„Mit mir gibt es keine Verständigung, Herr Verteidiger, ich lehne diese Vorschrift ab“



Veröffentlicht am 16. Mai 2012 von

Heute morgen vor einem nordrhein-westfälischen Amtsgericht: Gleich nach Verlesung der Anklage diktierte der Vorsitzende des Schöffengerichts, in Personalunion immerhin auch Direktor des Amtsgerichts, ins Protokoll, dass keine Verständigungsgespräche im Sinne des § 257c StPO stattgefunden hätten. Als Verteidiger des Angeklagten, dem 6 Fälle des vollendeten schweren Diebstahls und 3 Versuchstaten zur Last gelegt wurden, gab ich zu bedenken, dass hierüber ja noch gar nicht gesprochen worden sei und dass in Anbetracht der ansonsten zu erwartenden umfangreichen Beweisaufnahme der Versuch einer Verständigung vielleicht sinnvoll sein könnte. „Mit mir gibt es keine Verständigung, Herr Verteidiger, ich lehne diese Vorschrift ab“, antwortete der Vorsitzende indigniert und fügte noch hinzu, dass er die gesetzliche Regelung für unausgegoren halte und dass es auch keinen Sinn mache, sich zu verständigen, wenn dann nicht einmal ein Rechtsmittelverzicht erklärt werden könne. Das war ein klares Statement. Als Verteidiger habe ich ein ambivalentes Verhältnis zum § 257c, der je nach Fallkonstellation Fluch oder Segen sein kann und über dessen Schlüssigkeit man in mancherlei Hinsicht mit Fug und Recht streiten kann.

Vorliegend hätte ich allerdings gerne Verständigungsgespräche geführt, weil einerseits nach Aktenlage gewiss kein Freispruch zu erwarten war und andererseits eine Bewährungsstrafe auf der Kippe stand. „Wenn mir keine Bewährung zugesichert wird, bestreite ich Alles“, hatte mein Mandant mir im Vorhinein schon angekündigt, was in Anbetracht der Tatsache, dass mehrere Taten durch Überwachungsvideos ziemlich deutlich dokumentiert waren, eine nicht zwingend erfolgversprechende Verteidigungsstrategie gewesen wäre. 6 mal soll er Hotelzimmer mit verschiedenen Werkzeugen geöffnet und die Gäste beklaut haben, 3 mal kam es nur zum Versuch, weil Hotelpersonal oder Gäste auf den Täter aufmerksam wurden. Die Personenbeschreibungen passten jeweils auf meinen Mandanten und auf Lichtbildern war er auch wiedererkannt worden, wobei einschränkend zu sagen ist, dass es sich nicht um korrekt durchgeführte Wahllichtbildvorlagen gehandelt hat.

Wie dem auch sei, der Staatsanwalt sprang mir bei. „Auch ohne Verständigungsgespräche bin ich gerne bereit, meine Strafvorstellungen für den Fall eines umfassenden Geständnisses zu äußern“, meinte er und fügte hinzu, dass er eine gerade noch bewährungsfähige Strafe für denkbar halte und dann auch Bewährung beantragen könne. „Was meinen Sie?“, fragte ich den Vorsitzenden. Und dann haben wir die prozessuale Situation und den Wert eines Geständnisses und die Beweislage und auch Strafzumessungserwägungen diskutiert. Das Gericht könne bei einem Geständnis auch eine Bewährungsstrafe vertreten, meinte der Richter, ohne Geständnis sehe er eine solche Möglichkeit nicht. „Natürlich nur, soweit wir die Taten auch nachweisen können“, fügte er noch hinzu, aber im Rahmen der zuvor erfolgten Erörterungen hatte er insoweit keine Zweifel erkennen lassen.

Ich habe die Sitzung unterbrechen lassen, um mich mit dem Mandanten zu beraten. „Ohne Verständigung gestehe ich gar nichts“, wiederholte der draußen auf dem Flur. „Auf Ihr Risiko“, meinte er schließlich, als ich ihm riet, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Nach all meiner Erfahrung sei das die einzige Möglichkeit, eine Bewährung zu erreichen, hatte ich ihm gesagt und dabei auch auf seine Vorstrafen hingewiesen. Und während ich noch überlegte, worin denn mein Risiko bestehen könnte, habe ich dann für ihn eine geständige Einlassung vorgetragen. So ist es dann auch eine Bewährungsstrafe geworden, ganz ohne Verständigung und fast wie in alten Zeiten.


Kategorie: Strafblog
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