Ich muss nicht immer die Wahrheit wissen, aber manchmal wäre es schon besser!



Veröffentlicht am 29. Juni 2013 von

 

Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Es gibt Mandanten, die erzählen ihrem Anwalt (fast) alles. „Ihnen kann ich es ja sagen, Sie haben ja Schweigepflicht“, sagen sie vielleicht einleitend und legen dann mit erstaunlicher Offenheit los. Manchmal bremse ich dann, will erst einmal wissen, wie denn der Vorwurf lautet, rege an, zunächst die Akte anzufordern und dann in Ruhe über die Sache zu reden. Natürlich kann und darf und muss ich gegebenenfalls auch dann auf Freispruch verteidigen, wenn ich weiß oder zumindest zu wissen glaube, dass der Mandant die Tat begangen hat. Ich bin als Organ der Rechtspflege nicht Organ der Wahrheitsfindung in dem Sinne, dass ich mein eigenes Wissen offenbaren müsste, nein, meine Aufgabe besteht darin, ein justizförmiges Verfahren zu sichern und dafür zu sorgen, dass eine Verurteilung nur dann erfolgt, wenn die Schuld in rechtsstaatlich einwandfreier Weise festgestellt wird. Ich halte es – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – für einen Kardinalfehler der Verteidigung, etwa im Plädoyer eine persönliche Überzeugung von der Schuld oder Unschuld des Mandanten zu äußern, und wenn ich weiß, dass er die Tat begangen hat, darf ich das auch nicht. Wenn ich zur Schuldfrage eine Überzeugung äußere, dann bisweilen dahingehend, dass die Beweisaufnahme keine hinreichend sichere Verurteilungsgrundlage erbracht hat, weil es auch anders gewesen kann, als die Anklage dies dargelegt hat. Am besten gelingt dies, indem man alternativ denkbare Geschehensabläufe darstellt, die ebenfalls mit der Beweislage kompatibel sind, aber eben nicht oder nur in abgeschwächter Form zu einer Verurteilung führen können.

Bei bestimmten Delikten bin ich durchaus dankbar, nicht immer die Wahrheit zu kennen. So etwa bei sexuellem Kindesmissbrauch oder anderen Sexualdelikten, wenn der Mandant auf Freispruch verteidigt werden will. Aber da habe ich es auch noch nicht erlebt, dass mir der Mandant gesagt hat „Ihnen kann ich es ja sagen…“. Der Beschuldigte in solchen Verfahren, der einen Freispruch erstrebt, bestreitet die Tat nach meiner Erfahrung immer auch gegenüber seinem Anwalt. Das erleichtert für mich die Verteidigung, weil ich die Unschuldsoption dann auch innerlich mittragen kann.

Es gibt allerdings auch Verfahren, da ist es ungemein wichtig, möglichst viel von der Wahrheit zu kennen, damit man nicht in die falsche Richtung agiert. So etwa in Steuerstrafsachen, vor allem, wenn es um strafbefreiende Selbstanzeigen geht. Der Fall Hoeneß lässt grüßen. Ich habe gestern einen Mandanten in der JVA aufgesucht, für den ich vor einigen Wochen eine Selbstanzeige gefertigt habe. Die war sehr dringend, weil die Aufdeckung der Tat unmittelbar drohte. Natürlich hatte ich ihn darauf hingewiesen, dass die Anzeige vollständig sein muss und keine wesentlichen Tatsachen weglassen darf, damit die strafbefreiende Wirkung eintreten kann. Das hatte er mir auch versichert. Ein paar tausend Euro habe er schwarz kassiert, hatte ich vorgetragen, und auch Beihilfe zu fremder Steuerhinterziehung in nicht unerheblicher – konkret spezifizierter – Höhe geleistet. Vor ein paar Tagen ist er dann festgenommen worden, laut Haftbefehl soll er ein paar  Millionen Euro schwarz kassiert haben. Und die Beihilfe zu fremder Steuerhinterziehung soll sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag belaufen. Das wäre nicht mehr bewährungsfähig, wenn es sich als zutreffend herausstellen sollte. Jetzt gilt es, erst einmal die Aktenlage zu sondieren und dann zu schauen, was da noch zu retten ist. Wer weiß, vielleicht erfahre ich ja noch, was wirklich stattgefunden hat.


Kategorie: Strafblog
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