dann sollten die 5 Zeugen, die in den beiden anderen an dem Vorfall beteiligten Fahrzeugen gesessen hatten, erst einmal schauen, ob sie  die Fahrerin wiedererkenn würden. Der Richter war nach einigem Hin- und Herwiegen seines Hauptes einverstanden, nachdem ich angemerkt hatte, dass ich auch einen vorbereiteten förmlichen Antrag stellen könne.

Da saßen also 7 junge Frauen mit Sonnenbrillen im Zuschauerraum, aufgereiht wie auf einer Hühnerstange und einander zum Verwechseln ähnlich. Selbst ich musste genau hinschauen, um meine Mandantin von den anderen zu unterscheiden.

Die Zeugen wurden nacheinander hereingerufen, noch bevor die Anklage verlesen worden war. Erwartungsgemäß konnte keiner von ihnen die Angeklagte identifizieren. Ihre Reaktionen reichten von Irritation bis zur offenen Empörung. Ein mieser Trick sei das, meinte der Fahrer des überholten Fahrzeuges, die könne ja  kein Mensch unterscheiden. Ob sowas denn zulässig sei, fragte er den Richter. „Wie hätten Sie´s denn gerne?“, fragte ich den Zeugen, „Suchen Sie sich doch am Besten eine der Damen aus, die setzen wir dann auf die Anklagebank und Sie können mit dem Finger auf sie zeigen und beschwören, dass sie die Fahrerin war.“ Der Richter verkniff sich ein Lächeln. Dann meinte er, das Rätselraten sei jetzt vorbei. Die Angeklagte möge jetzt  neben ihrem Verteidiger Platz nehmen. Zuvor solle sie sich aber bei ihm ausweisen, damit er  wenigstens sicher sei, dass auch die Richtige dort sitze. ( Erstaunlicherweise müssen Angeklagte sich in deutschen Gerichtssälen ja  so gut  wie nie ausweisen, in aller Regel glaubt man ja einfach, dass dort schon die richtige Person sitzt.)

Meine Mandantin machte auf meinen Rat hin von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Der Richter ließ sich von den Zeugen detailliert den fraglichen Verkehrsvorfall berichten. Die Schilderungen stimmten weitestgehend überein und waren durch  die Bank glaubhaft. Da beißt die Maus keinen Faden ab, dachte ich. Ein Polizeibeamter wurde gehört, der über das verkehrsrechtliche Vorleben der Angeklagten berichtete und dass diese nach  den Ermittlungen in Bonn studiere. Betriebswirtschaftlehre und Unternehmensmanagement, wenn ich mich richtig erinnere. Ob die Beweisaufnahme geschlossen  werden könne, fragte der Richter. Jetzt kam die Stunde des Staatsanwalts. Er sei zwar auch so von der Schuld der Angeklagten überzeugt, meinte er, aber vorsorglich wolle er den Antrag stellen, durch die Polizei ermitteln zu lassen, ob in der Firma des Vaters noch eine andere Person beschäftigt sei, die von den äußeren Merkmalen her der Angeklagten ähnlich sehe.

Dies sei kein Beweisantrag, sondern allenfalls ein Beweisermittlungsantrag, entgegnete ich. Soweit der so zu interpretieren sei, dass unter Beweis gestellt werden solle, dass in der Firma keine Mitarbeiterin beschäftigt sei, die meiner Mandantin ähnlich sehe, handele es sich außerdem um eine Negativtatsache, die einem Beweisantrag nicht zugänglich sei. (Normalerweise wird diese Argumentation ja immer wieder mal uns Verteidigern um die Ohren geschlagen.) Und außerdem, wer sage denn, denn außer der Angeklagten nur Mitarbeiterinnen aus der Firma des Vaters als Fahrerinnen in Betracht kämen. Vielleicht hätte der Vater ja eine Art umgekehrten Ödipuskomplex und nähme sich grundsätzlich nur junge Frauen als Geliebte, die seiner Tochter ähnlich  sehen. Und die dürften dann halt  auch mit dem Mini Cooper fahren.

Dazu könne der Vater ja als Zeuge gehört werden, meinte der Staatsanwalt. Ich verwies auf dessen Zeugnisverweigerungsrecht. Ich hätte mit dem Vater schon geklärt, dass dieser auf keinen Fall eine Aussage machen werden (was auch zutraf, ich hatte das vorbesprochen).

Jetzt wurde der Richter ungnädig. „Ich beende die Diskussion“, meinte er, „dem Beweisantrag der Staatsanwaltschaft wird stattgegeben. Die Verhandlung wird auf unbestimmt Zeit vertagt“. Ich protestierte: „Herr Vorsitzender, Sie wissen doch ganz genau, dass Sie meine Mandantin unabhängig von jeder weiteren Beweisaufnahme niemals revisionssicher veruteilen können, was soll das also?“

„Herr Verteidiger“, entgegnete der Graubärtige, „merken Sie sich mal Eines: Man hat mir ja  schon Vieles nachgesagt, aber fragen Sie ruhig mal in diesem Gericht rum, sie werden niemanden finden, der behauptet, ich könne revisionssichere Urteile schreiben. Dazu bin ich gar nicht in der Lage! Die Sitzung ist geschlossen!“ Peng, das saß. Bevor ich noch weitere Überlegungen anstellen konnte, zeigte der Vorsitzende mit dem Finger auf mich und meinte: „Alle räumen den Saal, aber Sie bleiben hier!“ Das duldete keinen Widerspruch.

„Wissen Sie was, Herr Verteidiger“, meinte der Richter, nachdem Zeugen, Zuschauer und auch meine Mandantin den Saal verlassen hatten, „Sie sehen aus, wie d´Artagnan, nur ein wenig älter!“ Bevor ich  mich geschmeichelt fühlen konnte, setzte er hinzu: „Sie haben ja völlig Recht mit dem, was Sie sagen. Aber unter uns gesagt, was das Mädchen da gemacht, war eine große Schweinerei. Da hätte Gott weiß was passieren können. Und drum soll die jetzt ruhig noch ein paar Wochen schwitzen, bevor es zum Freispruch kommt!“

In meinem Kopf ratterten  Begriffe wie „richterliche Willkür“, „Unschuldsvermutung“, „unnötige Kosten für den Steuerzahler“, „Rechtsstaatswidrigkeit“ und anderes durcheinander. Aber irgendwie konnte ich den Mann verstehen. Meine ohnehin gebremste Empörung wurde noch dadurch abgemildert, dass der nicht unvermögende Papa jetzt auch Wahlverteidigerhonorar für einen weiteren Verhandlungstag an mich  zahlen würde. Ich nehme für mich in Anspruch, niemals auf Kosten meiner Mandantschaft Verhandlungstage zu schinden. Aber ich konnte ja wirklich nichts dafür.

 


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