„Irrtum der Strafjustiz“ lautete das Thema einer Podiumsdiskussion auf dem 28. Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des DAV, und einer der Diskutanten war der Schauspieler Günther Kaufmann, der 2002 wegen schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge zum Nachteil seines Steuerberaters zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war und nach mehr als dreijähriger Strafverbüßung schließlich in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurde. Zuvor hatte man die wahren Täter ergriffen. Eine Haftentschädigung war Kaufmann damals versagt worden, weil er die Verurteilung durch ein falsches Geständnis selbst herbeigeführt habe. Wer – wie ich – den ebenso amüsanten wie stimmgewaltigen und kraftstrotzenden Auftritt Kaufmanns in der Diskussionsrunde erlebt hat, der wird vielleicht meine Betroffenheit verstehen, als ich heute morgen las, dass der Mann mit der ungewöhnlichen Vita am Donnerstag gestorben ist. Bei einem Spaziergang in Berlin sei er auf der Straße zusammengebrochen und trotz sofortiger Wiederbelebungsversuche an Herzversagen gestorben, heißt es in zahlreichen Medienberichten.
Ich kenne die Akten des damaligen Verfahrens nicht und bin insoweit auf allgemein zugängliche Quellen angewiesen. Es wird berichtet, Kaufmann habe damals die Schuld auf sich genommen, um seine krebskranke Ehefrau zu entlasten, welche 3 Männer zum Mord an dem Steuerberater, den sie um 500.000 Euro betrogen haben soll, angestiftet hätte. Günther Kaufmann hat das Ganze in der Podiumsdiskussion ziemlich anders geschildert. Er sei von einem bayerischen Polizeibeamten, dem „Sepp“, zunächst als Zeuge vernommen worden. Man habe sich geduzt, der Ton sei vertraulich gewesen. Irgendwann nach mehrstündiger Vernehmung habe der „Sepp“ ihm dann gesagt, ab sofort gelte er als Beschuldigter. Er sei über seine Rechte belehrt worden. Der Sepp habe ihm gesagt, er sei so gut wie überführt. Wenn er eine lebenslange Freiheitsstrafe vermeiden wolle, dann bleibe ihm nur ein Geständnis. Der „Sepp“ hätte auf ihn eingeredet. Schließlich habe er, Kaufmann, der inzwischen sehr ermüdet gewesen sei, sich zu einem Geständnis bereit erklärt. Er habe dem Polizeibeamten gesagt, er solle folgendes ins Protokoll aufnehmen: „Ich gestehe jetzt einen Mord, den ich nicht begangen habe“. Das stehe so auch am Beginn des Vernehmungsprotokolls. In einem Dialog sei dann mit dem „‚Sepp“ erörtert worden, wie die Tat geschehen sein müsse. Das habe dieser dann als seine Tatschilderung aufgenommen. In einer zweiten Vernehmung habe der Kripomann ihm dann gesagt, aufgrund der Tatortbefunde müsse er Mittäter gehabt haben. Diese solle er benennen. „Was denn für Mittäter?“, habe er gefragt. „Ich habe die Tat doch selbst nicht begangen!“ Der „Sepp“ hätte insistiert, also habe er schließlich zwei Männer, einen Zuhälter und einen ihm bekannten Kriminellen, als Mittäter benannt. Dem „Sepp“ hätte er deutlich zu verstehen gegeben, dass die beiden mit der Tat so wenig zu tun hätten wie er selbst. Das habe den jedoch wenig interessiert. Aufgrund der protokollierten Aussagen seien die zwei von ihm benannten Männer dann festgenommen worden. Erst nach einigen Tagen seien sie wieder aus der Haft entlassen worden, nachdem klar geworden war, dass die am Tatort gefundenen Tätermerkmale nicht auf sie zutrafen. Wegen der Falschbelastung der Männer ist Kaufmann, der einst als Schauspieler von Rainer Werner Faßbinder entdeckt worden war und in etlichen seiner Filme mitspielte, im Jahr 2006 zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten mit Bewährung verurteilt worden.
Ich weiß nicht, ob die Schilderungen Kaufmanns über die Vernehmung durch den Kripobeamten „Sepp“ so zutreffen. Es mag aber so gewesen sein. Auf demselben Kolloquium wurde auch der Fall des Bauern Rupp geschildert, der nach übereinstimmenden Geständnissen seiner Frau und seiner Kinder von diesen getötet, zerstückelt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen worden sein soll. Nachdem alle zu langen Haftstrafen wegen Totschlags verurteilt worden waren und diese teilverbüßt hatten, war die Leiche des angeblichen Tatopfers unzerstückelt in seinem Wagen sitzend aus dem Wasser gezogen worden. In einem Wiederaufnahmeverfahren wurden alle freigesprochen. Eine Haftentschädigung wurde ihnen ebenfalls versagt, wegen ihrer falschen Geständnisse. Dass diese auf die überaus suggestiven Vernehmungsmethoden der Polizei, auf psychischen Druck und auf intellektuelle Überforderung zurückzuführen waren, wurde dabei fleißig ignoriert. Die Justiz und die Strafverfogungsbehörden irren sich nicht, und wenn doch, dann sind es auf jeden Fall die Justizopfer schuld, was immer sie dazu getrieben hat, könnte man meinen.
Wie dem auch sei, Günther Kaufmann ist tot und der geplante Film über sein Leben und über das skurrile Strafverfahren, von dem er so enthusiastisch berichtet hatte, wird jetzt wohl ungedreht bleiben. Zumindest kann er nicht mehr den Hauptdarsteller spielen, und das ist schade.
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