Vieles am US-amerikanischen Rechtssystem ist uns reichlich fremd. Absurde Schadensersatzklagen in Millionenhöhe gehören dazu. Das „Case-Law“ bringt gegenüber unserem durchkodifizierten Recht bisweilen erstaunliche Blüten hervor, womit ich nicht sagen will, dass deutsche Gerichte nicht auch immer wieder für absurde Entscheidungen und erstaunliche Kehren in der Rechtsprechung gut sind. Zumal die Kodifizierung ihre Grenzen hat und immer wieder durch Richterrecht ergänzt und ausgefüllt werden muss. Schwer nachzuvollziehen ist für deutsche Strafjuristen, dass es in den USA unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, selbst bei schweren Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter dem (angeblichen) Tatopfer das Klageprivileg abzukaufen und das Verfahren damit zur Einstellung zu bringen. Das mag im Einzelfall dem Rechtsfrieden dienen, kann aber die strafwürdige Tat – wenn sie denn stattgefunden hat – nicht ungeschehen machen und das Strafbedürfnis nicht so ohne weiteres entfallen lassen. Jedenfalls nicht nach unserem Rechtsverständnis. Darüber hinaus ist es auch zutiefst ungerecht, dass sich der vermögende Täter aus der Strafverfolgung herauskaufen kann, während der Habenichts der Justiz ausgeliefert bleibt. Außerdem weckt dieses System Begehrlichkeiten: Es kann durchaus verlockend sein, einem prominenten Reichen aus der Politik oder dem Show-Business eine Straftat anzuhängen, die er nicht und nicht in diesem Umfang begangen hat und ihn dann unter dem Druck des Verfahrens, das losgelöst von strafrechtlichen Folgen auch weitgehende berufliche und soziale Konsequenzen haben kann, mit einer Rücknahme der Vorwürfe gegen Zahlung zu locken.
Man erinnere sich an die diversen Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen „King of Pop“ Michael Jackson, die letztlich nie wirklich aufgeklärt worden sind. Manches spricht dafür, dass Jacksons Beziehungen zu den Kindern weitgehend platonischer Natur waren und körperliche Nähe ohne sexuelle Intentionen implizierten, was ihn aber zu einem idealen Zielobjekt für alle möglichen Unterstellungen und für finanzielle Forderungen machte.
Seit einigen Wochen ist ein anderer US-amerikanischer Showstar, nämlich John Travolta, in den Focus ähnlicher Vorwürfe gerückt. In einer Vielzahl von Fällen soll der verheiratete Vater von 3 Kindern anderen Männern sexuelle Avancen gemacht und diese dadurch erniedrigt haben. Da gibt es einen auf solche Fälle spezialisierten kalifornischen Rechtsanwalt namens Okorie Okorocha, der bislang 3 Klagen für verschiedene Mandanten gegen Travolta anhängig gemacht hat. Der Mann soll gesagt haben, es gebe noch über 100 andere Männer, die ebenfalls von Travolta belästigt worden seien.
Der erste Kläger soll ein Masseur sein, der seine Vorwürfe mit Hilfe Okorochas unter dem Pseudonym John Doe pressemäßig verbreiten ließ. Travolta habe sich von ihm massieren lassen, ihn dann an den Beinen und am Penis berührt, ihm „einen runterholen“ wollen und sich schließlich selbst befriedigt, berichtete stern.de am 8. Mai. Inzwischen wurde die Klage, mit der immerhin ein Schmerzensgeld von 2 Millionen Dollar geltend gemacht worden war, fallen gelassen, nachdem Travolta wohl ein eindeutiges Alibi nachweisen konnte und es zum Streit zwischen dem rührigen Anwalt und seinem Mandanten gekommen war.
Ein zweiter Mann, dem ähnliche Unbill durch den Hollywood-Mimen widerfahren sein soll, hatte zunächst ebenfalls 2 Millionen Dollar geltend gemacht. Kein schlechtes Schmerzensgeld für einen fehlgeschlagenen Verführungsversuch, sollte man meinen. Doch weil der Mann bescheiden ist, hat er über Anwalt Okorocha jetzt angeboten, gegen ein Schweigegeld von nur 250.000 Dollar seine Klage fallen zu lassen. „Mein Mandant möchte einfach sein Leben zurückhaben, die 250.000 Dollar würden das schnell ermöglichen, ohne dass weitere Maßnahmen getroffen werden müssen“, wird der in Pasadena residierende Jurist in einem weiteren Stern-Beitrag zitiert. Von seinem namentlich ebenfalls nicht genannten Mandanten wurde inzwischen bekannt, dass er aus Atlanta stamme, als Personal Trainer relativ groß und ca. 150 Kilo schwer sei, und dass er – so der Anwalt – „durch den Vorfall emotional sehr verletzt worden sei“. Da erscheint die jetzt geforderte Viertelmillion ja schon fast lächerlich, oder? Sind ja nicht mal 2.000 Dollar pro Kilo Körpergewicht!
Der dritte bislang geoutete „Geschädigte“ hat immerhin seinen richtigen Namen genannt. Fabian Zanzi heißt der Mann, und Travolta soll ihm angeblich auf einem Kreuzfahrtschiff 12.000 Dollar für sexuelle Gefälligkeiten geboten haben. Die hat der Mann wohl abgelehnt, witttert jetzt aber ein ungleich größeres Geschäft. Travoltas Anwaltsteam weist auch diesen Vorwurf zurück. Der Mann habe selbst in einem Video bekundet, Travolta habe sich korrekt verhalten, wird ein Anwalt namens Singer zitiert, und außerdem hätte Zanzi den Vorfall sicher seinen Vorgesetzten gemeldet, wenn so etwas passiert wäre.
Nach amerikanischen Medienberichten wollen in den nächsten Tagen noch weitere Männer an die Öffentlichkeit treten, die in irgendeiner Form von Travolta sexuell belästigt worden sind, schreibt stern.de. Ich überlege derzeit ganz intensiv, wo ich dem Hollywoodstar zuletzt begegnet sein kann. Da findet sich schon was …
Kategorie: Strafblog
Permalink: John Travolta – Hat er oder hat er nicht? Der (Un-)Wert der Popularität
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