Wenn ich nur so Mandanten wie Gregor H. hätte, dann würde ich meinen Beruf an den Nagel hängen. Besser gesagt, ich hätte ihn schon längst an den Nagel hängen müssen, weil solche Mandate neben der juristischen Erfolglosigkeit auch noch fatale wirtschaftliche Konsequenzen haben. Denn bezahlen kann mich Gregor nicht. Ein paar Mal bin ich ihm als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, aber von dem kargen Salär, das der Staat ausspuckt, kann ein Strafverteidiger schon im Normalfall, also bei einem durchschnittlichen Zeitaufwand pro Mandat, nicht leben. Mandate mit Gregor H. erfordern aber immer einen überdurchschnittlichen Zeitaufwand. Denn Gregor denkt mit (was ja grundsätzlich zu begrüßen ist) und will argumentieren . Immer, und immer wieder. Gregor schreibt umfassende Abhandlungen über seine Fälle, er seziert jede Aktenseite mit großem Aufwand und legt in langen Schachtelsätzen akribisch dar, wo er Widersprüche und Ungereimtheiten in der Beweisführung sieht und warum er offensichtlich unschuldig ist. Ich versuche, Gespräche mit Gregor zeitlich zu beschränken, aber das gestaltet sich schwierig, weil ihm immer noch ein letzter und ein allerallerletzter Aspekt einfällt, der auch noch besprochen werden muss, und dann setzt er sich wieder hin und kann nur mit Mühe zum Verlassen des Büros veranlasst werden.
Gregors Argumente sind gar nicht so leicht zu widerlegen, weil er ein begnadeter Pseudologiker ist, mit dem man sich auf Diskussionen eigentlich nicht einlassen sollte. Er hat immer ein „Aber“, und weil er geschickt ist, sagt er „Ja, aber“, und simuliert dabei eine vordergründige Zustimmung zu dem Gehörten, bevor er diese dann ins Gegenteil verkehrt. „Streite dich nie mit einem Idioten, er zieht dich auf sein Niveau herab und schlägt dich dort mit Erfahrung“, heißt ein alter Sinnspruch, und wenn man den Begriff „Idiot“ mit „Pseudologiker“ oder mit „Gregor“ ersetzt, dann trifft er ebenfalls ins Schwarze.
Ich habe mir abgewöhnt, mit Gregor noch wirklich zu diskutieren, ich konfrontiere ihn nur noch mit meinen Einschätzungen und versuche, jede weitere inhaltliche Diskussion abzuwürgen, weil es sonst endlos wird und keinen Schritt nach vorne führt. Ich habe darüber schon einmal in einem viel gelesenen und immer noch lesenswerten Beitrag im strafblog unter dem Titel „Ich schätze Ihre Kompetenz, Herr Anwalt ….. aber ich höre auch diesmal nicht auf Sie!“ berichtet.
Am Montag ist Gregor vom Amtsgericht wegen Körperverletzung und Widerstandsleistung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt worden. Er soll während der Haft nach einem mutmaßlichen Suizidversuch um sich geschlagen und versucht haben, Vollstreckungsbeamte mit seinem Blut zu besudeln. Einer der Beamten soll sich bei dem Versuch, ihn zu bändigen, eine Fraktur am kleinen Finger zugezogen haben.
Gregor, der allein auf der Beobachtungszelle war und vier Zeugen gegen sich hat, bestreitet die ihm zur Last gelegte Tat. Er habe sich überhaupt nicht aktiv gewehrt, er habe nur nicht kooperiert, als man ihn in den Rettungswagen tragen wollte, sagt er, und außerdem habe er sich aufgrund des Suizidversuchs in einem psychischen Ausnahmezustand befunden. Und die Beamten seien ja noch zu blöde gewesen, die Rasierklinge zu finden, mit der er sich an den Handgelenken herumgeschnibbelt hatte. Der Amtsrichter hatte am ersten Verhandlungstag seine Bereitschaft erkennen lassen, das Verfahren unter einer Arbeitsauflage gem. § 153a Abs. 2 StPO einzustellen. Immerhin liege die Tat lange zurück und die Verletzung des Beamten sei nicht sonderlich schwer gewesen. Ein durchaus honoriges Angebot, zumal Gregor mehrfach vorbestraft ist (natürlich immer zu Unrecht) und unter Führungsaufsicht steht. Gregor hat das Angebot gegen den Rat des Kollegen Menke, der den Hauptverhandlungstermin für mich wahrgenommen hatte, entrüstet abgelehnt. Das komme ja einem Schuldeingeständnis gleich und die Beamten würden doch lügen, hatte er gesagt. Der Amtsrichter hatte – wie ich zuvor auch schon mehrfach – auf die Aktenlage hingewiesen und auf die für Gregor nicht gerade günstigen Zeugenaussagen. Gregor war wie immer anderer Meinung und hatte noch eigenständige Beweisanträge gestellt. Deshalb war vertagt worden.
Ich habe nach der Verhandlung mit Engelszungen auf Gregor eingeredet, die Einstellung zu akzeptieren. Ich könne mir vorstellen, dass der Richter hierzu immer noch bereit sei. Ich habe ihm gesagt, dass er wirklich keinerlei Chance auf einen Freispruch habe. Seine Argumente reichten schlichtweg nicht aus, die Vorwürfe zu entkräften. Als Reaktion hatte Gregor mir rund 20 Seiten zusätzlicher Stellungnahme zukommen lassen, die müsse ich mir nur durchlesen, dann würde auch mir klar, dass er unschuldig ist. Vergeblich habe ich ihm gesagt, dass es auf meine Einschätzung nur bedingt ankomme, weil nicht ich, sondern der Richter das Urteil spreche. Ich habe ihm auch zu verstehen gegeben, dass ich ihn, wenn ich Richter wäre, wohl auch verurteilen würde, weil seine eigene Einlassung die Widerstandsleistung nicht entkräfte und weil auch nicht unbedingt davon auszugehen sei, dass sich der Vollzugsbeamte den Finger mit Absicht gebrochen habe, nur um ihn beschuldigen zu können. Vielleicht könne die Körperverletzung am Vorsatz scheitern, aber dann bleibe möglicherweise immer noch eine Fahrlässigkeitstat übrig, und die Widerstandsleistung werde jedenfalls aufgrund der Bekundungen der Zeugen als nachgewiesen angesehen werden.
Gregor hat sich das zwei Tage lang überlegt und der Einstellung des Verfahrens eine Absage erteilt. Er könne sich nicht für etwas verurteilen lassen, was er nicht getan habe. Vergeblich habe ich noch versucht, ihm zu erklären, dass mit der Einstellung eine Verurteilung doch gerade vermieden werde. Das konnte er nicht mehr an sich heranlassen.
Da ich selbst am Montag im Ausland weilte und der Kollege Menke anderweitig terminlich belegt war, hat die Kollegin Nagel den Termin mit Gregor wahrgenommen. Natürlich bestand hierzu keinerlei Verpflichtung, weil es dafür keine finanzielle Grundlage gab und das Gericht eine Beiordnung abgelehnt hatte, weil keine allzu hohe Strafe zu erwarten sei und auch keine rechtlich oder tatsächlich sonderlich schwierige Sachlage gegeben sei. Darüber hätte man im Hinblick auf Gregors Persönlichkeitsstörungen streiten können, aber weil er ja ein guter Pseudologiker ist, sind die Störungen nicht wirklich offensichtlich. Ich wollte den Mann, den ich seit vielen Jahren als Mandanten kenne, trotz allem nicht hängen lassen, habe ihm aber im Vorhinein gesagt, das sei das letzte Mal, dass er trotz seiner fatalen Uneinsichtigkeit mit meiner Hilfe rechnen könne.
Sechs Monate mit Bewährung sind in Anbetracht der Gesamtumstände moderat, aber trotzdem unnötig, da eine Einstellung möglich gewesen wäre. Jetzt hat Gregor eine weitere Hypothek, die er mit sich rumschleppen muss. Immerhin hat er nach der Sitzung zur Kollegin Nagel gesagt, er werde das Urteil wohl akzeptieren, eine Berufung hätte ja wohl keine Aussicht auf Erfolg. Ob da so etwas wie Einsicht aufgekommen ist?……
Kategorie: Strafblog
Permalink: „Ich ziehe auch diesmal eine Verurteilung vor! Eine Einstellung akzeptiere ich auch bei vernichtender Beweislage nicht.“
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vor: OLG Frankfurt: Staatsschutzverfahren gegen vier Sikhs neigt sich dem Ende...
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